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Nigerias tödliches Öl

Zehn Jahre nach dem staatlichen Mord an Ken Saro Wiwa laufen die Geschäfte des Ölmultis Shell in Westafrika so gut wie nie

Von Wolfgang Pomrehn*

Keiner weiß, wer die Shell-Pipeline im Niger-Delta gesprengt hat. Auch eineinhalb Wochen nach der Explosion nahe der nigerianischen Küste, bei der acht Menschen getötete wurden, gibt es noch keine genauen Angaben über die Täter. Agenturberichten zufolge hatten bewaffnete Männer im Bundesstaat Rivers die Explosion vermutlich mit Dynamit ausgelöst. Der britisch-niederländische Ölmulti mußte für mehrere Tage seine Produktion drosseln und förderte täglich 180000 Barrel (Faß, 159 Liter) weniger.

Die Gewaltausbrüche kommen nicht überraschend. Die Region ist extrem ölreich, seine Bevölkerung bettelarm. Rund 20 Millionen Menschen leben in der Mündungsregion des Niger. Vom Reichtum unter ihren Füßen bleibt ihnen allenfalls die Verschmutzungen durch auslaufendes Öl und abgefackeltes Erdgas. Das wird sich auch mit den neuen Offshore-Förderanlagen, dem sogenannten Bonga-Feld, nicht ändern, die Shells nigerianische Tochter 120 Kilometer vor der Küste des bevölkerungsreichsten afrikanischen Staates gerade in Betrieb genommen hat.

Förderung offshore

In einer Wassertiefe von mehr als 1000 Metern will der drittgrößte Ölkonzern der Welt 16 Bohrungen niederbringen und 225000 Barrel Öl pro Tag sowie eine nicht genannte Menge Erdgas fördern. Das erste Öl wurde bereits im November an die Oberfläche gepumpt. Ein schwimmender Tank nimmt es auf, bevor es auf Schiffe verladen und direkt nach Europa oder in die USA exportiert wird.

Wenn das Bonga-Feld 2006 seine volle Kapazität erreicht hat, wird die nigerianische Tagesförderung 2,75 Millionen Barrel betragen. Die Regierung des Landes plant bis 2010 die Förderung auf vier Millionen Barrel täglich auszuweiten. Weitere Lizenzen für Offshore-Ölfelder sind bereits an die Konzerne Chevron (USA), Exxon (USA) und Total (Frankreich) vergeben.

Um welch gigantischen Reichtum es sich hier handelt, machen einige Zahlen deutlicher: Vier Millionen Barrel würden beim gegenwärtigen Weltmarktpreis von etwa 50 US-Dollar pro Faß etwa 200 Millionen Dollar Einnahmen täglich ergeben. Das wären sechs Milliarden Dollar monatlich, aufs Jahr gerechnet würden Werte von gut 70 Milliarden US-Dollar aus Nigerias Boden gepumpt. Da bleibt nach den billigen Gestehungskosten von fünf bis sieben Dollar pro Barrel auf See und zwei Dollar an Land ein erklecklicher Profit.

Ein Teil dieses Profits wird an die Zentralregierung Nigerias in Abuja gehen, die damit u.a. ihre Auslandsschulden bezahlt – Schulden, die einst von einer korrupten Militärdiktatur gemacht worden sind. Nigerias Arme aber, etwa 70 Prozent der Bevölkerung, werden wie immer leerausgehen. Wenn die Vorräte in zehn bis zwanzig Jahren erschöpft sind, wird ihnen nichts bleiben als verrostete Förderanlagen, die nach und nach giftige Chemikalien an die Umwelt abgeben.

Solche Aussichten erklären auch die Gewalt im Niger-Delta. Mitte der 90er Jahre hatte der Schriftsteller Ken Saro Wiwa eine gewaltfreie Protestbewegung gegen die Umweltzerstörung durch Shell organisiert. Doch die damalige Junta ließ ihn 1995 auf Grund offensichtlich fingierter Mordvorwürfe hängen. Seitdem haben viele dort zur Waffe gegriffen, um sich zu wehren, oder auch nur um ganz individuell ihren Teil vom Ölkuchen durch Entführung und Erpressung abzuschneiden. Manchmal legen Anschläge bis zu einem Drittel der Ölförderung des Landes lahm. Ursprünglich war dies ein wesentliches Motiv, die Küsten zu verlassen und fernab des unruhigen Deltas nach Öl zu suchen. Inzwischen verspricht allerdings der Weltmarktpreis auch unter schwierigen Bedingungen ein lukratives Geschäft, und zwar nicht nur vor den Küsten Nigerias.

Schutzmacht USA

Von Gabun über Äquatorial-Guinea bis nach Sierra Leone und Liberia – überall werden Offshore-Lagerstätten vermutet. Die ungewöhnliche geologische Geschichte der Region hat dort Erdöl und -gas in großen Mengen entstehen lassen. Heute ist sie daher strategisch interessant, weckt Begehrlichkeiten. Die USA haben Nigeria bereits mit Kriegsschiffen zur Kontrolle seiner Küste und des Deltas ausgerüstet. Auch gemeinsame Manöver wurden schon veranstaltet. Mitte Dezember hielt US-Botschafter John Cambell zusammen mit Funso Kupolokun, dem Chef der staatlichen nigerianischen Ölgesellschaft, eine Pressekonferenz ab. Washington habe keine Pläne für eine Militärbasis im Golf von Guinea, ließ Cambell wissen. Man biete der nigerianischen Regierung lediglich militärisches Training an und tausche »Ideen über den Konflikt im Delta aus«. Die Herausforderung sei, so der US-Botschafter, »den Übergang vom Konflikt zum nachhaltigen Frieden« zu bewerkstelligen. Womit natürlich ausschließlich die Sicherung der Ölförderung gemeint ist. Allerdings sind die USA keineswegs als Experten für Friedensstiftung bekannt. Und das nigerianische Militär, das seinerzeit Ken Saro Wiwa ermordet hat, wird weiter für die Ölkonzerne die Polizeidienste erledigen.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2005


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