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Islamisten auf Vormarsch

Nigeria: Schwere Kämpfe im Nordosten des Landes. Flucht vor »Boko Haram«

Von Simon Loidl *

In Nigeria gehen die Kämpfe zwischen der Armee und den unter dem Namen »Boko Haram« bekannten Islamisten weiter. Am Dienstag meldeten mehrere Medien, daß der Sohn des früheren Präsidenten Olusegun Obasanjo, Adeboye Obasanjo, bei einem Gefecht verwundet worden sei. Der Offizier wurde demnach bei einem Schußwechsel mit Kämpfern von »Boko Haram« verletzt, als die Soldaten versuchten, die Stadt Bazza im nördlichen Teil des Bundesstaates Adamawa zurückzuerobern. Bazza und das benachbarte Michika waren laut der nigerianischen Zeitung Daily Trust am Sonntag von den Islamisten eingenommen worden. In den Tagen zuvor hatten die Aufständischen den Berichten zufolge die Städte Gulak und Madagali erobert.

Unterdessen wird die Situation für die Zivilbevölkerung im Nordosten des Landes immer schwieriger. Große Teile der Bundesstaaten Borno und Adamawa sind Kampfgebiet, zahlreiche Städte werden derzeit von den Islamisten kontrolliert. Beobachter vor Ort fürchten, daß auch Maiduguri, die Hauptstadt von Borno, von »Boko Haram« eingenommen werden könnte. Etwa 1,2 Millionen Menschen wohnen in der Stadt, viele von ihnen versuchen nun zu fliehen. Auch in anderen Regionen nimmt die Zahl der Flüchtlinge zu, während die Transportmöglichkeiten von Tag zu Tag weniger werden. Fahrunternehmer in den beiden Bundesstaaten haben Daily Trust zufolge ihre Preise stark erhöht, da sich viele Fahrer nicht mehr in die betroffenen Regionen wagen. Jene, die aus den derzeit umkämpften Gebieten entkommen konnten, werden in Lagern untergebracht.

Laut BBC hat die Armee nach erfolglosen Offensiven Anfang der Woche ihre Luftangriffe intensiviert. Am Dienstag haben demnach Kampfflugzeuge von Yola, der Hauptstadt Adamawas, aus Angriffe gegen die von den Islamisten kontrollierte Orte geflogen. Dabei wurde unter anderem die Stadt Michika beschossen, wie Bewohner gegenüber dem britischen Rundfunk angaben. Die nigerianische Zeitung ThisDay schrieb in Zusammenhang mit der Militäroffensive von »heftigen Angriffen« zu Land und Luft. Über den Erfolg des Einsatzes gegen die islamistischen Aufständischen gibt es indes widersprüchliche Meldungen. Während einige Medien unter Berufung auf Armeesprecher während der vergangenen Tage von militärischen Erfolgen sprachen, häufen sich die Berichte von der mangelhaften Ausrüstung der Soldaten und Massendesertionen. Im Frühjahr 2013 hatte Präsident Goodluck Jonathan für die Bundesstaaten Borno, Adamawa und Yobe den Notstand ausgerufen, die Armee begann damals ihre Offensive. Der Vormarsch der islamistischen Sekte konnte dadurch allerdings nicht gestoppt werden. Insider sprechen davon, daß die schlechte Ausrüstung der nigerianischen Armee vor allem auf die grassierende Korruption zurückzuführen sei.

Unterdessen kommt es auch im benachbarten Kamerun weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Anfang der Woche meldete die Regierung des Landes laut ThisDay, daß mehr als hundert »Boko Haram«-Kämpfer von Soldaten getötet wurden, als sie auf kamerunisches Territorium vordringen wollten. Die Zeitung zitierte auch einen Sprecher der islamistischen Gruppe. Dieser sprach von fortgesetzten militärischen Erfolgen und von »Lügen« der nigerianischen Armee über den Verlauf der Kämpfe. Im August hatte »Boko Haram«-Anführer Abubakar Shekau die von der Sekte kontrollierten Gebiete zu einem »Kalifat« erklärt. Dieses will die Gruppe nun kontinuierlich vergrößern. Das »Nigeria Security Network«, eine Gruppe aus Wissenschaftlern und ehemaligen Mitarbeitern von Menschenrechtsorganisationen, spricht von einem Strategiewechsel der »Boko Haram«. Bis Juli dieses Jahres haben die Islamisten demnach vor allem Anschläge durchgeführt oder wehrlose Dörfer angegriffen. Nun suchen sie die direkte militärische Konfrontation mit der nigerianischen Armee und verfügen mittlerweile über Panzerfahrzeuge und schwere Waffen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 11. September 2014


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