Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Interesse für die "einfachen Leute"

Bürgerrechtler Subodh Raj Pyakurel warnt vor politischer Ignoranz in Nepal

Von Stefan Mentschel, Katmandu *

Eine friedliche Volksbewegung hat Nepal zurück auf den Weg der Demokratie geführt. Nun haben sich Regierung und Maoisten darauf verständigt, im nächsten Jahr Wahlen abzuhalten. Dennoch gibt es Zweifel, ob beide Seiten tatsächlich an ernsthaftem politischen Wandel interessiert sind.

In Kalanki wurde dieses Frühjahr Geschichte geschrieben. Am südwestlichen Stadtrand Katmandus, direkt an der Ring Road gelegen, wurde der beschauliche Vorort zu einem der zentralen Plätze, an denen die friedliche Demokratiebewegung auf die Straße ging. Im Stadtgebiet, um das sich die 27 Kilometer lange Umgehungsstraße windet, hatte es Ausgangssperre gegeben. Daher versammelten sich über Tage Hunderttausende eben in Außenbezirken wie Kalanki. Von dort trugen sie ihren Unmut gegen die absolute Macht von König Gyanendra schließlich vorbei am massiven Polizeiaufgebot bis in die Innenstadt und ebneten so den Weg für einen politischen Neubeginn in Nepal.

Subodh Raj Pyakurel lächelt, spricht man ihn auf die Nähe seines Büros zu jener Kreuzung im Herzen Kalankis an, die von den Demonstranten in »Platz der Republik« umbenannt wurde. »Das ist Zufall«, sagt der renommierte Bürgerrechtler und schaut nachdenklich aus dem Fenster Richtung Katmandu. Im April war er selbst in vorderster Reihe für Frieden und demokratische Mitbestimmung auf die Straße gegangen. Doch die Euphorie ist Nachdenklichkeit gewichen.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten engagiert sich Pyakurel für Bürger- und Menschenrechte in seiner Heimat. Zunächst waren die Bedingungen dafür besonders schwer, denn bis Ende der 80er Jahre bestimmten das Königshaus und seine Statthalter über Wohl und Wehe des 25-Millionen-Volkes. Wie viele andere Demokraten saß auch Pyakurel mehrfach im Gefängnis. Den Repressionen zum Trotz riefen er und eine Hand voll Mitstreiter ein Jahr vor Ende des monarchistischen Panchayat-Systems das Service-Zentrum für den informellen Sektor (Informal Sector Service Centre, INSEC) ins Leben. Ziel war es, elementare Rechte für Katmandus Lastenträger durchzusetzen, die unter unwürdigen Bedingungen arbeiten mussten. Doch bald erweiterte sich das Betätigungsfeld: »Wir begannen, Leibeigenschaft und andere Formen der Unterdrückung anzusprechen«, erinnert sich Pyakurel. Zudem seien INSEC-Aktivisten Teil der ersten nepalischen Demokratiebewegung gewesen, die 1990 die Ausarbeitung einer neuen Verfassung durchgesetzt und damit die jahrzehntelange Alleinherrschaft des Monarchen beendet hatte, erzählt er weiter.

In den Jahren darauf konzentrierte sich INSEC immer mehr auf den Schutz von Bürger- und Menschenrechten, denn zu einer wirklichen Demokratisierung war es auch nach Einführung des Mehrparteiensystems nicht gekommen. So gibt die Organisation seit 1992 das auch international beachtete »Jahrbuch Menschenrechte« heraus. Vor allem nach Beginn des bewaffneten Kampfes der Maoisten im Februar 1996 und mit zunehmender Repression des königlichen Sicherheitsapparates nach der Machtübernahme Gyanendras im Juni 2001 wurden die im Buch zusammengefassten Berichte aus Nepals 75 Distrikten zu wichtigen Zeitdokumenten der sich verschärfenden innenpolitischen Krise.

Doch auch nach dem Sieg der jüngsten, zweiten Demokratiebewegung und dem Ende des zehnjährigen Bürgerkriegs, der mehr als 13 000 Menschenleben forderte, ist die Arbeit von INSEC nicht beendet. Trotz Waffenstillstands gibt es weiter zum Teil schwere Zwischenfälle. »Elf Menschen wurden in den vergangenen Monaten von den Maoisten getötet, neun starben bei Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte«, informiert Pyakurel. Auch Fälle von Erpressung, Misshandlung, Entführung sowie anderer von beiden Seiten begangener Menschenrechtsverletzungen werden auf der Internetseite der Organisation mit Akribie dokumentiert.

»Die Ereignisse im April waren keine Revolution, sondern lediglich der Start eines langen Demokratisierungsprozesses«, sagt Pyakurel. Doch bereits wenige Wochen nach der Entmachtung des Königs scherten sich sowohl Übergangsregierung als auch Maoisten nicht mehr um die Forderungen des Volkes. Zwar hätten sich beide Seiten nach viermonatiger Verhandlungspause erst am Dienstag darauf verständigt, im Juni kommenden Jahres Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung abzuhalten. Doch Kernpunkte wie der Umgang mit den bewaffneten maoistischen Kadern oder die zukünftige Rolle des Königs seien nach wie vor ungeklärt. »Die Regierungsmitglieder verfolgen eigene Interessen und agieren in den Friedensgesprächen arrogant und inkompetent. Die Maoisten wiederum nutzen die entstandenen Freiräume, um ihre Machtposition in den von ihnen gehaltenen Regionen zu festigen und auszubauen. Die Menschen sind ihnen dort völlig ausgeliefert«, sagt der Bürgerrechtler und zuckt mit den Schultern. »Niemand interessiert sich für die einfachen Leute.«

Doch trotz mancher Enttäuschung glaubt Pyakurel weiter an den Erfolg. »Das Volk ist gegen Gewalt, Diskriminierung und Ausbeutung. Es kennt die Ursachen des Konflikts genau, traut weder Regierung noch Maoisten und fordert selbstbewusst seine Rechte ein.« Daher werde der Druck der Straße beide Seiten zwingen, am Demokratisierungsprozess festzuhalten. Und mit festem Händedruck sagt er zum Abschied: »Wir werden nicht zulassen, dass das Land den eingeschlagenen Kurs wieder verlässt.«

* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2006


Zurück zur "Nepal"-Seite

Zurück zur Homepage