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Nepal wartet auf eine Regierung

Neun Wochen nach der Wahl trat endlich die Volksvertretung zusammen

Von Hilmar König, Delhi *

Neun Wochen nach Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung hat Nepal noch immer keine Regierung. Am Sonntag trat erstmals die im November gewählte Volksvertretung zusammen.

In Nepal hofft man, dass im Verlauf dieser Woche zumindest der Premier sein Amt übernehmen kann. Staatspräsident Ram Baran Yadav forderte, bis zum 2. Februar die neue Regierung aus der Taufe zu heben.

Dieser Prozess zieht sich hin, weil es zwischen der bürgerlichen Partei Nepali Congress (NC) und der KP Nepals (Vereinte Marxisten-Leninisten), die bei der Novemberwahl zur verfassunggebenden Versammlung (faktisch das Parlament) die meisten Stimmen erhielten, bisher zu keiner Einigung über die Verteilung der Ministerposten gekommen ist. Außerdem will die KPN (VML) eine Neuwahl des Staatsoberhauptes und seines Stellvertreters. Daran zeigt der NC kein Interesse. Inzwischen entschied der Höchste Gerichtshof in Kathmandu, die Präsidentenwahl solle erst nach der Annahme einer neuen Verfassung stattfinden.

Erster Anwärter auf den Posten des Regierungschefs ist der 78 Jahre alte Sushil Koirala, Vorsitzender des NC. Am Sonntag rief er alle Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg dazu auf, sich Zeit für die Ausarbeitung des Grundgesetzes zu nehmen. Ziel sei, die Verfassung innerhalb eines Jahres zu verabschieden. Eben das bezeichnete der Vorsitzende des geschäftsführenden Ministerrates, Richter Khil Raj Regmi, als Hauptaufgabe, damit die »schwer erkämpften Errungenschaften institutionalisiert« werden können.

Im Jahre 2006 war mit einem Friedensabkommen ein zehn Jahre währender Krieg gegen die feudale Monarchie beendet, 2008 waren erste freie Wahlen durchgeführt und die Republik proklamiert worden.

Auf eine neue Verfassung konnten sich die Parteien jedoch in den fast sechs vergangenen Jahren nicht einigen. Es erwies sich als zu komplex, die Interessen von 125 ethnischen Gruppen, die 127 Sprachen sprechen, von Dutzenden hinduistischen Kasten und Bewohnern völlig unterschiedlicher geografischer Regionen auf einen Nenner zu bringen. Die Gestaltung der föderalen Struktur der Himalaja-Republik und die Regierungsform erwiesen sich als Hauptprobleme.

Nun gelobten jedoch alle Parteiführer, diese Hürden in absehbarer Zeit zu überwinden. Pushpa Kamal Dahal, Chef der Vereinten KP Nepals (Maoistisch), die bei der Wahl eine schwere Niederlage hinnehmen musste und nur noch drittstärkste Fraktion in der Volksvertretung ist, sprach sich dafür aus, an der Formulierung des Grundgesetzes sollten auch jene Parteien mitwirken, die die Parlamentswahl boykottiert hatten. Das trifft vor allem auf die abgesplitterte radikale maoistische Gruppe um Mohan Baidiya zu. Kamal versicherte, als konstruktive Opposition zu fungieren, und schloss damit die Installierung einer Regierung des nationalen Konsenses aus. Zudem verlangte er die Bildung eines unabhängigen Gremiums, das nach Einschätzung seiner und einiger anderer Parteien »Wahlfälschungen« untersuchen soll. Für die Marxisten-Leninisten, so machte ihr Chef Jhala Nath Khanal klar, hat neben der schnellen Bildung des Kabinetts eine Wahl des Präsidenten sowie lokaler Körperschaften Priorität.

Unterdessen wartet das 27-Millionen-Volk, dass sich der Wechsel von der Monarchie zur Republik endlich deutlich in ihrem Alltag niederschlägt, dass sich die Lebensverhältnisse für die Armen verbessern, sich die Versorgung mit Wasser und Strom normalisiert und es mehr Jobs gibt. Mindestens sechs Millionen Nepalesen müssen den Lebensunterhalt für ihre Familien in Indien, den Golfstaaten oder in Südostasien verdienen. Unter der politischen Instabilität litten in den letzten Jahren die Wirtschaft und der Tourismus.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 29. Januar 2014


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