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Absturz der Maoisten

Nepal: Amtliches Wahlergebnis bekanntgegeben. Vereinte KPN (M) moniert Betrug

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Nepals Wahlkommission hat am Dienstag die amtlichen Ergebnisse der Wahl vom 19. November zur verfassunggebenden Versammlung bekanntgegeben. Die sozialdemokratisch orientierte Partei Nepali Congress (NC) erhielt 196 Abgeordnetensitze. Damit ist sie zwar die stärkste Partei im Parlament, hat aber die absolute Mehrheit von 301 Sitzen bei weitem nicht erreicht. Auf dem zweiten Platz folgt die KP Nepals (Vereinte Marxisten-Leninisten) mit 175 und auf dem dritten Platz die Vereinte KP Nepals (Maoistisch) mit 80 Sitzen. Der Ministerrat vergibt später außerdem 26 der insgesamt 601 Sitze an die Hauptparteien.

In der neuen verfassunggebenden Versammlung, die auch als Parlament fungiert, sind 30 politische Parteien vertreten; insgesamt 122 hatten sich an der Wahl beteiligt. Erstaunlich ist das Wiedererstarken der Monarchisten, deren beide Parteien zusammen auf 34 Sitze kommen.

Der Nepali Congress wird nun mit der Bildung einer Koalitionsregierung beauftragt werden, ein Prozeß, der sich über Wochen hinziehen kann. Als Partner stehen die Marxisten-Leninisten bereit. Parteipräsident Sushil Koirala gilt als Spitzenkandidat für das Amt des Premierministers. Während die nationale Wahlkommission das Votum in Übereinstimmung mit Beobachtern aus der EU, Indien, China und den USA als frei, fair und transparent einschätzte, verlangen 16 Parteien eine Überprüfung des gesamten Wahlprozesses. Noch während der Stimmenauszählung protestierte die VKPN (M) gegen »Wahlbetrug«. Massenhaft seien Wahlurnen ausgetauscht worden oder verschwunden. Die Wahlkommission erklärte, für solche Beschwerden sei jetzt das Verfassungsgericht zuständig.

Die Maoisten hatten allerdings große Verluste zu beklagen. Aus den ersten freien, demokratischen Wahlen nach dem Sturz der Monarchie im Jahre 2008 waren sie mit überwältigendem Vorsprung als Sieger hervorgegangen. Die Wähler sahen in dieser Partei nach mehr als 200 Jahren monarchistischer Feudalherrschaft den Hoffnungsträger für einen grundlegenden Wandel. Deshalb gaben sie den Maoisten 220 von damals 575 Abgeordnetensitzen. Nun erfolgte der Absturz auf 80 Mandate. Eine Analyse dieses Resultats kündigte Ex-Informationsminister Krishna Bahadur Mahara an. Parteivize Baburam Bhattarai äußerte, die Niederlage bedeute nicht, daß die Bürger die Agenda der Partei abgelehnt hätten. Diese ziele auf Änderung der alten Strukturen, auf Fortschritt und Entwicklung. Sie bleibe deshalb gültig. Die Partei werde sich als wichtige Kraft der Opposition am Prozeß der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligen.

Auf alle Fälle muß die VKPN (M) Lehren aus dem Debakel ziehen. Sie war 1994 gegründet worden und hatte nur zwei Jahre als politische Partei gearbeitet, bis sie sich 1996 zum »Volkskrieg« entschloß und zehn Jahre lang als Guerilla gegen die Armee des Königs kämpfte. Offensichtlich fiel es ihr schwer, nach dem 2006 geschlossenen Friedensabkommen wieder als politische Partei im bürgerlich-demokratischen System Fuß zu fassen. Auf der anderen Seite waren der NC und die Marxisten-Leninisten über viele Jahre auch unter der Monarchie aktiv und hatten sich in gewisser Weise mit ihr arrangiert. Ihnen schwebten Reformen des Systems vor.

Trotz zahlreicher Absprachen trauten NC und KPN (VM-L) den Maoisten nicht und zeigten sich keineswegs erfreut über die Konkurrenten, die die gesellschaftlichen Verhältnisse nun auf demokratischem Wege ändern wollten. Dem Sturz der Monarchie folgte ein erbittertes Ringen um die Macht, um jede Formulierung bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung. Dabei zeigte sich, daß die Zeit noch nicht reif war, einen Wechsel von den feudalistischen zu sozialistischen Strukturen zu vollziehen, wie ihn die Maoisten anstrebten. Sie ignorierten die Notwendigkeit einer längeren Übergangsperiode und unterschätzten den Gegner. Die Partei büßte mit teils für die Bevölkerung nicht nachvollziehbaren taktischen Schritten und Entscheidungen mehr und mehr an Popularität ein, profilierte sich als »Querulant« und ewiger Neinsager unter den politischen Parteien und verzettelte sich in Fraktionskämpfen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Dezember 2013


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