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Razzien und Dialog

Nigerias Armee meldet Verhaftung hochrangiger Mitglieder der islamistischen Boko Haram. Zick-Zack-Kurs der Regierung im Kampf gegen Sekte kritisiert

Von Simon Loidl *

Der nigerianischen Armee ist nach eigenen Angaben ein Schlag gegen die islamistische Sekte Boko Haram gelungen. Mehrere Anführer der Organisation seien am Dienstag festgenommen worden. Namen nannten die Militärs nicht, gaben aber an, es handle sich um »hochrangige« Mitglieder der Sekte. Zuvor hätten Soldaten mehrere Boko-Haram-Camps in den im Norden des Landes gelegenen Bundesstaaten Yobe und Borno durchsucht. Dabei seien unter anderem Waffen und Sprengstoff gefunden worden, wie etwa die Tageszeitung Daily Trust unter Berufung auf einen Armeesprecher berichtete.

Für die Ergreifung der Führungskader von Boko Haram waren mehrere Millionen Naira an Belohnung ausgelobt worden. Allein für Abubakar Shekau, den derzeitigen Anführer der Organisation, sind laut Daily Trust 50 Millionen Naira (235000 Euro) Kopfgeld ausgesetzt. Ob sich einer der steckbrieflich Gesuchten unter den nun angeblich Festgenommenen befindet, ist bislang allerdings unklar. Ausführlicher präsentierte die Armee hingegen Waffen und anderes Material, das bei den Operationen in den Boko-Haram-Camps gefunden worden sei. So seien neben elektronischen Geräten wie Computern auch Raketen und Raketenwerfer sichergestellt worden. Zudem seien zahlreiche Hinweise auf geplante Operationen der Sekte gefunden worden, sagte der Armeesprecher laut Daily Trust. Die Erfolgsmeldung kam nur wenige Stunden, nachdem neuerliche Drohungen der Sekte bekannt geworden waren. Boko-Haram-Mitglieder waren Anfang der Woche in der Stadt Bama in Borno von Haus zu Haus gegangen und hatten die christlichen Bewohner und Staatsangestellte aufgefordert, die Stadt binnen einer Woche zu verlassen. Andernfalls würden sie riskieren, getötet zu werden. Dies berichtete das englischsprachige Programm der Deutschen Welle am Dienstag. Hunderte Menschen seien daraufhin aus Bama und Gwoza nach Maiduguri, die Hauptstadt des Bundesstaates, geflohen.

Beobachter kritisieren, daß die nigerianische Regierung durch ihre Doppelstrategie aus Dialogangeboten und militärischer Bekämpfung eine Lösung des seit Jahren bestehenden Konflikts erschweren würde. Kurz nachdem Nigerias Präsident Goodluck Jonathan im Mai die Einsetzung einer Kommission verkündet hatte, die eine Amnestieregelung für Boko-Haram-Mitglieder ausarbeiten soll, begann die Armee des Landes eine Offensive in mehreren nördlichen Bundesstaaten, die als Hochburgen der Sekte gelten. In den vergangenen Tagen wurde erneut deutlich, daß die Behörden versuchen, der Situation mit einer Mischung aus Repression und Zugeständnissen Herr zu werden. Kurz nach der Meldung über die Verhaftungen verlautbarten nigerianische Behörden, daß die strengen »Sicherheitsbestimmungen« in den Bundesstaaten Adamawa und Yobe bald gelockert werden könnten. Mit Beginn der Armeeoffensive im Mai waren unter anderem Ausgangssperren verhängt worden. Lokale Politiker sprachen angesichts von umfangreichen Razzien und großen Militäroperationen von einer »indirekten Kriegserklärung« gegen den Norden Nigerias. Nun sollen einige der Repressionsmaßnahmen zumindest vorübergehend entschärft werden, um den islamischen Bewohnern der Region die Teilnahme an den Feiern zum am 9. Juli beginnenden Ramadan zu ermöglichen. Das berichtete die Zeitung This Day am Mittwoch.

Die religiöse Komponente des Konflikts in Nigeria, die vor allem in westlichen Medien oft hervorgehoben wird, überlagert die zugrunde liegenden sozialen Ursachen. Im Zusammenhang mit dem Ölsektor des Landes hat sich während der vergangenen Jahrzehnte ein komplexes System aus Korruption und Diebstahl der Öleinnahmen entwickelt. Dies führte dazu, daß Nigerias Bevölkerung zu den ärmsten Afrikas zählt, obwohl das Land eines der ressourcenreichsten des Kontinents ist.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. Juni 2013


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