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Regierung für Nepal

In der Himalayarepublik einigen sich alle großen Parteien auf ein Einheitskabinett. Nächste Aufgabe: Neue Verfassung

Von Hilmar König *

Am Sonntag (6. Mai) ist in Nepals Hauptstadt Kathmandu die noch nicht komplette Regierung der nationalen Einheit zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammengekommen. Zunächst mußte sie eine traurige Pflicht erfüllen: Die elf Minister bekundeten den Opfern der Naturkatastrophe vom Vortag ihre Anteilnahme. Am Samstag hatte eine Lawine am Annapurna-Bergmassiv eine Überschwemmung durch den Seti-Fluß verursacht. Bis Sonntag wurden 15 Tote geborgen. Mehr als 30 Menschen, darunter Ausländer, galten als vermißt. Viele Siedlungen wurden zerstört. Premier Baburam Bhattarai machte sich am Sonntag vor Ort ein Bild von der Lage im Unglücksgebiet.

Am vergangenen Donnerstag hatte der Regierungschef das bisherige Kabinett aufgelöst und mit der Bildung der ersten Konsensregierung der Geschichte Nepals begonnen. Seinem Kabinett, das insgesamt 27 Minister umfassen wird, gehören bislang fünf Mitglieder der Vereinten KP Nepals (Maoistisch), zwei des bürgerlichen Nepali Congress und vier der Vereinten Demokratischen Madhesi-Allianz an. Die KP Nepals (Vereinigte Marxisten-Leninisten) hat ihre Vertreter noch nicht nominiert.

Premier Bhattarai nannte die Bildung der Einheitsregierung eine »sehr bedeutsame Entwicklung für Nepal«. Sie schaffe ein festes Fundament für das pünktliche Vollenden der Ausarbeitung der Verfassung. Als persönlicher Sieg des charismatischen Politikers gilt, daß er selbst auch das neue Kabinett zunächst leiten wird. Dazu habe er das Recht, weil dank seines Engagements die Haupthürde für den Friedensprozeß aus dem Weg geräumt worden sei, argumentierte er selbst mit Blick auf die Integration von Tausenden ehemaligen maoistischen Guerillakämpfern in die reguläre Armee bzw. ihre Eingliederung in das zivile Leben. Das war Anfang April geschehen. In der vergangenen Woche hatten sich die vier politischen Hauptparteien Nepals dann in einem Fünf-Punkte-Plan auf die Konsensregierung geeinigt. Damit dürfte der Weg frei sein für die Erarbeitung eines Verfassungsentwurfs, der laut Urteil des Obersten Gerichtshofes spätestens bis zum 28. Mai vom provisorischen Parlament abgesegnet werden muß.

Trotzdem spricht in Kathmandu noch niemand von einem Durchbruch. Zu oft gab es in der Vergangenheit plötzliche Wendungen. Die gegenwärtige Volksvertretung – offiziell die verfassunggebende Versammlung – war im Jahr 2008 nach dem Sturz der Monarchie gewählt worden. Die Maoisten stellen darin die stärkste Fraktion. Das neue Grundgesetz sollte eigentlich bereits 2010 vorliegen, doch die erbitterten Machtkämpfe zwischen den Parteien verzögerten das immer wieder.

Wenn die Konstitution als Entwurf existiert, soll die jetzige Regierung unter Bhattarai, der auch stellvertretender Vorsitzender der VKPN(M) ist, zurücktreten. Eine nachfolgende Konsensregierung soll dann unter Führung des Nepali Congress stehen und verantwortlich für die Vorbereitung der innerhalb eines Jahres stattfindenden Parlamentswahlen sein.

Bekannt ist bislang, daß die neue Verfassung Grundwerte wie Republikanismus, Föderalismus, Säkularismus, Demokratie und die Einbeziehung des Volkes in politische Entscheidungen festschreiben wird. Über einige Themen gibt es hingegen nach wie vor Auseinandersetzungen. So ist umstritten, ob Nepal ein parlamentarisches oder ein präsidiales System haben soll. Ebenso gibt es noch keine Einigung über die Gestaltung des Föderalismus, die Anzahl der Provinzen und ob die Grundlage für deren Bildung die dort lebenden Ethnien oder die hinduistischen Kasten sein sollen. Erst in der vergangenen Woche bildeten diese Debatten den Hintergrund für einen Sprengstoffanschlag in der südöstlichen Stadt Janakpur. Dabei kamen vier Menschen ums Leben, 28 wurden verletzt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. Mai 2012


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