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Ortega setzt soziale Akzente

Land soll in den nächsten fünf Jahren vom IWF unabhängig werden

Von Timm B. Schützhofer *

Nicaraguas Regierung verbessert mit ihrer Sozialpolitik die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Für manche gehen die sozialdemokratischen Reformen jedoch nicht weit genug, sie fordern grundlegende Veränderungen.

Die nicaraguanische Regierung verhandelt derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein neues Programm. Präsident Daniel Ortega machte bereits klar, dass sich seine Regierung möglichst schnell von der internationalen Finanzinstitution unabhängig machen will. »Noch vor Ablauf der fünf Jahre meiner Präsidentschaft wird Nicaragua vom Fonds befreit sein«, versicherte Ortega in einem Gespräch mit Lehrern. Er erklärte weiter, dass man sich bei der Lohnpolitik keine Vorschriften vom IWF machen lassen werde. Diese Äußerung diente wohl auch der Beruhigung der Lehrkräfte, die sich gerade eine Erhöhung ihrer extrem niedrigen Gehälter mühsam erstreikt haben. Ein Lehrer verdient trotz der Gehaltserhöhung nur knapp über 50 Prozent des Durchschnittseinkommens im formellen Beschäftigungssektor.

Bei ihrem Programm »Hambre Cero« (Null Hunger) setzt die Regierung auf eine produktive Sozialpolitik statt Almosen, die auch bei der Befreiung von den entwicklungsfeindlichen Zwängen des IWF helfen soll. Zehn Millionen Dollar sind im Haushalt für das Programm vorgesehen, bei dem trächtige Kühe, Schweine, Ferkel und Geflügel an besonders arme Bauernfamilien übergeben werden. Mittelfristig sollen dadurch die Lebensmittelimporte und damit das Außenhandelsdefizit erheblich verringert werden. Bei der Durchführung setzt die Regierung auf Nichtregierungsorganisationen (NRO), die bereits in den Gemeinden arbeiten.

Der produktive Ansatz wird auch durch die Gründung einer Filiale der venezolanischen »Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung« (Bandes) verfolgt, die ab Juni besonders günstige Kleinkredite mit nur zwei Prozent Zinsen an landwirtschaftliche Kooperativen verteilen wird. Mit ihren 27 Millionen Dollar Startkapital ist die Bank aus Venezuela ein Schritt in die richtige Richtung. José de Jesús Bermúdez, der bei der Regierung für die Umsetzung der Freihandelsverträge zuständig ist, meint jedoch, dass die Kredite aus Venezuela keineswegs ausreichen, um die landwirtschaftliche Produktion im Land wirklich anzukurbeln. Dazu brauche man eine staatliche Entwicklungsbank.

Es ist eine Reihe schnell spürbarer Verbesserungen, mit denen die Regierung versucht, an Popularität zu gewinnen. So erhöhte sie den Mindestlohn um 18 Prozent, setzte den unentgeltlichen Schulbesuch und die kostenlose Grundversorgung in Krankenhäusern durch. Auch der Kampf gegen den Analphabetismus ist intensiviert worden. Im ganzen Land werden kostenlose Kurse nach der erfolgreichen kubanischen Methode »Ich kann doch« angeboten. Ein Zeichen für soziale Sensibilität war auch die Senkung der Regierungsgehälter, durch die zum Beispiel der Präsident nur noch 3200 Dollar monatlich verdient. Vorher waren es etwa 10 000 Dollar.

Dennoch wird Kritik geäußert: Ehemalige Regierungsangestellte sind sauer, weil sie gefeuert wurden. Die Presse ist über Geheimnistuerei der Regierung verärgert. Beobachter sind besorgt, Ortega könne durch die Einrichtung von sandinistisch dominierten Räten das Parlament schwächen. Und auch viele Erwartungen gehen über Ortegas Vorstellungen hinaus: Soziale Bewegungen und linke Ökonomen drängen zu tiefgreifenderen Maßnahmen. Um wirkliche Veränderungen herbeizuführen, bedürfe es einer Steuerreform, bei der die Reichen endlich angemessen belastet werden, mahnt nicht nur die Coordinadora Civil, der Zusammenschluss nicaraguanischer NRO.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Mai 2007


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