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Dem Schock folgt die Wut

Nepal: Proteste nach der Ermordung der Geiseln in Irak. Premier zwischen den Stühlen

Am 2. September erschien in der Tageszeitung "junge Welt" ein Artikel des Asien-Korrespondenten Hilmar König. Darin geht es um die Reaktionen, welche die Hinrichtung von 12 nepalesischen Geiseln im Irak in Nepal ausgelöst hat. Wir dokumentieren den Artikel, weil er auch ein Licht auf die andauernden innenpolitischen Probleme der derzeitigen Regierung von Premier Sher Bahadur Deuba aufmerksam macht.
Doch zuvor die Meldung über die Hinrichtung, wie sie am 31. August von den Nachrichtenagenturen verbreitet wurde.




Die grausame Hinrichtung von zwölf im Irak verschleppten Nepalesen hat die Angst um das Schicksal von zwei entführten französischen Journalisten verstärkt. Die Entführer der Nepalesen, eine Gruppe namens Ansar el Sunna, gaben im Internet die Tötung der Nepalesen bekannt und veröffentlichten Fotos von ihrer Hinrichtung.
Der im Internet verbreiteten Erklärung zufolge wurde eine nepalesische Geisel enthauptet, die übrigen elf wurden erschossen. Die Fotos und ein Video zeigten in unscharfer Auflösung die Tötung. Die Regierung Nepals bestätigte den Tod der Geiseln zunächst nicht.
In der Bevölkerung löste die Nachricht von der Hinrichtung Entsetzen aus. Die zwölf Nepalesen waren in der Nacht zum 20. August im Irak verschleppt worden. Die Entführer warfen ihnen unter anderem Unterstützung der "US-Kreuzfahrertruppen" vor. Nepal gehört nicht zu den US-geführten multinationalen Truppen im Irak. Die Gruppe Ansar el Sunna soll Verbindungen zum Terrornetzwerk El Kaida haben. (AFP)


Dem Schock folgt die Wut

Von Hilmar König*

Es war der Feiertag »Gai Jatra«, an dem Nepal seiner Toten gedenkt, als am Dienstag die Kunde von der Ermordung der zwölf nepalesischen Geiseln in Irak bis in die Bergdörfer des Königreiches drang. »Welche Sünde habe ich begangen, daß ich so bestraft werde?«, klagte die Mutter des 19jährigen Ramesh Khatkas, der zu den in Irak ermordeten nepalesischen Arbeitern gehörte. Ihr Sohn habe doch nichts verbrochen, auch nichts mit den Amerikanern zu tun gehabt. Ein einziges Anliegen habe ihn nach Irak verschlagen: die Existenz der sechsköpfigen Familie mit regelmäßigen Geldüberweisungen zu sichern.

Die Dorfbewohner von Lele, 20 Kilometer südlich der Hauptstadt Kathmandu gelegen, leiden mit den Khatkas. Aus nahezu jeder Familie arbeitet in dieser Gegend, wo verbreitet Armut herrscht, jemand im Ausland, die meisten in der Golfregion. Die Angst geht um, daß ihren Angehörigen etwas ähnliches passieren könnte. Insgesamt wird die Zahl der in Irak tätigen nepalischen Arbeitskräfte auf 17 000 geschätzt. 35 000 warten auf ihre Einreise in die Golfstaaten.

Arabische TV-Sender hatten am Dienstag [31.08.2004] Videoaufnahmen von der Hinrichtung der zwölf nepalesischen Arbeiter gesendet. Die jungen Männer – Köche, Reinigungskräfte und Bauleute – waren am 19. August entführt worden. Die militante Gruppe »Ansar Al Sunna«, die Verbindungen zu Al Qaida unterhalten soll, übernahm die Verantwortung für das Verbrechen. In einer Stellungnahme bezichtigte sie ihre Opfer der Kollaboration mit den USA und bekräftigte zugleich ihre Entschlossenheit, »bis zum letzten Mann« gegen die irakische »Interimsregierung« in Bagdad zu kämpfen.

Noch am Dienstag hatte Nepals Premier Sher Bahadur Deuba sein Kabinett zu einer Sondersitzung zusammengerufen, um die Situation zu beraten. Die Regierung versuchte, mit Hilfe von irakischen Kontaktleuten Verbindung zu den Entführern aufzunehmen, die keinerlei Forderungen gestellt hatten. Ohne Erfolg. Vergeblich appellierte Kathmandu auch an den TV-Sender Al Dschasira, sich vermittelnd einzuschalten.

Dem Schock und der Trauer folgte noch am Dienstag und dann am Mittwoch Wut. Hunderte Demonstranten gingen in der Hauptstadt auf die Straßen. Sie forderten den Rücktritt von Premier Deuba und Außenminister Mahat, weil sie »moralisch versagt« hätten. Sie forderten die irakischen Behörden auf, die Verbrecher dingfest zu machen. Zahlreiche Demonstranten richteten ihre Wut gegen moslemische Landsleute. Andere verlangten eine Untersuchung des Treibens von Agenturen in Nepal, die Jobs in der Golfregion anbieten und gegen horrende Summen die Reise zu den Arbeitsstellen arrangieren. Offiziell hat Kathmandu die Rekrutierung von Arbeitskräften für Irak verboten. Freilich dienen in der britischen Armee traditionell nepalische Gurkha-Söldner, möglicherweise auch im Süden Iraks.

Regierungschef Deuba, der erst vor wenigen Wochen von König Gyanendra eingesetzt worden war, gerät mit der Bluttat in Irak noch mehr unter Druck. Ohnehin sieht er sich mit einer in den letzten Wochen wieder sehr aktiven maoistischen Guerilla konfrontiert, die für die Abschaffung der konstitutionellen Monarchie und volksdemokratische Verhältnisse kämpft. Und er steht zugleich zwischen dem König, der ihn verfassungswidrig eingesetzt hat und auf dessen Anordnungen er agiert, und der politischen Opposition, die umgehend Wahlen und eine Rückkehr zu parlamentarischen Verhältnissen fordert.

* Der Artikel erschien am 2. September 2004 in der Tageszeitung "junge Welt".


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