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Die Davids vom Niger

Dauerwiderstand gegen Konzernmacht: Volksgruppe in Nigeria will Ölmulti Shell wegen Umweltkatastrophe in London vor Gericht bringen

Von Thomas Berger *

Es ist gut ein halbes Jahr her, daß der Ölmulti Royal Dutch Shell formell seine Verantwortung an der Umweltkatastrophe im Niger-Delta einräumte. Im nigerianischen Ogoniland sind den Untersuchungen zufolge vor allem in den Jahren 2008 und 2009 Zehntausende Liter Öl in Boden und Wasser eines Küstenabschnittes gelangt. Ursache waren undichte Leitungen. Nach einem langen Kampf mit den Anwälten des Fischervolkes der Bodo gab das Unternehmen vergangenen August eine gewisse Schuld zu. Shell, das führend an der Ausbeutung nigerianischer Ölfelder beteiligt ist, versprach eine angemessene Entschädigung und die Beseitigung der Schäden. Diese Verhandlungen sind nun faktisch gescheitert. Die Anwälte der Bodo kündigten deshalb an, statt eines solchen Vergleiches eine Verurteilung des Konzerns vor einem britischen Gericht erreichen zu wollen. Die Royal Dutch Shell Plc. ist in London registriert, die Konzernzentrale befindet sich in der niederländischen Hauptstadt Den Haag. Shell zählt zu den weltweit zehn größten Wirtschaftsunternehmen und erzielte 2011 bei einem Umsatz von 470 Milliarden US-Dollar einen Gewinn von knapp 31 Milliarden Dollar (23,5 Milliarden Euro). Nigerias Bruttoinlandsprodukt belief sich 2010 auf knapp 378 Milliarden Dollar – und das bevölkerungsreichste Land Afrikas zählt zu den wirtschaftlich stärksten des Kontinents.

Es ist also ein Kampf David gegen Goliath – und einer, der nun schon wenigstens zwei Jahrzehnte andauert. Öl ist der wichtigste Reichtum Nigerias. Gemessen an den hier lagernden Reserven und der inzwischen langen Zeit der Förderung, müßte der Vielvölkerstaat zu den mit Abstand reichsten Nationen des Kontinents zählen. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar haben auch in vielen anderen afrikanischen Ländern die Petrodollar nicht dazu beigetragen, der Masse der Bevölkerung gesteigerten Wohlstand zu verschaffen. Doch kaum in einem anderen Fall ist das Mißverhältnis zwischen erzielten Profiten und dem wenigen, was bei den normalen Bürgern ankommt, so extrem wie in Nigeria. Weder die frühere Militärdiktatur noch die jetzt demokratischen Regierungen haben verhindert, daß sich lediglich eine kleine Clique bereichert und die Ölgesellschaften den größten Teil der Erlöse aus der Ausbeutung der Vorkommen einstreichen. Zurück bleiben eine zerstörte Umwelt und neue Konflikte.

Nirgendwo ist dies offensichtlicher als im Ogoniland mitten im Mündungsdreieck von Afrikas drittgrößtem Strom. Hier hatte sich die Regierung lange Zeit in besonderer Weise zum Helfershelfer der Ölmultis à la Shell gemacht. 1995 mündete diese Kollaboration in der Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und acht weiterer Bürgerrechtler. Der Träger des Alternativen Nobelpreises war prominentester Fürsprecher der geplagten Bevölkerung im Niger-Delta und bezahlte sein Aufbegehren gegen die Verquickung einheimischer Politik und Profitgier der Ölmultis mit dem Leben. Seit seiner Ermordung hat sich ein Teil der Bewegung radikalisiert, kämpfen verschiedene Gruppen in der Region auch gewaltsam für eine Teilhabe an den Gewinnen.

Die Bodo sind eine kleine Gemeinschaft von knapp 70000 Menschen, die seit alters her vor allem vom Fischfang leben. Dies ist nicht mehr möglich, weil wenigstens 2000 Hektar durch die undichten Pipelines verseucht sind. Abgestorben sind die ursprünglichen Mangrovenwälder der Gegend, und eine Beseitigung der ökologischen Schäden, so sie überhaupt je möglich ist, wird wenigstens 30 bis 50 Jahre in Anspruch nehmen. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Studie, die die Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEP) 2011 erstellt hat. Obwohl auf Druck der neuen nigerianischen Regierung sogar von Shell mitfinanziert, macht das umfangreiche Papier den Konzern für eine Umweltkatastrophe verantwortlich, die in ihrem Umfang mindestens der beim Untergang des Tankers Exxon Valdez vor der Küste Alaskas entspreche.

Die UNEP-Experten hatten in einem Zeitraum von 14 Monaten 200 Orte und 122 Kilometer Pipelines untersucht, auf Dorfversammlungen mit 23000 Einwohnern des betroffenen Gebietes gesprochen, 5000 medizinische Befunde ausgewertet und 4000 Proben aus 178 Brunnen und 780 Bodenbohrungen analysiert. Das zusammenfassende Urteil fiel vernichtend aus: Den vorherigen Status hinsichtlich Boden- und Wasserqualität wiederherzustellen und das Ökosystem rund um Mangrovenwälder und die Mündung von Flußläufen neu zu beleben, sei vermutlich die größte Herausforderung, vor der man global hinsichtlich Ölschäden bisher je gestanden habe. Allein das Trinkwasser, so die Auswertung der Proben, sei so verseucht, daß die Werte für toxische Stoffe teilweise 900-fach über den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegten Grenzen liegen. UNEP-Chef Achim Steiner betonte bei der Vorlage der Studie, daß die Bevölkerung in Ogoniland gut 50 Jahre nach Beginn der Ölförderung „einen hohen Preis zahle“. Nicht einmal Shells konzerneigene Mindestvorschriften fänden Umsetzung, kritisierte das UN-Team.

Mit seinem Schuld-Teileingeständnis in Reaktion auf die Bodo-Forderung hatte Shell einmal mehr versucht Zeit zu gewinnen und den Druck abzumildern. Diese Rechnung ging offensichtlich nicht auf: Die bevorstehende Klage vor dem britischen High Court wäre in dieser Form die erste, der sich der Konzern auf quasi heimischem Parkett stellen muß. Die Bodo hatten neben einer Entschädigung für die Vernichtung ihrer Existenzgrundlage umgerechnet 100 Millionen US-Dollar zur Beseitigung der ökologischen Schäden kalkuliert. Diese Forderung könnte nun deutlich nach oben korrigiert werden und vor dem Hintergrund der UNEP-Studie dürfte es Shell schwer fallen, sich herauszuwinden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. April 2012


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