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Nigerias Oberster Gerichtshof entscheidet gegen Aluminiumgiganten Rusal: Privatisierung eines heimischen Produzenten im Jahr 2007 war nichtig

Von Thomas Berger *

Wem gehört Alscom? Das ist eine der großen Fragen, die in nigerianischen Medien momentan eifrig diskutiert werden. Dabei ist zumindest formell völlig klar, wer rechtmäßiger Eigner des Unternehmens (Aluminium Smelter Company) ist. Denn der Supreme Court, oberster Gerichtshof des bevölkerungsreichsten afrikanischen Staates, hat in einer einmütigen Entscheidung festgelegt, daß der Verkauf des heimischen Aluminiumschmelzers nichtig ist. Damit ist der russische Weltmarktgigant UC Rusal, der die Firma in den vergangenen sechs Jahren unter seiner Regie betrieben hat, faktisch enteignet. Statt dessen gehe Alscom an die US-amerikanische Bancorp Financial Investment Group (BFI), urteilten die Richter. Rusal (Russkij Aluminii) will den Richterspruch nicht anerkennen, das Management pocht weiter auf die Rechtmäßigkeit des damaligen Kaufs.

Alscom ist ein nigerianisches industrielles Großunternehmen und zählte einst zum staatlichen Tafelsilber. Das wurde und wird seit einigen Jahren von der Regierung in Abuja systematisch verscherbelt – ganz im Sinne der neoliberalen Weltdoktrin, wonach Wirtschaft eine Privatangelegenheit sei. An einstiegswilligen Investoren hat es bei Alscom nicht gemangelt. In einem Bieterverfahren hatte die Behörde für öffentliche Unternehmen (BPE) 2004 eine Mehrheitsbeteiligung am Unternehmen ausgeschrieben. Mit einer Produktion von jährlich 120000 Tonnen des Leichtmetalls gehört das Unternehmen weltweit gesehen eher zur zweiten Reihe der Großproduzenten (Rusal selbst ließ 2008 mit rund 75000 Beschäftigten in 19 Ländern fast 4,5 Millionen Tonnen herstellen). Interessiert an Alscom war neben Rusal BFI. Der Investmentfonds bot mit 410 Millionen US-Dollar doppelt so viel wie die Russen (205 Millionen US-Dollar). Folgerichtig galten die US-Amerikaner als Favorit und der Deal als so gut wie besiegelt. Doch während des schon laufenden Übernahmeprozesses vollzog die nigerianische Behörde einen Schwenk und verkaufte plötzlich an Rusal.

Der Weltkonzern gehört dem umtriebigen Großspekulanten Oleg Deripaska. Der Mann gilt als der Sieger des »Aluminiumkrieges« im Rußland der 90er Jahre. Kaum ein Wirtschaftszweig war in der Jelzin-Ära stärker von mafiosen Gruppierungen umkämpft als das Geschäft mit dem nach Stahl zweitwichtigsten Industriemetall. Deripaska hatte im März 2007 den großen heimischen Konkurrenten Sual (Sibirian Urals Aluminium) des ebenso suspekten Multimilliardärs Viktor Wechselberg sowie das Aluminiumgeschäft des weltgrößten Rohstoffhändlers Glencore (Sitz in der Schweiz) übernommen und war in der Branche auf Platz eins vorgestoßen. Im selben Jahr strebte Rusal nach einer bestimmenden 80-Prozent-Mehrheit an Alscom.

Was in Rußland klappte, gelang auch in Nigeria. BFI zog zwar gegen die Behörde vor Gericht, mußte in zwei Prozessen aber am Ende eine Niederlage einstecken. Erst der Oberste Gerichtshof erklärte jetzt die damalige Entscheidung für den unterlegenen Konkurrenten als hinfällig. Zur Begründung heißt es, die Behörde BPE hätte nicht mitten im Verfahren plötzlich die Regeln ändern dürfen. Damit meint der Supreme Court den Umstand, daß die US-Amerikaner laut den ursprünglich geltenden Vorschriften 15 Tage nach Vertragsabschluß Zeit gehabt hätten, um zehn Prozent der Kaufsumme zu zahlen. BPE hatte jedoch unter Verweis darauf, daß das Geld 15 Tage nach der Mitteilung über den Zuschlag noch nicht überwiesen war, den Deal platzen lassen und an Rusal verkauft.

Dort gab sich die Firmensprecherin gegenüber verschiedenen Nachrichtenagenturen unbeeindruckt von dem Urteil. Der Richterspruch, so die derzeitige Firmendevise, »betrifft lediglich Ansprüche von BFI gegenüber BPE und somit dem nigerianischen Staat«. Mit Rusals Eigentümerschaft an Alscom habe dies »nichts zu tun«.

Unklar bleibt, was die Vertreter der Behörde seinerzeit bewogen hatte, die Vergabebedingungen mitten im Verfahren zu ändern – was letztlich die Staatskasse um die Hälfte des zu erzielenden Erlöses brachte. Nicht ausgeschlossen wird von Beobachtern, daß Schmiergelder geflossen sind. Nigeria zählt zu den Staaten, in denen das Alltag ist.

Auch auf andere Privatisierungsfälle soll jetzt noch einmal ein prüfender Blick geworfen werden. Die Alscom-Belegschaft hat derweil den Richterspruch begrüßt. Die Arbeiter in der Aluminiumschmelze waren erst im Februar dieses Jahres in den Ausstand getreten, um bessere Entlohnung durchzusetzen. Die russischen Eigner hatten zuvor selbst die Regelungen zum Mutterschutz im Betrieb zurückgefahren. Nach drei Wochen wurde der Streik abgebrochen, eine Einigung legte eine Erhöhung lediglich des Basislohns um 25 Prozent fest – deutlich weniger als gefordert. Zudem hatten die Belegschaftsvertreter kritisiert, daß Rusal anders als versprochen nicht in eine Modernisierung der Anlagen investiert habe, weshalb man nur bei zwölf Prozent der Kapazitäten produziere. Ob die US-amerikanischen Investoren arbeiterfreundlicher agieren, bleibt wohl abzuwarten. Ebenso der Ausgang des komplexen Verfahrens.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Juli 2012


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