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"Wir tragen in Nigeria zu Konflikten bei" ...

... heißt es in einem Bericht des britisch-niederländischen Ölkonzerns Shell

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel, der am 22. Juli 2004 in der kritischen Schweizer Wochenzeitung WoZ erschien. Er befasst sich mit der Rolle des transnationalen Ölkonzerns Shell in Nigeria. Der Bericht beruht auf einem "überraschenden, bisher unveröffentlichten" internen Bericht des Konzerns, welcher der WoZ vorliegt.


Shell in Nigeria

Zieht sich Shell bald zurück?

Von Alex Veit

(...) Ist der niederländisch-britische Ölmulti Shell mitschuldig an den bewaffneten Konflikten im Niger-Delta im Südosten Nigerias? Teilweise ja, sagt jetzt sogar ein interner Bericht des britisch-niederländischen Ölkonzerns Shell. Und es sei damit zu rechnen, dass die Konflikte zwischen dem Ölkonzern und der regionalen Bevölkerung im Niger-Delta weiter eskalieren werden. «Das Verhalten von Shell und seinen Angestellten trägt zu Konflikten bei und verschärft sie», heisst es in der von der Beratungsfirma WAC Global Services im Auftrag von Shell erstellten Expertise. Falls der Konzern seine Politik nicht ändere, wäre es «überraschend, wenn Shell die Festlandproduktion im Niger-Delta über 2008 hinaus in Einklang mit den Shell-Geschäftsprinzipien fortsetzen könnte.» Der Bericht «Frieden und Sicherheit im Niger-Delta» vom Dezember 2003 wurde der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht, liegt der WOZ jedoch vor.

Simon Buerk, ein Sprecher des Konzerns, dementiert gegenüber der WOZ, dass es Pläne zum Rückzug aus der nigerianischen Festlandförderung gebe. Er bestätigt aber, dass «es in Teilen des Deltas ernste Konflikte gibt, die das Potenzial haben, schlimmer zu werden, falls keine Massnahmen getroffen werden». Der Bericht der Konfliktexperten habe Shell gezeigt, wie schwierig es sei, in Konflikten integer zu agieren. «Die Forschung hat beleuchtet, wie wir manchmal zu Konflikten beitragen. Etwa durch die Art, wie wir Verträge vergeben, uns Zugang zu Land verschaffen und mit Repräsentanten der lokalen Bevölkerung umgehen.»

Angesichts lokaler und internationaler Kritik an der Rolle des Konzerns in Nigeria gibt sich Shell schon seit längerem lernfähig. Noch während der Militärdiktatur in Nigeria, die 1999 von einer gewählten Regierung abgelöst worden ist, bildeten sich Protestbewegungen gegen die Politik der Ölkonzerne und der Zentralregierung. Die Proteste forderten die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Gewinnen und wandten sich gegen die mit der Ölförderung einhergehende eklatante Umweltverschmutzung. Shell gilt als mitverantwortlich für die Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und acht weiterer Aktivisten 1995 durch das damalige Regime.

Wegen dieser Kritik, aber auch weil sich die Sicherheitslage immer weiter verschärfte und die Ölförderung in einigen Gebieten bereits eingestellt werden musste, änderte Shell seine Politik gegenüber der lokalen Bevölkerung. In den vergangenen zwei Jahren gab der Konzern nach eigenen Angaben rund hundert Millionen US-Dollar für Entwicklungsprojekte in ausgewählten Gemeinden aus. Shell vergibt Stipendien und schliesst Verträge mit lokalen Wach- und Sicherheitsdiensten ab. Zudem wird versucht, in Workshops mit den verschiedenen Interessengruppen in Nigeria in einen Dialog zu treten.

Doch die Konflikte im Niger-Delta verschärften sich weiter. Jährlich sterben in bewaffneten Auseinandersetzungen etwa tausend Personen, immer wieder werden Ölplattformen besetzt und Arbeiter angegriffen. Der Ölkonzern Chevron zog sich im April aus dem Delta zurück, nachdem zwei US-amerikanische Angestellte bei einem Überfall getötet worden waren. Die beiden sollten als Teil eines Teams Bohrlöcher wieder öffnen, die wegen Kämpfen geschlossen worden waren.

Die Konfliktexperten von WAC Global Services konstatierten nun, dass die Geschäftspolitik von Shell nur in wenigen Fällen für die Auseinandersetzungen verantwortlich sei. Vielmehr «können die meisten Konflikte zwischen Firma und Bevölkerung auf schlechte Praktiken am Ort zurückgeführt werden». In der Wahrnehmung der Bewohner des Deltas sei es allerdings egal, ob die Probleme vom Gesamtkonzern oder aber nur von einzelnen Abteilungen des Konzerns oder von Subunternehmen verursacht würden.

So gälten Angestellte und Subunternehmen von Shell gemeinhin als korrupt. Letztere hätten Konflikte absichtlich geschürt. Wenn sie sich dann aufgrund der Sicherheitslage zurückziehen mussten, konnten sie von Shell Kompensation verlangen. «Shell-Angestellte, Vertragspartner und Mitglieder der Gemeinden gehen Allianzen ein, um Ölverschmutzungen zu verursachen und sie dann zu beseitigen. So können sie den Reinigungsvertrag und die Kompensation erhalten.» Shell-Sprecher Buerk gibt zu, dass Korruption ein Problem sei, betont jedoch, dass «wir entschlossene Massnahmen gegenüber jeglichen Vergehen ergreifen, obwohl es schwierig ist, eine Kultur der Korruption zu überwinden.»

Das grundlegende Problem im Niger-Delta ist allerdings, dass viele Dörfer nicht einmal über fliessend Wasser und Strom verfügen, während sich in ihrer Nachbarschaft gut ausgestattete Industrieanlagen befinden. Weder als ArbeiterInnen noch als Subunternehmer haben die BewohnerInnen eine Chance, vom Ölreichtum zu profitieren, denn ihnen fehlen Ausbildung und Startkapital. «Im Umfeld von Armut und Korruption können legitime Firmen nicht überleben - und kriminelle Aktivitäten sind einfacher», heisst es in der Studie.

So sind die Merkmale der Wirtschaft in der Region inzwischen Streitigkeiten um ölreiches Land, Öldiebstahl durch mafiose Banden in grossem Massstab und gewalttätige Proteste. Unmissverständlich stellten die Konfliktexperten in ihrem Bericht fest: «Shell in Nigeria ist ein integraler Bestandteil des Konfliktsystems im Niger-Delta.»

Aus: WoZ, 22. Juli 2004


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