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Sandinistische Strahlkraft ging verloren

Vor 20 Jahren wurden die Weichen für das Schicksal Nicaraguas gestellt

Von Ralf Leonhard *

Im kleinen Grenzort Sapoá wurden vor 20 Jahren die Weichen für das Schicksal Nicaraguas gestellt. Die Sandinistische Regierung einigte sich am 23. März 1988 mit den Chefs der Konterrevolution auf eine Waffenruhe und innenpolitische Konzessionen.

Das Abkommen von Sapoá mündete in einen Friedensvertrag – und im Februar 1990 in die Wahlschlappe der Sandinisten, die 1979 den Diktator Anastasio Somoza gestürzt und Nicaragua danach knapp elf Jahre lang regiert hatten. Die Alternative zu ihrem Abschied von der Regierung wäre wohl die Verschärfung der Gangart bis zur Diktatur und spätestens nach dem Ende der Sowjetunion ein blutiger Zusammenbruch des Revolutionsregimes gewesen.

Sapoá liegt an der Grenze zu Costa Rica, wo eine Fraktion der Contras ihren Sitz hatte. Regiert wurde das Nachbarland vom Sozialdemokraten Oscar Arias, der für seine Friedensinitiative 1987 den Nobelpreis bekommen hatte. Seit einem Jahr sitzt er wieder im Präsidentenpalast in San José. Auch in Nicaragua ist ein Protagonist der bewegten 1980er Jahre ins Präsidentenamt zurückgekehrt: Daniel Ortega. Arias und Ortega konnten einander schon damals nicht riechen. Das Verhältnis ist inzwischen nicht herzlicher geworden zumal Arias einen strikt neoliberalen Kurs fährt und Ortega rhetorisch an die Revolutionsepoche anzuknüpfen versucht.

Im Weißen Haus regiert inzwischen der Sohn des damaligen Vizepräsidenten, umgeben und beraten von einer Clique um Vizepräsident Dick Cheney und Geheimdienstdirektor John Negroponte, die sich schon damals als Kriegstreiber und Verschwörer einen Ruf schufen. Noch immer aktiv ist der damalige Vermittler, Kardinal Miguel Obando y Bravo, mittlerweile 81 Jahre alt. Bei den Verhandlungen mit den Contras hatte ihn Ortega eingesetzt, um ihn politisch zu neutralisieren. Inzwischen verdankt der Sandinist seinem Bündnis mit der konservativen katholischen Kirche seine Wiederwahl. Als Dank ließ er das strengste Anti-Abtreibungsgesetz des Kontinents durch die Nationalversammlung peitschen.

Das Abkommen von Sapoá sah die Freilassung ehemaliger Nationalgardisten und verurteilter Contras vor. Im Gegenzug sollten sich die Contras in abgelegenen Zonen sammeln und auf die Demobilisierung vorbereiten. Allerdings spielten die USA, die nicht am Verhandlungstisch saßen, mit gezinkten Karten. Präsident Ronald Reagan schickte unverdrossen Anträge auf Finanzierung seiner bewaffneten Schützlinge in den Kongress. Und dort wurde vor allem darum gestritten, ob man nur »humanitäre« Hilfe leisten oder die Contras noch einmal aufrüsten sollte. Denn eine politische Regelung, die nicht mit der Niederlage der Sandinisten endete, wollte Washington nicht akzeptieren.

Wir wissen, wie es ausgegangen ist: Die Wahlen 1990 mussten unter Kriegsbedingungen stattfinden. Oppositionskandidatin Violeta Barrios de Chamorro konnte mit Recht behaupten, solange Daniel Ortega regiert, würden die USA den Krieg schüren. Es folgten drei Amtsperioden liberal-konservativer Regierungen, die alles, was an sandinistischen Reformen geblieben war, gründlich demontierten.

Um durch Wahlen wieder an die Regierung zu kommen, musste Daniel Ortega vor der Kirche zu Kreuze kriechen. Und er musste mit dem erzreaktionären ehemaligen Präsidenten Arnoldo Alemán paktieren, um das Wahlgesetz zu ändern und die Liberale Partei zu spalten. Die innerparteiliche Opposition brachte er zum Schweigen. Sein Wahlerfolg im November 2006 war mit knapp über 38 Prozent Zustimmung der schwächste in der jüngeren Geschichte des Landes. Ohne ständiges Paktieren mit den rechten Parteien in der Nationalversammlung ist das Regieren nicht möglich.

Entsprechend mager liest sich die Bilanz des ersten Amtsjahres von Daniel Ortega. Die Schul- und Krankenhausgebühren wurden abgeschafft und ein Null-Hunger-Programm lanciert. Allerdings wurden die strukturellen Probleme der heruntergekommenen öffentlichen Schulen und Krankenhäuser nicht behoben und die Armutsbekämpfung hat bisher eher den Charakter parteipolitisch organisierter Wohltätigkeit. Die Macht ist in den Händen des Präsidenten und seiner Frau Rosario Murillo konzentriert. Die Primera Dama, die ihren Mann weitgehend vor der Öffentlichkeit abschirmt, ist Kommunikationsministerin und Koordinatorin der neuen Räte der Volksbeteiligung, die in allen Gemeinden gegründet wurden. Damit wurde eine sandinistisch kontrollierte Parallelstruktur zu den staatlichen Instanzen geschaffen.

Außenpolitisch hängt sich Ortega an Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez an, der seine Freunde mit Geldgeschenken belohnt. Von der Strahlkraft, die einst die sandinistische Revolution weit über die Grenzen Zentralamerikas ausübte, hat Daniel Ortega nichts in seine zweite Amtszeit herüberretten können.

* Aus: Neues Deutschland, 22. März 2008


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