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Maori streben nach mehr Autonomie

Neuseelands Ureinwohner haben einen schweren Stand in der Politik

Von Peter Steiner, Wellington *

Die Parlamentswahlen 2008 in Neuseeland werfen ihre Schatten voraus. Am 12. April findet in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington der Wahlkongress der regierenden Labour statt. Innerhalb des Veranstaltungsgebäudes kann Premierministerin Helen Clark Beifall von den Delegierten erwarten, außerhalb nicht. Dort hat die Gruppe »October 15th Solidarity« zu Protesten wegen der Regierungspolitik gegenüber den Maori aufgerufen.

Der Vorwurf hatte es in sich: 17 indigenen und anarchistischen Aktivisten wurde unterstellt, an »terroristischen Trainingslagern« im Urewera-Wald, im Gebiet des Tuhoe Maori-Stammes, teilgenommen zu haben. Von Molotow-Cocktails, Napalm, Trainingsbüchern der paramilitärischen Irisch-Republikanischen Armeen und geplanten Anschlägen auf den US-Präsidenten George Bush war die Rede. Zwölf der Angeklagten sollten unter dem Anti-Terror-Gesetz angeklagt werden. Ganz so schlimm kommt es nun nicht, da dem Generalstaatsanwalt der Terrorvorwurf zu dick aufgetragen war. Stattdessen steht den Aktivisten im Herbst ein Prozess wegen illegalen Waffenbesitzes bevor.

Auf Solidarität können die Aktivisten bauen. Den Wahlkongress der regierenden Labour Party in Neuseelands Hauptstadt Wellington am 12. April hat die Gruppe »October 15th Solidarity« zum Anlass genommen, gegen die Ureinwohnerpolitik in Neuseeland und für die Angeklagten zu demonstrieren. Der Name der Solidaritätsgruppe kommt nicht von ungefähr. Das Datum bezieht sich auf den 15. Oktober 2007, der Tag, an dem in einer massiven landesweiten Repressionswelle 40 Häuser und Projekte von 300 Polizisten durchsucht und 17 Menschen verhaftet wurden. Die Razzien waren das Ergebnis einer mehr als einjährigen Operation, bei der die Polizei unter Berufung auf das Anti-Terror-Gesetz über Monate hinweg Telefone und Wohnungen abgehört und Menschen überwacht hatte.

Bei den Angeklagten handelt es sich weitgehend um indigene und anarchistische Aktivisten, die in der Maori-Selbstbestimmungsbewegung Tino Rangatiratanga engagiert sind. Unter den Maori, der indigenen Bevölkerung Neuseelands, und insbesondere unter dem Stamm der Tuhoe, gibt es seit Langem Bestrebungen, mehr Souveränität zurückzuerlangen.

Während die Aktivisten vier Wochen lang in Untersuchungshaft verbrachten, gründete sich draußen die Gruppe »October 15th Solidarity«. Die Gruppe will auf den politischen Charakter des Prozesses hinweisen und durch eine breit angelegte Solidaritätskampagne erreichen, dass die Anklagen fallengelassen werden. Dabei ist die Resonanz groß. Schon kurz nach den Verhaftungen demonstrierten tausende Menschen in allen größeren Orten Neuseelands und es gab Solidaritätskundgebungen in Melbourne, Berlin, Athen, Den Haag und anderen Orten.

In der Tat ist es schwer zu glauben, dass die Verhaftungen keinen politischen Hintergrund haben. Während die Regierung beteuert, dass es sich um eine rein polizeiliche Maßnahme handelte, ist bekannt geworden, dass das Kabinett wenige Tage vor der Operation von der Polizeiführung informiert wurde. Und wer sich mit der politischen Szene in Wellington auskennt, weiß, dass es undenkbar ist, dass eine solche Maßnahme ohne die ausdrückliche Zustimmung von Helen Clark hätte stattfinden können.

Die Bestrebungen der Tuhoe nach Unabhängigkeit sind so alt wie die Unterdrückung durch die Kolonialmacht. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es wiederholte Angriffe der Regierung auf Siedlungen der Tuhoe, bei denen unter dem Vorwand, flüchtige Verbrecher zu suchen, Dörfer zerstört und Land beschlagnahmt wurde. Dabei geht es den Maori nicht um die Gründung weiterer Nationalstaaten, sondern vielmehr um die kulturelle und sprachliche Selbstständigkeit sowie um den Zugriff auf natürliche Ressourcen.

Die seit neun Jahren regierende Labour Party führt die Politik der Unterdrückung und des Landraubs fort. So wurde 2004 das Land zwischen Hoch- und Niedrigwasserpegel (Marschland) sowie der Meeresboden trotz großer landesweiter Proteste mit Hilfe eines im Schnellverfahren durchgepaukten Gesetzes konfisziert und kann nun privatisiert werden. Auch ist Neuseeland, zusammen mit Kanada, Australien und den USA, eines von nur vier Ländern, die letztes Jahr in der UNO gegen die Annahme der »Deklaration der Rechte Indigener Völker« gestimmt haben.

Der Vertrag von Waitangi, der 1840 zwischen der englischen Krone und etwa 500 Maori-Häuptlingen unterzeichnet wurde (allerdings nicht von den Tuhoe), ist Zentrum der Debatte um indigene Souveränität. Emily Bailey vom Te Atiawa Stamm -- auch sie wurde am 15. Oktober verhaftet -- schlägt vor, dem Vertrag die kalte Schulter zu zeigen. »Für viele Maori hat es nie irgendein Übereinkommen gegeben, unsere Souveränität aufzugeben. Und wir haben nie zugestimmt, unsere Heiler, unsere Sprache, unsere geschnitzten Versammlungshäuser oder unser Recht aufzugeben, gegen diejenigen zu rebellieren, die uns vergewaltigt, ermordet und bestohlen haben.«

Als weltweit in der Folge des 11. September 2001 neue Anti-Terrorismus Gesetze eingeführt wurden, stand auch die Neuseeländische Labour Party nicht abseits. Das 2002 erlassene Gesetz gibt der Polizei weitgehende Rechte, Menschen zu überwachen. Parallel dazu wurden die Budgets der Geheimdienste um das Dreifache erhöht. Valerie Morse, eine der verhafteten Anarchistinnen, schreibt in ihrem, nur wenige Monate vor den Razzien erschienenen, Buch »Against Freedom«: »Mit größeren Budgets für Polizei und Geheimdienste kamen neue Werk- und Spielzeuge für die Überwachung der Bevölkerung. Die Technologie des 21. Jahrhunderts erlaubt es, riesige Datenmengen aus unserem Alltag zu sammeln. Betroffen von dieser Überwachung sind mehrheitlich die am Rande der Gesellschaft Stehenden -- Flüchtlinge, Migranten, das Prekariat, Anarchisten, politische Aktivisten, Maori und Muslime.« Die Ereignisse vom 15. Oktober geben Morse Recht.

Morse steht zusammen mit mittlerweile 18 weiteren Angeklagten vor Gericht. Die Vorverhandlung dieses vermutlich aufwendigsten Prozesses in der Geschichte Neuseelands ist für vier Wochen im September angesetzt.

Um das Interesse an dem Prozess unter der meist politisch apathischen Bevölkerung Neuseelands zu erhalten, wird die Solidaritätsgruppe die kommenden Monate viel zu tun haben. Zumal parallel der Kampf für indigene Autonomie weitergeführt wird.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2008


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