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Ein König schaufelte sein eigenes Grab

In Nepal ging am Mittwoch nach 240 Jahren die Ära der Shah-Dynastie zu Ende

Von Hilmar König, Delhi *

Mit Festumzügen, Kulturprogrammen, Kerzen in den Fenstern, Kundgebungen und Demonstrationen feierten die Bürger Kathmandus am Mittwoch die Proklamation der Republik und das Ende der Monarchie in Nepal. Am Vormittag hatte die verfassunggebende Versammlung diese historische Entscheidung verkündet.

»Es war einmal ein König, der Schaufel um Schaufel sein eigenes Grab aushob.« So könnten künftig in Nepals Geschichtsbüchern Niedergang und Ende der fast 240 Jahre alten Shah-Monarchie beschrieben werden. Die erste schwere Erschütterung erlebte die Königsfamilie im Juni 2001, als der berauschte Kronprinz Dipendra im Billardsaal des Narayanhity-Palastes ein Blutbad anrichtete, seinen Vater Birendra Bir Bikram Shah Dev, die Mutter und etliche Familienmitglieder tötete, ehe er sich selbst hinrichtete. Das Massaker führte zu einem schweren Ansehensverlust der Monarchie. Die Nepaler begannen, die Legitimität der Königsherrschaft zu bezweifeln, obwohl die Hindumehrheit die »Shah«-Sprösslinge traditionell als Inkarnation des Gottes Wischnu verehrte. Schlimmer noch, das Volk vermutete, der Thronfolger, Birendras jüngerer Bruder Gyanendra, habe hinter dem Attentat gesteckt. Der Verdacht wurde nie bewiesen, aber auch nicht überzeugend entkräftet.

Während Birendra durch eine Volkserhebung 1990/91 begriffen hatte, dass die Bevölkerung einen zeremoniellen Herrscher in einem Mehrparteiensystem bevorzugt, und entsprechende politische Veränderungen nicht blockierte, wollte Gyanendra zurück zur autokratischen Monarchie. Am 1. Februar 2005 setzte er diese Absicht rücksichtslos durch, entließ den durchaus loyalen Premier Sher Bahadur Deuba, löste das Parlament auf, verhängte den Ausnahmezustand, verbot die Parteien, veranlasste Massenverhaftungen und schickte Militärzensoren in die Zeitungsredaktionen. Dies alles begründete er mit der Notwendigkeit, härter gegen die maoistischen Rebellen vorzugehen, die seit 1996 gegen die feudalistischen Strukturen kämpften und besonders in ländlichen Gegenden über beträchtlichen Anhang verfügten. Kenner hielten diesen Februar-Putsch für den ersten Nagel zum Sarg der Shah-Dynastie. »Der Versuch, die absolute Monarchie wieder einzuführen, war eine Fehleinschätzung mit desaströsen Folgen«, urteilt Generalleutnant Vivek Shah, früher Militärsekretär des Königs. Statt mit den Maoisten zu verhandeln und sie zu einem Friedensprozess zu bewegen, habe der Herrscher auf Konfrontation beharrt. 13 Mal bat in dieser Zeit Girija Prasad Koirala, der Führer der Partei Nepali Congress und durchaus kein Feind der Monarchie, um eine Audienz beim König, um ein politisches Arrangement zu vereinbaren. Gyanendra lehnte stets ab.

Der verärgerte Koirala nahm daraufhin - mit indischer Vermittlung - Kontakte zur maoistischen Guerilla unter Pushpa Kamal Dahal Prachanda auf, was den Herrscher in Rage brachte. Sein Versuch, die beiden Nachbarn China und Indien gegeneinander auszuspielen, misslang gründlich. USA-Botschafter James Moriarty wollte den König bei etlichen Begegnungen davon überzeugen, das Parlament wieder einzusetzen, um die politischen Parteien zu befrieden und das gemeinsame Ziel zu erreichen, eine Machtergreifung der Maoisten zu verhindern. Gyanendra erklärte ihm immer wieder, dafür brauche er noch Zeit.

Er zögerte und zögerte, bis im April und Mai 2006 eine neuerliche Volkserhebung seine Macht erschütterte. Als er in Kathmandu den Befehl zum Schießen auf Demonstranten gab und mehr als ein Dutzend Menschen töten ließ, war der letzte Sargnagel eingeschlagen. Die politischen Parteien und die Maoisten verbündeten sich. Der König konnte die Entwicklung nicht mehr aufhalten und wurde Schritt um Schritt entmachtet.

Im November 2006 kam es zum historischen Friedensabkommen zwischen den etablierten Parteien und den Rebellen, die 2007 dem Übergangsparlament und der Regierung beitraten. Am 10. April 2008 folgten die Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung, aus denen die KP Nepals (Maoistisch) mit 220 Abgeordneten als stärkste Fraktion hervorging.

Der König beobachtete den Friedensprozess, hoffte auf dessen Scheitern und ermunterte seine Gefolgsleute, Zwist zu schüren, beispielsweise durch die Unterstützung der Autonomiebewegung in der südlichen Terai-Region. Doch das alles half nichts mehr.

Am Mittwoch fiel das Urteil über die im Jahre 1769 von Prithvi Narayan Shah gegründete Dynastie. Der Bürger Gyanendra will jetzt nur noch, dass der Staat sich um seine Sicherheit kümmert, sein Vermögen unangetastet lässt und ihm eine ordentliche Rente zubilligt. Und er hofft auf ein Wunder: Dass es doch noch ein Referendum gibt und das Volk ihm den Status eines »Herrschers mit religiösen und kulturellen Rechten« zugesteht.

Was die Monarchie hinterlässt

Nepal gehört zu dem Dutzend der ärmsten Staaten der Welt und ist auf massive Entwicklungshilfe angewiesen. Die Landwirtschaft bildet für 76 Prozent der Nepaler die Existenzgrundlage. Über 40 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos. Viele Menschen gehen deshalb auf Arbeitssuche in Nachbarländer. 31 Prozent der Nepaler leben unter der Armutsgrenze, d. h. von einem Tageseinkommen unter einem Euro. Die Analphabetenrate der Frauen liegt bei 76, der Männer bei 40 Prozent. Von 1000 Lebendgeborenen sterben 65 im Säuglingsalter. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 60 Jahre.Der 60-jährige Gyanendra hat Anteile im Wert von etwa 20,5 Millionen Dollar an fünf Unternehmen, darunter Hotels und Teeplantagen, eine Tabakfirma und ein Gemeinschaftsunternehmen mit einer indischen Firma. Er besitzt Ländereien und etliche Gebäude in Nepal sowie angeblich Eigentum in Taiwan, Indien und auf dem afrikanischen Kontinent.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2008


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