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Zähes Ringen

Beratungen über Nepals neue Verfassung wieder einmal in der Sackgasse

Von Hilmar König *

Bis zum 5. Januar sollten die Hauptprobleme bei der Ausarbeitung des Entwurfs einer neuen Verfassung Nepals ausgeräumt sein. Doch der Termin verstrich, ohne daß es Fortschritte für eine Einigung gegeben hätte. Für die Vertreter der zerstrittenen politischen Parteien und für die Abgeordneten des Verfassungskonvents, des provisorischen Parlaments, kam das nicht überraschend. Mit Mühe gelang es ihnen nach schier endlosen Debatten, eine neue Frist zu setzen. Bis Ende Mai soll nun das Grundgesetz verabschiedet sein.

Im Dezember 2011 hatte es noch so ausgesehen, als ob der Friedensprozeß endlich in Gang gekommen sei. Der Regierung von Premier Baburam Bhattarai war es immerhin gelungen, die Aufteilung von rund 16000 ehemaligen maoistischen Guerilleros vorzunehmen – in jene, die in die Armee integriert werden, und jene, die ins zivile Leben zurückkehren sollten. Aber der Registrierung folgten bis heute keine praktischen Schritte. Die Betroffenen hausen nach wie vor in Kasernen. Niemand weiß, wann es losgeht. Der bürgerliche Nepali Congress (NC) und die KP Nepals (Vereinte Marxisten und Leninisten) machen die Vereinte KPN (Maoistisch) für die Verzögerung verantwortlich. Diese verknüpfe die Fortsetzung des Friedensprozesses absichtlich mit den konträren Debatten bei der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs.

Dabei erweist sich als das momentan größte Hindernis die Entscheidung über die künftige Regierungsform. Den Maoisten schwebt ein Präsidialsystem vor, das dem Frankreichs ähnelt, in dem der Staatspräsident direkt vom Volk gewählt wird und beträchtliche Exekutivvollmacht besitzt. Das lehnen der NC und die Marxisten/Leninisten ab. Sie befürchten wohl, das Volk könnte einen Maoisten in dieses Amt wählen. Die beiden wichtigsten Oppositionsparteien plädieren hingegen für einen Premier mit allen Vollmachten und für einen Präsidenten, der vom Parlament gewählt wird und eine vor allem symbolische Funktion haben würde. Beide Lager versuchen, Druck auf die andere Seite auszuüben. Das Tauziehen kann dauern. So wird die Zeit für den Endtermin, an dem die neue Konstitution vorliegen soll, wieder einmal knapp und knapper.

Negativ beeinflußt wird das Geschehen zudem durch die scharfen Attacken der Opposition auf die Koalitionsregierung, in der die Maoisten den Ton angeben. Madhav Kumar Nepal von den Marxisten/Leninisten, der mehrmals Premier war, nennt die Regierung einen »Versager«. Sie habe außer Versprechungen nichts zustande gebracht und sei aufgebläht und die teuerste in der Geschichte des Landes. Seine Partei fordert ebenso wie der NC, Premierminister Baburam Bhattarai müsse zurücktreten, wenn es ihm nicht gelingt, den Friedensprozeß erfolgreich abzuschließen. Daß dafür alle Parteien oder zumindest eine deutliche Mehrheit an einem Strang ziehen müßten, steht auf einem anderen Blatt.

Die Opposition fühlt sich in ihrem Obstruktionskurs ermutigt, weil es in der maoistischen Führung spürbar kriselt. Der Stern des Parteivorsitzenden Pushpa Kamal Dahal Prachanda, der der Kopf im zehnjährigen Kampf gegen die Monarchie war, ist verblaßt. Er scheint immer mehr in die Isolation zu geraten. Die Hardliner beschuldigen ihn, er habe die »kommunistische Sache verraten«, weil ihm Macht mehr bedeute als Prinzipienfestigkeit. Er folge »revisionistischen Plänen ausländischer Reaktionäre«. Aus solcher nicht gerade beneidenswerten Position heraus muß Prachanda als Vorsitzender der parlamentarischen Kommission agieren, die den Verfassungsentwurf formuliert. So ist kaum zu erwarten, daß in absehbarer Zeit frischer Wind durch die Himalaja-Republik bläst, der die politischen Prozesse beschleunigt.

* Aus: junge Welt, 13. Januar 2012


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