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Zwischen Revolution und Anpassung

Nepals Maoisten vor richtungsweisenden Entscheidungen

Von Thomas Berger *

Was bedeutet es, den revolutionären Pfad auch unter den Rahmenbedingungen einer Mehrparteiendemokratie westlichen Vorbildes beizubehalten? Antworten auf diese Frage suchen 3 500 Delegierte der Vereinten Kommunistischen Partei Nepal-Maoistisch (UCPN-M) seit dem Wochenende auf ihrem Parteitag in Hetauda, einer kleinen Industriestadt im Zentrum des Landes unweit der Hauptstadt Kathmandu. Es ist die erste Konferenz dieser Art, die Nepals Maoisten seit dem Beginn des Friedensprozesses 2006 abhalten, und es geht um wichtige Weichenstellungen nicht nur für die UCPN-M selbst, sondern für die weitere Entwicklung der Himalaya-Republik. Zugleich soll das fünftägige Treffen ein Signal der Konsolidierung nach der Spaltung der maoistischen Bewegung im Vorjahr aussenden. Mitte 2012 hatten die sogenannten Hardliner um den früheren Vizevorsitzenden Mohan Baidya ihre eigene Organisation, die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch), gegründet.

Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda, Vorsitzender der UCPN-M, und Premierminister Bubaram Bhattarai mußten sich beim Parteitag bisher schon manche Kritik aus den eigenen Reihen gefallen lassen. Die Regierung habe seit ihrem Amtsantritt zu wenig für die Menschen im Land bewegt, so der Vorwurf. Auch die fehlgeschlagene Integration der früheren Guerillakämpfer der Volksbefreiungsarmee in die regulären Streitkräfte des Landes ist Thema der Beratungen. Abgesandte abgelegener Landesteile und einzelner ethnischer Gruppen üben zudem Kritik an der geplanten föderalen Neugliederung Nepals. Die Frauen in der Partei wiederum machen sich dafür stark, im neuen Zentralkomitee, das 251 Personen umfassen soll, eine 33-Prozent-Quote einzuführen. Von den 3 500 Delegierten sind immerhin 700 weiblich, im Organisatorengremium des Parteitages sieht das Geschlechterverhältnis indes deutlich schlechter aus. Bis in die Spitzenpositionen der neu zu wählenden Führung dürfte es wohl keine einzige Frau schaffen.

Dort kämpfen die verschiedenen Flügel um Einfluß. Die Fraktion von Dahal, dessen Wiederwahl als Parteichef als sicher gilt, stellt rund 70 Prozent der Delegierten, etwa ein Fünftel sind Gefolgsleute von Premier Bhattarai. Auch wenn die beiden in manchen Fragen grundlegende Auffassungsunterschiede haben, können sie derzeit noch zusammenarbeiten. Dies machte Dahal unmittelbar vor dem Parteitag noch einmal deutlich, als er in einem Interview betonte, es gebe keinerlei Differenzen in dem Bestreben, noch im Mai Neuwahlen für die Verfassunggebende Versammlung abzuhalten. Deren Mandat war am 27. Mai 2012 nach mehrfacher Verlängerung endgültig abgelaufen, die Uneinigkeit der vier größten Parteien des Landes über einen Ausweg aus dieser Staatskrise hält aber nach wie vor an. In Hetauda rief Dahal in seiner Auftaktrede die anderen politischen Kräfte erneut auf, sich auf eine Übergangsadministration unter Leitung einer unabhängigen Persönlichkeit zu verständigen und die Wahlen im Frühjahr endlich abzuhalten.

Bei diesen will sich die UCPN-M unbedingt als stärkste Partei behaupten. Dies kann nur gelingen, wenn Hetauda in der internen wie äußeren Wahrnehmung zum Symbol eines neuen Aufbruchs wird. Seit Montag wird in geschlossener Sitzung nicht nur über Posten in der neuen Führung, sondern auch über Eckpunkte des künftigen Kurses diskutiert. Die Partei will einen Platz zwischen den Baidya-Leuten, die von einem neuen »Volkskampf« sprechen, und den »angepaßten« Marxisten der zweiten großen linken Organisation des Landes, der Kommunistischen Partei Nepals (Vereinte Marxisten-Leninisten), finden. Zudem erwarten die Einwohner Nepals endlich auch eine spürbare Verbesserung ihrer sozioökonomischen Lage. Kritik gab es auf dem Parteitag am kürzlich geschlossenen Investitionsschutzabkommen mit Indien. Der große Nachbar im Süden, von den Maoisten früher eher als Gegner betrachtet, wird von der Bhattarai-Regierung zunehmend als Garant wirtschaftlichen Aufschwungs in Nepal hofiert

* Aus: junge welt, Mittwoch, 6. Februar 2013


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