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Jonathan will aufrüsten

Nigerias Präsident beantragt Kreditaufnahme zur Finanzierung der Armee. Machtkämpfe in Regierungspartei

Von Simon Loidl *

Noch muß sich Goodluck Jonathan etwas gedulden. Zwei Tage nachdem der nigerianische Präsident am Mittwoch einen Antrag auf Aufnahme eines Auslandskredits in Höhe von einer Milliarde US-Dollar (732 Millionen Euro) an das Parlament übermitteln ließ, ging dieses in die Sommerpause. Normalerweise würde die Nationalversammlung ein derartiges Gesuch binnen weniger Tage behandeln, in diesem Fall muß Jonathan aber zwei Monate warten. Erst im September findet die nächste reguläre Sitzung statt.

Mit der angestrebten Ausweitung der militärischen Kapazitäten reagiert Jonathan auf die zunehmende Kritik an seinem erfolglosen Kampf gegen die Gruppe »Boko Haram«. Nach wie vor sind mehr als 200 im April entführte Schülerinnen in der Gewalt der Islamisten. Fast täglich kommt es zu neuen Anschlägen. Am Freitag griffen Kämpfer den Ort Damboa im nordöstlichen Bundesstaat Borno an. Nach Berichten nigerianischer Medien töteten die Islamisten zahlreiche Menschen und brannten Häuser nieder. Nach einer Attacke auf einen Armeestützpunkt in dem Dorf vor wenigen Wochen waren kaum noch Sicherheitskräfte vor Ort.

Seit mehr als einem Jahr geht die nigerianische Armee verstärkt gegen »Boko Haram« vor. Für die Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa hatte Jonathan im Mai 2013 den Notstand ausgerufen, immer wieder wurden etwa Camps der islamistischen Miliz von Kampfjets angegriffen. Seither tritt »Boko Haram« allerdings noch offensiver auf als zuvor, Hunderte Menschen wurden bei Kämpfen in den vergangenen Monaten getötet. Zudem mehren sich Vorwürfe gegen die Armee, die Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge ebenfalls für den Tod vieler Menschen verantwortlich ist. Bereits jetzt bekommt Nigeria militärische Unterstützung aus den USA, von europäischen Ländern, China und Israel. Im Juni berichtete der britische Guardian, daß nach der Entführung der Schülerinnen verstärkt Drohnen und Überwachungstechnologie aus diesen Ländern geliefert worden seien. Zudem unterstützen laut nigerianischen Medienberichten »Antiterror«-Experten und -Einheiten aus den USA die Armee des Landes.

Viele Beobachter sind der Ansicht, daß es für den Konflikt keine militärische Lösung gibt. Neben den sozialen Ursachen für den Aufstieg von »Boko Haram« spielen auch Machtkämpfe innerhalb der nigerianischen Führung eine Rolle für das Erstarken der Gruppe. Ohne Unterstützung einflußreicher Kräfte im islamisch geprägten Norden des Landes wäre der rasante Aufstieg der Miliz von einer kleinen Gruppe zu einer starken militärischen Kraft binnen weniger Jahre kaum möglich gewesen. Für Präsident Jonathan ist der Kampf gegen die Islamisten ein zentrales Element in seinen Bemühungen, im Februar 2015 wiedergewählt zu werden. Innerhalb seiner People‘s Democratic Party (PDP) gibt es bereits heftige Auseinandersetzungen, da sich viele gegen ein neuerliches Antreten Jonathans für das höchste Amt aussprechen. Hochrangige Funktionäre, darunter mehrere Gouverneure von Bundesstaaten, sind im vergangenen Jahr aus der PDP ausgetreten. Gegen einige von ihnen wurden nun Amtsenthebungsverfahren eingeleitet.

Kritiker werfen Jonathan vor, allmählich eine Diktatur zu errichten. Hinzu kommen unzählige Korruptionsfälle in allen Bereichen der nigerianischen Wirtschaft und Politik. Nachdem das Gesuch des Präsidenten um einen Auslandskredit zur Finanzierung des Kampfes gegen »Boko Haram« bekanntwurde, machte die Antikorruptionsorganisation Transpareny International darauf aufmerksam, daß von den für die Armee bestimmten Geldern regelmäßig große Summen »verschwinden«.

* Aus: junge Welt, Montag 21. Juli 2014


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