Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nigeria wählt

Regierung meldet vor Abstimmung militärische Erfolge gegen Boko Haram. Kritiker sprechen von Propaganda

Von Simon Loidl *

Kurz vor den Wahlen hat Nigeria seine Grenzen dicht gemacht. Um »einen friedlichen Verlauf« der Abstimmung über Präsidentenamt und Parlament zu ermöglichen, sind auf Anordnung der Regierung seit Mittwoch Mitternacht die Grenzen des westafrikanischen Landes zu Land und Luft geschlossen. Dies berichteten nigerianische Zeitungen am Donnerstag. Die Behörden appellierten zudem an die nigerianischen Bürger, in diesen Tagen besonders aufmerksam gegenüber verdächtigen Personen und Gegenständen zu sein.

Die Nervosität im Land ist groß. Die Wahl hätte bereits Mitte Februar stattfinden sollen, wurde jedoch aufgrund der angespannten Sicherheitslage um sechs Wochen verschoben. Seither meldete die Regierung immer wieder Erfolge im Kampf gegen die islamistische Gruppe Boko Haram, die Teile der nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa kontrolliert. Nach mehreren grenzüberschreitenden Operationen von Boko Haram beteiligen sich Kamerun, Tschad und Niger seit einigen Monaten am Kampf gegen die Islamisten. Über den Verlauf der Auseinandersetzungen gibt es sehr unterschiedliche Einschätzungen. Zuletzt hieß es in offiziellen Meldungen immer wieder, dass durch den multinationalen Einsatz bereits mehrere Städte aus der Hand der Dschihadisten zurückerobert werden konnten.

Als einen Grund für die militärischen Erfolge der Armee sehen Beobachter den Einsatz ausländischer Söldner, der bisher von der nigerianischen Regierung nicht bestätigt wurde. Die Behörden sprechen davon, dass ausländische Militärs lediglich als »Berater« fungieren würden. Allerdings häuften sich während der vergangenen Wochen die Berichte über Kampfhandlungen von Söldnern, unter anderem sollen südafrikanische Spezialkräften in der Region operieren. Das »Nigeria Security Network«, ein Thinktank aus Wissenschaftlern und Experten für das westafrikanische Land, warnte in einem Bericht, dass die Arbeit mit ausländischen Kräften trotz möglicher kurzfristiger militärischer Gewinne negative Auswirkungen haben könnte. Das »westliche Erscheinungsbild« dieser Militärs, selbst wenn sie lediglich als »Berater« agieren würden, könnte bei der lokalen Bevölkerung feindliche Gefühle wecken und der entsprechenden Boko-Haram-Propaganda zuträglich sein.

Viele Kommentatoren werten die Erfolgsmeldungen der Regierung ohnehin als übertrieben. Die Verschiebung der Wahlen diente nach dieser Lesart lediglich dazu, etwas Zeit zu gewinnen. Tatsächlich dürfte der Kampf gegen Boko Haram noch lange nicht vorbei sein. Erst Mitte der Woche wurden neue Massenentführungen gemeldet. Nach Angaben der lokalen Behörden griffen die Kämpfer die Stadt Damask nahe der Grenze zu Niger an und brachten bis zu 350 Frauen und Kinder in ihre Gewalt. Ein Armeevertreter sprach sogar von bis zu 500 Verschleppten. Die Attacke wenige Tage vor der Wahl ist ein Rückschlag für die Erfolgspropaganda von Präsident Goodluck Jonathan, der sich erneut um das höchste Amt bewirbt. Die Opposition wirft ihm seit Monaten vor, beim Kampf gegen den Aufstand im Norden versagt zu haben. Der ungelöste Fall der mehr als 200 Mädchen, die im April 2014 von Boko Haram entführt worden waren, lastet besonders schwer auf Jonathans Versuch, sein Mandat zu erneuern.

Jonathans stärkster Rivale ist der 72jährige Muhammadu Buhari, der von dem oppositionellen Zusammenschluss »All Progressives Congress« unterstützt wird. Seit Monaten liegen die beiden in Umfragewerten etwa gleichauf. Buhari regierte Nigeria nach einem Putsch bereits zwischen 1983 und 1985. Seine Kritiker malen bereits eine Wiederkehr der damaligen polizeistaatlichen Maßnahmen an die Wand, sollte der Herausforderer die Abstimmung für sich entscheiden.

Neben Jonathan und Buhari treten weitere zwölf Kandidaten an. Mit Oluremi Sonaiya bewirbt sich erstmals eine Frau um das Präsidentenamt. Sonaiya geht am Samstag wohl chancenlos ins Rennen. Doch bereits die Tatsache, dass eine Kandidatin die männerdominierte nigerianische Politik herausfordert, hat ihrer Kleinpartei KOWA während der vergangenen Tage einige mediale Aufmerksamkeit gebracht.

* Aus: junge Welt. Freitag, 27. März 2915


Zurück zur Nigeria-Seite

Zur Nigeria-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage