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Großdemo für Ortega

Von André Scheer *

Hunderttausende Menschen sind am Samstag (21. Nov.) in Managua für die sandinistische Regierung auf die Straße gegangen. Offizieller Anlaß für die Großdemonstration, an der Berichten örtlicher Medien zufolge bis zu 350000 Menschen teilnahmen, waren der erste Jahrestag des sandinistischen Erfolgs bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr sowie die von der Regierung seit dem Amtsantritt von Daniel Ortega im Januar 2007 erreichten sozialen Errungenschaften. Eigentlicher Hintergrund war jedoch der Protest gegen die zunehmenden Aktivitäten der rechten Opposition in dem zentralamerikanischen Land, die Befürchtungen der Sandinisten zufolge einen Staatsstreich wie im benachbarten Honduras vorbereiten.

Wie im Nachbarland und zuvor in Venezuela nehmen die Regierungsgegner auch in Nicaragua eine mögliche Wiederwahl des Präsidenten zum Anlaß für ihre Aktionen. Hintergrund ist eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Oktober, mit der auf Antrag Ortegas eine Verfassungsreform von 1995 für ungültig erklärt worden war. Durch die damaligen Änderungen des Grundgesetzes von 1987 war eine Wiederwahl der Exekutive verboten worden. Nach dem Urteilsspruch der obersten Richter kann nun Ortega bei der nächsten Abstimmung 2011 ebenso für eine Wiederwahl kandidieren wie 109 Bürgermeister der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN.

In seiner Ansprache vor den Demonstranten auf der Plaza de la Victoria verteidigte Ortega das Gerichtsurteil. Es sei das Recht des Volkes, durch seine Stimme zu entscheiden, wer es regieren solle.

Zugleich würdigte der Präsident die jüngsten Erfolge seiner Regierung. Nachdem sich Nicaragua am 19,. Juli, dem Jahrestag der sandinistischen Revolution von 1979, für ein »vom Analphabetismus befreites Gebiet« erklären konnte, sei der Anteil der Erwachsenen, die nicht lesen und schreiben können, weiter auf nunmehr 3,33 Prozent zurückgegangen, unterstrich Ortega. Mit Blick auf die geplante Einrichtung von US-Militärbasen in Kolumbien rief er außerdem die Administration in Washington auf, statt dessen »in Lateinamerika Grundschulen, Oberschulen und Universitäten« aufzubauen. »Dann werden wir den Regierenden in Nordamerika sagen können, daß wir nun wirklich Freunde sind.« Die Stützpunkte in Kolumbien würden hingegen »Tod, Schrecken und Folter« verbreiten.

Weit hinter den Erwartungen zurück blieb hingegen eine Demonstra­tion der Opposition, die sich außerdem zersplittert präsentierte. Die Chefin des Oppositionsbündnisses »Coordinadora Civil«, Violeta Granera, reagierte wütend auf die Fahnen von Oppositionsgruppen wie der rechten »Liberal-Konstitutionalistischen Partei« (PLC), die damit eine zuvor getroffene Vereinbarung ignoriert hatten, auf Parteisymbole zu verzichten. Während die nationale Polizei lediglich 7000 Teilnehmer zählte, meldeten internationale Medien unter Berufung auf die Veranstalter rund 50000 Demonstranten. Die deutlich größere Kundgebung der Sandinisten sank in den Meldungen der großen Agenturen hingegen zu einer Randnotiz herab.

Nach Abschluß der Demonstrationen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern beider Lager. Bei einem Überfall auf einen Fahrzeugkonvoi von Sandinisten aus Jinotega, die sich nach der Kundgebung auf den Heimweg gemacht hatten, kam laut Angaben von Bürgermeister Leónidas Centeno ein Mensch ums Leben, ein 13jähriges Mädchen wurde schwer verletzt.

* Aus: junge Welt, 23. November 2009


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