Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Nepaler sind desillusioniert"

Akhilesh Upadhyay über Wege aus der politischen Krise *


Im Himalaja-Staat Nepal wurde am Donnerstag der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Khilraj Regmi, als Übergangspremier eingesetzt. Er soll das Land aus der politischen Krise führen, in die es durch den Dauerstreit der großen Parteien geraten ist. Mit Akhilesh Upadhyay, Chefredakteur der »Kathmandu Post«, einer der führenden Zeitungen Nepals, sprach für »nd« Stefan Mentschel.


Demokratiebewegung und Ende des Bürgerkrieges 2006, Wahlen und Abschaffung der Monarchie 2008 – Nepal schien auf einem guten Weg sein. Doch die politische Entwicklung stagniert. Am Donnerstag wurde der Oberste Richter Khilraj Regmi als Übergangspremierminister vereidigt. Ist die Aufhebung der Trennung von Exekutive und Justiz der richtige Weg?

Das ist sicher nicht ideal. Die Gewaltenteilung gehört zum Wesenskern einer Demokratie. Weicht man sie auf, kann das gefährlich werden. Trotzdem könnte es ein Weg aus der Krise sein.

Inwiefern?

Wenn ein Land wie Nepal in einer so festgefahrenen politischen Lage ist, kann der Oberste Richter einen Konsens zwischen den seit Jahren zerstrittenen großen Parteien herbeiführen. Dabei bin ich mir der Fallstricke durchaus bewusst. Doch wir leben in ungewöhnlichen Zeiten, deshalb müssen wir nach ungewöhnlichen Lösungen für unsere Probleme suchen.

Ist denn Nepal sonst unregierbar?

So weit würde ich nicht gehen. Aber wir haben uns in den vergangenen Jahren mit Sicherheit nicht in die richtige Richtung bewegt.

Was bedeutet das?

Die Menschen in Nepal haben die politischen Ereignisse der Jahre 2006 bis 2008 mit großen Hoffnungen verbunden. Doch die sind nicht erfüllt worden. Die Probleme begannen gleich nach Abschaffung der Monarchie im Mai 2008 durch die damals gerade gewählte Verfassunggebende Versammlung. Mit der Abdankung des Königs war der gemeinsame Feind verschwunden. Die politischen Akteure brachten sich gegeneinander in Stellung.

Ist das ein Konflikt zwischen ehemaligen maoistischen Rebellen und etablierten Kräften wie den gemäßigten Kommunisten von der CPN-UML oder der Kongresspartei?

Die Hauptkonfliktlinie verläuft zwischen konservativen Kräften, die am Status quo festhalten wollen, und denjenigen, die sich für einen echten politischen Wandel in Nepal stark machen. Aber Nepals politische Landschaft ist inzwischen so stark zerklüftet, dass die Zusammenarbeit in allen Bereichen extrem kompliziert geworden ist.

Bitte nennen Sie ein Beispiel.

Nehmen sie die Region Terai an der Grenze zu Indien. Bei den Wahlen 2008 traten die Parteien der dort lebenden Madhesi-Minderheit als gemeinsame politische Front an und forderten vehement größere Autonomie. Inzwischen gibt es selbst innerhalb dieser relativ kleinen Gruppe derart viele Unstimmigkeiten, dass von der Durchsetzung gemeinsamer Ziele keine Rede mehr sein kann.

Die Übergangsregierung unter Richter Regmi soll innerhalb von drei Monaten Wahlen organisieren. Werden die für klare Mehrverhältnisse sorgen?

Selbst wenn es erneut keine klaren Mehrheiten geben sollte, brauchen wir diese Wahlen so schnell wie möglich. Nach fast fünf Jahren ohne politischen Fortschritt berufen sich die Politiker nach wie vor auf ihre Mandate von 2008. Doch viele Menschen haben das Vertrauen in die Abgeordneten längst verloren; daher ist es an der Zeit, sie um ein neues Mandat zu bitten.

Trotz des jahrelangen politischen Stillstands gibt es in Nepal keine Massenproteste. Haben sich die Menschen mit der Lage abgefunden?

Nein. Revolutionen finden nicht alle zwei Jahre statt. Wenn die Leute nicht laut aufschreien, bedeutet das nicht, dass sie zufrieden sind. Im Gegenteil: Alle Nepaler, mit denen ich spreche, sind zutiefst desillusioniert.

Was frustriert die Leute am meisten?

Ich denke, es ist die wirtschaftliche Stagnation. Nach Jahren des Konflikts stünde Nepal eigentlich eine Friedensdividende zu. Das Ende des Bürgerkriegs hätte der Beginn eines wirtschaftlichen Aufschwungs sein sollen. Aber wir haben diese Gelegenheit verpasst. Viele ausländische Geldgeber investieren nicht, weil ihnen die notwendige politische Stabilität bis heute nicht garantiert werden kann. Dabei könnte unsere Wirtschaft problemlos um sieben oder acht Prozent jährlich wachsen. Die Ressourcen hätten wir, allerdings müssten dafür auch die Politiker zusammenarbeiten.

* Aus: neues deutschland, Montag, 18. März 2013


Zurück zur Nepal-Seite

Zurück zur Homepage