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"Wir berührten den Himmel"

Vor 30 Jahren triumphierten die Sandinisten in Nicaragua

Von Torge Löding, Managua *

Die sandinistische Revolution vor 30 Jahren begeisterte weit über das kleine mittelamerikanische Land hinaus Menschen in Ost und West. Inzwischen ist mit Daniel Ortega einer der Revolutionshelden an die Macht zurückgekehrt, so dass am 19. Juli in Managua offiziell groß gefeiert wird.

Die Nachricht elektrisierte die Welt: Am 19. Juli 1979 streckte in Nicaragua die hochgerüstete Somoza-Diktatur die Waffen. Der verhasste Despot Anastasio Somoza Debayle flüchtete nach Miami, die Regierung übernahm ein Ausschuss, dem auch Daniel Ortega angehörte, der seit 2007 wieder Präsident des Landes ist. Wenige Tage später galten in dem zentralamerikanischen Land erstmals Menschenrechte, in Kraft gesetzt durch das »Gesetz der Rechte und Garantien der Nicaraguaner« (Estatutos sobre Derechos y Garantias de los Nicaragüenses). Dieses hat auch heute Bestand und ist wohl eine der wichtigen Errungenschaften der Revolution, die nur ein gutes Jahrzehnt später mit einer Wahlniederlage 1990 ihr zumindest vorläufiges Ende fand.

Am Ende waren fast alle gegen Somoza

Der Triumph der Revolution war das Resultat einer Volkserhebung, mit grundsätzlich antiimperialistischem und antidiktatorischem Charakter. »Die historischen Wurzeln des revolutionären Prozesses stehen in Verbindung mit der Tatsache, dass Nicaragua immer einen zentralen Platz in der Begierde des US-Imperialismus einnahm«, erklärt der Politologie Alberto Cortes gegenüber ND. Der aus Nicaragua stammende Cortes gehört dem akademischen Rat der Universität von Costa Rica (UCR) an.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand die Begierde der dominanten Macht im Norden vor allem in Nicaraguas Potenzial für den Bau eines schiffbaren Kanals zwischen Atlantik und Pazifik. Der Plan vom Nicaraguakanal wurde zugunsten des Panamakanals verworfen, dennoch musste das Land aufgrund seiner Möglichkeiten allerlei schlimme Konsequenzen hinnehmen. Die USA entsandten Kanonenboote und Marinesoldaten, die durchgehend – abgesehen von einer kurzen Pause 1926 – bis 1933 stationiert blieben, um den Hegemonieanspruch des Imperiums durchzusetzen.

Vertrieben wurden sie schließlich vom Nationalhelden Augusto César Sandino. Sie gingen aber nicht, ohne Nachfolger herangezogen zu haben: die berüchtigte Nationalgarde. Deren Kommando übernahm Anastasio Somoza Garcia. Seinen größten Gegner beseitigte er 1934: Er ließ Sandino nach Friedensverhandlungen in Managua hinterrücks ermorden. Bereits 1936 putschte er dann und begründete die Diktatorendynastie der Somozas. Nach seiner Ermordung durch den Dichter Rigoberto López Perez führten seine Söhne die Terrorherrschaft weiter. Die Masse der besitzlosen Landarbeiter schuftete sklavengleich auf den Bananen- und Zuckerrohrplantagen der Großgrundbesitzer.

Gegen diese Arbeitsbedingungen und die militärische Unterdrückung formierte sich Widerstand. Politischen Ausdruck gaben dem junge Revolutionäre wie der Landarbeitersohn Carlos Fonseca. Insbesondere in den Nachbarländern Honduras und Costa Rica operierten die Organisationen, die sich im Jahr 1961 zur Nationalen Befreiungsfront vereinigten. Der Name war angelehnt an die revolutionäre Volksbewegung Algeriens. Carlos Fonseca ergänzte ihn um den Namen des Nationalhelden Sandino. Ein Geniestreich, der identitätsstiftend wurde für die gesamte nicaraguanische Befreiungsbewegung. Verschiedene ideologische Richtungen schlossen sich unter dem Dach der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) zusammen – radikale Bürgerliche, Marxisten und Anhänger der Befreiungstheologie.

Drei Hauptströmungen formten sich in den Jahren des Befreiungskampfes: Die GPP-Fraktion, der »andauernde Volkskrieg«, orientierte sich auf den Guerillakrieg und gewann ihre wichtigste Basis unter verarmten Kleinbauern. Die »proletarische Strömung« setzte auf Sabotage und Destabilisierungsaktionen und hatte vor allem Zulauf in den Städten. Und zuletzt die gemäßigte Gruppierung der »Aufständischen«.

Während die Sandinisten erstarkten, wurde das Regime der Somozas zunehmend instabil. Korruption war zum System geworden und vor allem Teile des Bürgertums, die bei der Verteilung der Pfründe übergangen wurden, schlugen sich auf die Seite der Somoza-Gegner. International geriet das Regime unter Druck, weil sich der Diktator persönlich bereicherte an den Hilfsgeldern aus dem Ausland nach einem schweren Erdbeben 1972. Die Sandinisten erlebten hingegen eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne, und sogar einige Regierungen unterstützten sie mit Waffenlieferungen.

Es war ein Kampf David gegen Goliath

Dennoch war der Weg zum Sieg lang, er forderte viel Schweiß und Blut. In ihrer Jugend hatte sich die Honduranerin Quxabel Cardenas den Sandinisten angeschlossen. Sie erinnert sich an die zahlreichen Kämpfe um die kleine Hafenstadt Corinto am Pazifikufer von Nordnicaragua, ihre Narben aus dieser Zeit trägt sie stolz zur Schau. »Es war ein Kampf Davids gegen Goliath. Nur wenige Wochen vor der siegreichen Offensive 1979 hatten wir kaum Waffen zur Verfügung. Damals eroberten wir ein Panzerfahrzeug, das von einer ganzen Einheit gut bewaffneter Soldaten begleitet wurde. Wir waren 32 Mann, bewaffnet mit einem Maschinengewehr und 16 Jagdgewehren. Der Rest hatte nur Pistolen.« Alberto Cortes beschreibt seine Gefühle vom 19. Juli 1979 so: »Es war ein Moment von tiefer nationaler Einheit, von Jubel und Feiern. Wir berührten den Himmel!«

Schnell geriet die junge Revolution in die Defensive, denn die USA reagierten mit Hysterie. Besonders die Wahl Ronald Reagan zum US-Präsidenten 1981 erschwerte die Lage ganz erheblich, denn dem reaktionären Politiker waren auch illegale Mittel recht, um die angeblich kommunistische Gefahr im eigenen »Hinterhof« zu beseitigen. Die Basis für seinen Contra-Krieg waren ehemalige Mitglieder der Nationalgarde, die vom CIA ausgebildet wurden und Position in Honduras und Costa Rica bezogen.

»Der von den USA aufgezwungene Krieg führte notwendigerweise zur Militarisierung der nicaraguanischen Gesellschaft. Es war der einzige Weg, um sich zu verteidigen. Aber am Ende auch ein Faktor, der zur Niederlage bei den Wahlen 1990 führte«, sagt Alberto Cortes. Natürlich ist die Schuld an der Niederlage nicht nur beim Feind zu suchen, auch die Sandinisten haben Fehler gemacht. Ein zentraler Programmpunkt der Sandinisten war eine Landreform. Die wurde tatsächlich durchgeführt, aber in Form der Bildung industrieller Kooperativen, die oft weder der Lebensweise der Kleinbauern entsprachen noch ihren Erwartungen. Man hatte ihnen eigenes Land versprochen. Volkswirtschaftlich versuchte sich das sandinistische Nicaragua an einer Mischökonomie aus starkem Staatssektor und »patriotischen« Unternehmen. Dieses Konzept ist bis heute umstritten.

Die formelle Einheit der Sandinisten ist passé

Die Sandinisten sind heute gespalten. Die Regierung stellt die FSLN, doch den Kurs von Präsident Daniel Ortega lehnen die sozialdemokratischen Erneuerungssandinisten des MRS als autoritär ab. Und auch die kleine, linke Strömung zur »Rettung des Sandinismus« (RESCATE) sieht in der gegenwärtigen Regierung keine Fortführung der Revolution, sondern nur begrenzten Klientelismus des Präsidentenpaares Daniel Ortega und Rosario Murillo. Für Alberto Cortes ist die Bilanz der sandinistischen Revolution unterm Strich dennoch deutlich positiv: »Die Revolution hat profunde soziale Änderungen angestoßen. Ihre größte Errungenschaft ist, dass auch die Armen und Marginalisierten heute mit einer Menschenwürde rechnen können, die ihnen zur Somoza-Diktatur verwehrt blieb. Dazu kommen die Erfolge bei der Demokratisierung der Bildung, Alphabetisierung, Gesundheit, Verteilung des Reichtums, Agrarreform und der kulturelle Aufbruch.« Darauf lässt sich aufbauen.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juli 2009


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