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Shell kauft sich mit Peanuts frei

Ölkonzern zahlt 15,5 Millionen Dollar an Familien hingerichteter Bürgerrechtler in Nigeria

Knapp 14 Jahre nach der Hinrichtung des nigerianischen Schriftstellers und Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa und acht anderer Aktivisten hat sich der Ölkonzern Shell außergerichtlich zur Zahlung von 15,5 Millionen Dollar bereit erklärt. Saro-Wiwa hatte Shell und anderen Ölkonzernen vorgeworfen, einen »ökologischen Krieg« gegen das Ogoni-Volk im Nigerdelta zu führen.

Berlin (ND-Ling/Agenturen). Die Meinungen stehen sich diametral gegenüber: »Der Vergleich zeigt eindeutig, dass Shell schuldig ist«, erklärte Nnimmo Bassey, Sprecher von »Friends of the Earth Nigeria« gestern in Lagos. »Wenn Shell das Gegenteil behauptet, dann facht es damit nur neue Unruhen im Nigerdelta an«, sagte Bassey.

Das ficht den Konzern freilich nicht an. Die Zahlung solle kein Schuldanerkenntnis, sondern eine menschliche Geste sein. Beim Tod des nigerianischen Schriftstellers und Trägers des alternativen Nobelpreises Ken Saro-Wiwa und seiner Mitstreiter habe Shell keine Rolle gespielt. Der Konzern hatte sich am Montag (Ortszeit) in New York zur Zahlung von 15,5 Millionen US-Dollar verpflichtet. 5 Millionen davon fließen nach Angaben des Anwaltes Paul Hoffman in einen Treuhandfonds zur Unterstützung der Menschen in der Region Ogoni. Der Rest gehe an die Kläger, außerdem würden von dem Geld die Gerichtskosten beglichen.

Insgesamt neun Aktivisten, die »Ogoni Neun«, waren 1995 unter der Militärdiktatur Sani Abachas hingerichtet worden, nachdem sie erfolgreich gewaltfreie Proteste gegen die Vernachlässigung der Bevölkerung im Nigerdelta und gegen weitreichende Umweltzerstörungen angeführt hatten.

Hoffman sagte der britischen BBC: »Wir haben gegen Shell 13 Jahre lang einen Prozess geführt, jetzt werden die Kläger für die Menschenrechtsverstöße entschädigt, die sie erlitten haben.« Die Familien der Hingerichteten hatten das Unternehmen beschuldigt, an Mord und Folter durch das frühere nigerianische Militärregime beteiligt gewesen zu sein. Ziel sei es gewesen, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Vor einem Gericht in New York sollten ursprünglich in der kommenden Woche Details über die Aktivitäten von Shell im ölreichen Nigerdelta in den 90er Jahren offengelegt werden. Mit der jetzt erzielten Einigung erspart sich der Konzern einen peinlichen Prozess. Der Sohn von Saro-Wiwa, Ken Wiwa, sagte dem TV-Sender CNN: »Sie (die Einigung) ermöglicht es uns, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen.«

Für die Umweltschützer geht es derweil nicht um einen Schlussstrich sondern um einen Anfang. »Shell zahlt zwar nur eine kleine Summe, aber der Vergleich ist ein wichtiger Schritt, eine Ouvertüre für das, was Shell und die anderen Ölmultis noch erwartet«, sagte Bassey. »Dieser Fall ist ein Weckruf für multinationale Unternehmen, dass sie für ihre Taten verantwortlich gemacht werden, egal wo sie geschehen«, erklärte Han Shan von der Initiative »Oil Change International«. Eine Gruppe von Bewohnern aus dem Nigerdelta klagt derzeit am Firmensitz von Shell in Den Haag gegen Öl-Verschmutzungen.

Bariara Kpalap, eine Sprecherin der von Saro-Wiwa mitgegründeten Bewegung für das Überleben der Ogoni (MOSOP) bleibt skeptisch: »Für einen dauerhaften Frieden in der Region Ogoni muss Shell seine Einstellung gegenüber den Bewohnern ändern. Shell sollte uns wie zivilisierte Menschen behandeln und nicht als Objekte zur Ausbeutung, weil es bei uns Öl gibt.«

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2009


Ölmulti wäscht Hände in Blut

Von Martin Ling **

Der in New York getroffene Vergleich zu Lasten des Ölmultis Shell hat einen bitteren Beigeschmack: Mit schlappen 15,5 Millionen Dollar will der Konzern den Versöhnungsprozess im Nigerdelta befördern. Das ist nicht mehr als ein bisschen Benzingeld für die Dienstwagenflotte. Und der Wohltäter teilte überdies mit, dass diese honorige Geste nichts, aber auch gar nichts mit einem Schuldeingeständnis zu tun habe. Das entspricht in der Tat seinem fragwürdigen Selbstverständnis.

Denn geklagt hatten die Hinterbliebenen der neun 1995 hingerichteten Bürgerrechtler um Ken Saro-Wiwa wegen mutmaßlicher Verwicklung von Shell. Sicher ist, dass Shell keinen hörbaren Einspruch gegen Verhängung und Vollzug der Todesstrafen durch die Militärdiktatur Abachas verlauten ließ - wie es hieß: aus Respekt vor der nationalen Souveränität Nigerias.

Aus einem Prozess, in dem wenn nicht die Verwicklung von Shell, so doch zumindest die klare Verantwortung des Multis für die Zerstörung des Nigerdeltas juristisch hätte festgestellt werden können, wird nun nichts. 10 Milliarden Dollar hatte Saro-Wiwa für die Ogoni für die erlittenen Umweltschäden einst gefordert, 15,5 Millionen sind ein schlechter Witz.

Nur dass ein Unternehmen des Nordens für im Süden verursachte Schäden überhaupt zahlt, ist ein kleiner Fortschritt. Ein Beispiel, das Schule machen muss. Freiwillig passiert das freilich nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2009 (Kommentar)


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