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Erdbeben verwüstet Nepal

Bisher über 2.000 Tote vermeldet. Infrastruktur des Landes zerstört

Von Thomas Berger *

Es war das schlimmsten Erdbeben in Nepal seit 80 Jahren. Nach jüngsten Angaben des nepalesischen Innenministeriums sind allein in der Himalaja-Republik mindestens 2.152 Menschen ums Leben gekommen. Die Erdstöße am Sonnabend um kurz vor 12 Uhr Ortszeit hatten die Stärke 7,8 auf der Richter-Skala. Das Epizentrum lag etwa 80 Kilometer westlich der Hauptstadt Kathmandu. Außer Nepal waren auch die chinesische Provinz Tibet sowie Pakistan, Bhutan, Bangladesch und der Norden Indiens betroffen. Bis weit in den Süden des indischen Subkontinents waren die Erschütterungen noch zu spüren. Nepals Regierung hat über 29 Distrikte den Notstand verhängt.

Das Beben hat im Himalaja-Gebirge mehrere Lawinen ausgelöst. Betroffen war unter anderem das Basislager des bei westlichen Touristen beliebten Mount Everests, wo die Aufstiegssaison gerade begonnen hat. 22 Leichen und mehrere Verletzte wurden mit Hubschraubern geborgen, wie Suresh Acharya vom Tourismusministerium bekanntgab. Am Sonntag nachmittag (Ortszeit) wurden aber allein am Mount Everest noch 217 Personen vermisst.

Der Himalaja gehört zu den besonders von Erdbeben betroffenen Regionen der Welt. In den vergangenen Jahren wurde deswegen vermehrt über eine bebensichere Bauweise diskutiert. Besonders große Schäden waren im dicht besiedelten Kathmandu-Tal zu verzeichnen, in dem sich die gleichnamige 2,5-Millionen-Metropole befindet. Die meisten Gebäude hielten dem Beben nicht stand. Sie sind oft in traditioneller Weise lediglich aus Ziegeln und Holz errichtet. Neben zahlreichen Wohnhäusern stürzten in den drei alten Königsstädten Kathmandu, Patan und Bhaktapur auch zum Weltkulturerbe gehörende Tempel- und Palastbauten in sich zusammen. Bei mehr als 60 Nachbeben mit Stärken über vier schwankte der Boden auch noch am Sonntag immer wieder heftig.

Die Infrastruktur Nepals ist zu großen Teilen zerstört. Krankenhäuser, die dem Beben standhielten, sind der Menge der Verletzten nicht gewachsen. Schon unter normalen Umständen ist das Gesundheitssystem des bitterarmen Landes nicht in der Lage, die Bevölkerung ausreichend zu versorgen. Während der internationale Flughafen unbeschädigt blieb, sind wichtige Verbindungswege wie die Koshi-Schnellstraße, die von der Region um Pokhara ins südliche Terai-Tiefland führt, durch Erdrutsche blockiert.

Über den Airport kommt nun internationale Hilfe in das Land. Indische Fluglinien kündigten an, Material und Helfer vorrangig und kostenfrei zu transportieren. Die Regierung in Neu-Delhi schickte bereits mehrere Maschinen in das Nachbarland. Das erdbebenerfahrene Japan entsendet ebenso wie China und die Bundesrepublik Experten, die unter anderem beim Aufspüren von Verschütteten helfen sollen. Finanzielle Hilfe wurden etwa von der Asiatischen Entwicklungsbank zugesagt, die drei Millionen US-Dollar bereitstellen will. Ebenso kündigten die USA und Australien an, je eine Million Dollar zu zahlen.

* Aus: junge Welt, Montag, 27. April 2015


Messner fürchtet viel mehr Tote am Everest

19 Tote nach Staublawine im Basislager / 100 Bergsteiger sitzen am Berg fest / Fast alle Teams sagen Aufstiegsvorhaben ab / Neun Griechen haben Glück im Unglück **

Das Erdbeben in der Himalaya-Region hat auch eine gewaltige Staublawine am Mount Everest ausgelöst und Teile des Basislagers überrollt. Auch die Aufstiegsroute ist zerstört. Etwa 100 Bergsteiger sitzen am Berg fest. Glück im doppelten Unglück hatten neun griechische Bergsteiger: Weil sie von ihrem Bergführer bestohlen wurden, sind sie dem verheerenden Erdbeben in Nepal entgangen.

»Wir sind vergangene Woche in Kathmandu angekommen und haben dort festgestellt, dass unser Sherpa mit dem Geld verschwunden war, das wir ihm gegeben hatten«, sagte Nerit Sophokles Paitis, einer der Bergsteiger, am Sonntag dem griechischen Fernsehen. Seine Gruppe habe den Vorfall den nepalesischen Behörden gemeldet und schließlich beschlossen, am Freitag nach Griechenland zurückzukehren. Einen Tag später ereignete sich das Erdbeben. »Am Ende hatten wir Glück«, sagte Paitis. Allerdings hätten er und seine Kameraden Freunde in den Camps des Mount Everest, »die sehr schwere Zeiten durchleben«.

Mindestens 19 Menschen kamen ums Leben, als die mehrere Stockwerke hohe Staublawine das Zentrum des Basislagers traf. Das teilten die indischen Streitkräfte mit, die mit einem Expeditionsteam vor Ort sind. 65 Bergsteiger wurden laut Tourismusministerium verletzt.

Unter den Toten sind nach Angaben von Expeditionsleitern ein Australier, ein US-Bürger und ein Chinese. Die meisten Leichen seien noch im Basislager, sagte der Everest-Rettungskoordinator Ang Tshering Sherpa. Ihre Identität und Nationalität könne erst geklärt werden, wenn sie am Montag nach Kathmandu gebracht werden.

Damit starben in diesem Jahr am Mount Everest mehr Menschen als im vergangenen Jahr. Am 18. April 2014 waren beim bisher schwersten Unglück in der Geschichte des Everest-Bergsteigens 16 Nepalesen in einer Lawine ums Leben gekommen. Danach sagten fast alle Teams ihre Vorhaben ab. Der Extrembergsteiger Reinhold Messner sagte, er erwarte deutlich mehr Tote als die bisher gefundenen 19 Opfer.

Das Tourismusministerium versicherte, ein Fokus der Hilfskräfte sei es auch, die festsitzenden Urlauber in Sicherheit zu bringen. Allein aus dem Basislager am Mount Everest seien 82 Menschen ausgeflogen worden, sagte Suresh Man Shrestha vom Ministerium.

Derzeit ist die Hauptsaison am 8848 Meter hohen Berg wieder in vollem Gange - viele von denen, die im vergangenen Jahr umkehrten, sind wieder da. Zum Zeitpunkt der Katastrophe am Samstag hielten sich nach offiziellen Angaben etwa 1000 Bergsteiger, Wanderer und Träger rund um das Basislager auf. Eigentlich wollten in dieser Saison rund 400 Menschen auf den Gipfel.

Insgesamt würden in der Evererst-Region noch 100 bis 150 Menschen vermisst, sagte Santa Bir Lama, Vizepräsident der nepalesischen Bergsteigervereinigung, der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten seien in Camp 2 auf 6400 Metern. Er fürchtete, dass viele von ihnen unter Schneemaassen begraben liegen könnten. Ein Offizier der indischen Armee sagte dem indischen Sender NDTV, viele Menschen seien von der Außenwelt abgeschnitten und hätten keine Satellitentelefone. »Wir helfen so vielen, wie wir können.«

Der Bergstieger Alex Gavan schreibt auf Twitter: »Große Teile des Basislager sehen aus wie nach einer Atombombe. Große Verwüstung.« Als die Lawine kam, sei er aus seinem Zelt herausgeeilt und um sein Leben gerannt. Die Menschen seien unsicher - jederzeit könne eine neue Lawine herunterkommen. Mehrere Nachbeben erschütterten die Region.

Nach Angaben der Polizei in Lukla klärte sich das schlechte Wetter schließlich und Helikopter, die lange in Lukla bleiben mussten, konnten ins Basislager starten. Alle schwer Verletzten seien ins Tal gebracht worden. Einige wenige Bergsteiger seien auch aus den Camps oberhalb des Basislagers ausgeflogen worden, schreibt Gavan. Dort sind Helikopterflüge wegen der dünnen Luft extrem schwierig.

Mehr als 100 Bergsteiger säßen aber noch fest, schreibt Gavan weiter. Helikopter hätten Seile und Eisschrauben nach oben gebracht, um eine neue Abstiegsroute zu legen. Die einzige Route durch den gefährlichen Eisfall, die mit vielen Leitern große Gletscherspalten überwindet, wurde von der Lawine zerstört. Das schrieb der Bergsteiger Daniel Mazur von vor Ort auf seiner Homepage.

»Es war schrecklich hier im Camp 1. Lawinen auf drei Seiten«, schrieb Mazur auf Twitter. Er sei besorgt um das Team im Eisfall unterhalb von ihm. Adrian Ballinger schrieb von der Nordseite des Everest nach dem Nachbeben: »Ein weiteres großes. Richtig groß. Von den Bergen um das nordseitige Basislager fielen Felsen herab.« Die chinesisch-tibetische Bergsteigervereinigung habe alle gebeten, ins Basislager abzusteigen, bis die Nachbeben aufhören.

Temba Tsheri Sherpa von der Organisation Dreamers' Destination Treks and Expeditions fürchtet, die Zahl der Toten könne weiter steigen. Aus seinem Team seien zwei Nepalesen, ein Chinese und ein Australier unter den Toten. Das britische Unternehmen Jagged Edge bestätigte auf seiner Webseite außerdem, dass der Bergsteiger und Google-Ingenieur Dan Fredinburg starb.

** Aus: neues deutschland, Montag, 27. April 2015


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