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Grenzstreit im Mündungsdelta des San Juan

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hört heute die Regierungen Costa Ricas und Nicaraguas an

Von Harald Neuber *

Ein historischer Grenzkonflikt zwischen Costa Rica und Nicaragua wird ab dem heutigen Dienstag erneut völkerrechtlich verhandelt. Keine zwei Jahre, nachdem der Internationale Gerichtshof in dem Disput über den Zugang beider Staaten zum Grenzfluss San Juan entschieden hatte, treffen sich die Konfliktparteien wieder im niederländischen Den Haag.

Eingereicht wurde die Klage von Costa Rica, nachdem nicaraguanische Soldaten im vergangenen Oktober auf einer Insel im Mündungsdelta des San Juan ein Lager errichtet und mit Ausbaggerungsarbeiten des Flussbettes begonnen hatten, um ihn für Kreuzfahrt- und Lastschiffe befahrbar zu machen. Laut dem ehemaligen sandinistischen Kommandanten und derzeitigen Baubeauftragten Edén Pastora werden mit neuen Maschinen derzeit pro Tag rund 500 Kubikmeter Flussbett ausgehoben, berichtete die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina zu Wochenbeginn.

Die Auseinandersetzung um den San Juan dauert seit dem 19. Jahrhundert an. Zwar verläuft der natürliche Wasserweg vollständig auf nicaraguanischem Territorium. Doch im Mündungsdelta teilt sich der San Juan in zwei Arme. Während der Hauptlauf im Norden weiter auf nicaraguanischem Gebiet fließt, mündet der südliche Rio Colorado auf costaricanischem Gebiet in das karibische Becken. Weil in diesem Wasserlauf der Pegel zuletzt stark angestiegen ist, fürchtet die Regierung Costa Ricas offenbar Ansprüche Nicaraguas, wenn sich beide Mündungsflüsse über das Morastgebiet hinweg miteinander verbinden.

Nicaragua beruft sich auf bisherige Verträge, die den Fluss generell zu seinem Staatsgebiet zählen. Die Arbeiten durch die Armee seien notwendig, um den Mündungsfluss als Verkehrsweg zu erhalten, heißt es in Managua. Zudem seien die Militärs angewiesen, Drogenbanden, die in dem Gebiet operieren, Einhalt zu gebieten.

Hinter dem Streit, in dem sich beide Seiten in den vergangenen Monaten in absurder Manier unter anderem Karten des Online-Dienstes Google vorhielten, geht es um mehr als ein Morastgebiet am Karibiksaum. Seit kolonialen Zeiten besteht in Nicaragua der Plan, einen Kanal zwischen dem karibischen Becken und dem Pazifik zu bauen.

Ein solches Vorhaben würde nicht nur dem Panama-Kanal Konkurrenz machen, sondern auch strategische Interessen Washingtons berühren. Mit Wiederaufflammen des Disputs kamen in den vergangenen Monaten Gerüchte in Umlauf, Nicaragua verhandele mit Venezuela und Iran über den Bau einer solchen künstlichen Wasserstraße. Costa Rica will den Streit womöglich auch deswegen mit allen Mitteln für sich entscheiden.

Mit der dreitägigen Verhandlung in Den Haag versucht die Regierung der konservativen costaricanischen Präsidentin Laura Chinchilla eine einstweilige Verfügung gegen das Nachbarland zu erwirken. Wäre sie damit erfolgreich, müsste Nicaragua die Arbeiten einstellen und die Truppen zurückziehen. Ein neuerliches Urteil würde nach eingehender Prüfung womöglich erst nach Jahren gefällt.

Zugleich versuchen Costa Ricas Sicherheitskräfte – über eine Armee verfügt dieses mittelamerikanische Land seit 1948 nicht mehr –, Fakten zu schaffen. Nach Angaben von Sicherheitsminister José María Tijerino wurden in den vergangenen Wochen am südlichen Flussufer Hubschrauberlandeplätze und Sperranlagen gebaut. Das Verkehrsministerium in San José gab indes bekannt, rund 50 Kilometer Straßen gebaut und bestehende Wege erneuert zu haben, um Sicherheitskräfte schnell bewegen zu können. In der Wochenendausgabe der Tageszeitung »La Nación« zeigte sich Tijerino davon überzeugt, auch Luftangriffe abwehren zu können.

Die Chancen auf eine rasche Lösung des Konflikts stehen vor diesem Hintergrund nicht gut. Mitte des Monats sollen beide Seiten in Mexiko zwar noch einmal zu Gesprächen zusammenkommen. Doch Costa Ricas Präsidentin Chinchilla erhöhte vor Beginn dieser Treffen die Hürden. Nicaragua müsse seine Truppen zunächst zurückziehen und andere Verhandlungen akzeptieren. Gemeint sind damit Gespräche vor der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Diese Regionalallianz hatte zuletzt für Costa Rica Position bezogen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Januar 2011


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