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Enttäuschte Hoffnungen

Trotz Erlass von Auslandsschulden wächst in Nicaragua die Armut

Von Arndt von Massenbach und Peter Steudtner*

Die 1999 gestartete Entschuldungsinitiative HIPC sollte hoch verschuldeten armen Ländern wie zum Beispiel Nicaragua einen Ausweg aus der Schuldenfalle ermöglichen. Doch in Nicaragua nimmt die Armut weiter zu.

Nicaraguas Rekord macht nicht stolz: Anfang der neunziger Jahre war Nicaragua das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung der Welt. Die 1999 auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln beschlossene Erweiterung der Entschuldungsinitiative für ausgewählte hoch verschuldete arme Länder (HIPC) sollte eine nachhaltige Entlastung für das zentralamerikanische Land bringen. Diese Hoffnung ist jedoch enttäuscht worden. Obwohl das Land im Januar 2004 mit 4,5 Milliarden US-Dollar nominell den bisher höchsten Erlass im Rahmen der Entschuldungsinitiative erhalten hat, reichen die freigesetzten Mittel nicht aus, um die Armut wirksam zu bekämpfen.

María Isabel Pais ahnt gar nicht, wie hoch sie »verschuldet« ist. Als eine der Frauen, die durch das Frauenzentrum Xochilt Acalt lesen und schreiben lernte und sich nun auch in ihrer Dorfgemeinde engagiert, interessiert sie sich zwar für Nicaragua als Ganzes. Jedoch sind ihr die Wirtschaftsdaten Nicaraguas unbekannt und sie würde sich wahrscheinlich erschrecken, wenn sie wüsste, dass Die staatliche Verschuldung war 1999 so hoch, dass einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 400 US-Dollar eine Pro-Kopf-Verschuldung von 1366 US-Dollar gegenüber stand. Als Internationaler Währungsfonds und Weltbank Mitte September 1999 die Aufnahme Nicaraguas in den Kreis der Anwärter für die erweiterte Entschuldungsinitiative verkündeten, wurde diese Nachricht von der nicaraguanischen Regierung begeistert aufgenommen. Ein Staatsfeiertag mit einem Volksfest auf dem Platz der Republik in Managua wurden vom damaligen Präsidenten Arnoldo Alemán ausgerufen. Zu diesem Zeitpunkt stand das Land mit über 6,75 Milliarden US-Dollar bei seinen Gläubigern in der Kreide. Die Schulden waren vor allem durch den Ex-Diktator Somoza, neu aufgenommene Kredite für den Wiederaufbau und den von den USA gegen Nicaragua durch die Finanzierung der Contra-Rebellen aufgezwungenen Bürgerkrieg verursacht. Auch die Mitteilung im Januar 2004, dass alle Auflagen für eine umfassende Entschuldung erfüllt seien, wurde groß gefeiert. Der vorgesehene Erlass durch die HIPC-Initiative beläuft sich immerhin auf 73 Prozent der Außenschulden des Landes. Nachdem Internationaler Währungsfonds, Weltbank und der Pariser Club, ein informeller Zusammenschluss von bilateralen Gläubigern, an dem auch Deutschland beteiligt ist, der Entschuldung zugestimmt haben, bereiten vor allem einzelne bilaterale staatliche Gläubiger außerhalb des Pariser Clubs sowie die privaten Gläubiger Probleme. Obwohl mit in der HIPC-Initiative eingebunden, haben zum Beispiel schon drei US-Investment-Firmen ihre Forderungen in Höhe von 275 Millionen US-Dollar auf dem Gerichtsweg in voller Höhe eingeklagt und gewonnen.

Der reale Schuldendienst Nicaraguas wird sich durch den HIPC-Erlass und darüber hinaus zugesagte bilaterale Schuldenerleichterungen von im Durchschnitt 217 Millionen US-Dollar (1992 bis 1998) auf 108 Millionen US-Dollar halbieren. Das Konzept des HIPC-Schuldenerlasses sieht vor, dass die Gelder, die ein Land durch die Entschuldung spart, für die Armutsbekämpfung ausgegeben werden müssen. So müssen die Länder im Vorfeld des Schuldenerlasses Armutsbekämpfungsstrategien vorlegen.

Die nicaraguanische Regierung sieht den Schlüssel zur Armutsbekämpfung vor allem in einem Wirtschaftswachstum, das auf intensiver Nutzung der Arbeitskraft in den Sektoren Tourismus, Textilproduktion, Kaffee-Export und Forstwirtschaft basiert. Insbesondere diesen Ansatz kritisiert die »Zivile Koordination«, ein Zusammenschluss von über 350 Organisationen, Gewerkschaften und Kooperativen. Sie führte parallel zur Entwicklung der Regierungsstrategie zur Armutsbekämpfung, an der die Zivilgesellschaft nur sehr spät und unzureichend beteiligt wurde, einen Konsultationsprozess innerhalb der Zivilgesellschaft durch. Die Kritik beruft sich vor allem darauf, dass die bislang schon geschaffenen Freihandelszonen zwar Arbeitsplätze schufen, jedoch die entstandenen Fertigungsstätten nicht in nationale Wirtschaftskreisläufe integriert und die Investitionen minimal sind. Ähnlich schlecht sieht es im Bereich der Kaffeeproduktion aus: Der Verfall der Weltmarktpreise um über 60 Prozent in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass nicaraguanische Kaffeebauern nicht mehr kostendeckend produzieren können.

Zweifelhaft ist auch, ob die Einsparungen des Schuldenerlasses der Armutsbekämpfung real zur Verfügung stehen werden. Grund hierfür ist die zunehmende Belastung des nicaraguanischen Haushalts durch Schulden in einheimischer Währung. Der Internationale Währungsfonds hat dieses Problem durchaus erkannt und daher empfohlen, die durch den Erlass freiwerdenden Gelder vordringlich zum Abbau der internen Verschuldung bei privaten Gläubigern zu verwenden. Für die Armutsbekämpfung im Land wird dann noch weniger übrig bleiben.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2005


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