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Straßenschlachten nach Wahlen in Nicaragua

In Managua erklärten sich zwei Kandidaten zum Sieger

Von Ralf Leonhard *

Nach den nicaraguanischen Gemeindewahlen vom Sonntag haben sich in der Hauptstadt Managua sowohl der sandinistische als auch der liberale Kandidat zum Sieger erklärt. Bei Zusammenstößen zwischen aufgeheizten Anhängern floss Blut. Erste Bilanz: eine Tote und vier Verletzte.

Die regierenden Sandinisten wollten offenbar nichts dem Zufall überlassen. In manchen der 146 Gemeinden begann die Siegesfeier schon nach Auszählung von nur drei Prozent der abgegebenen Stimmen. Auch in Managua ließ sich der ehemalige Boxchampion Alexis Argüello schon feiern, bevor noch zuverlässige Tendenzen sichtbar waren. Argüello hat die Zahlen des Obersten Wahlrates auf seiner Seite. Der Liberale Eduardo Montealegre beruft sich dagegen auf Kopien der Wahlakten, deren Zahlen in seiner Parteizentrale zusammengerechnet wurden.

Unweit vom Obersten Wahlrat bezogen sandinistische Getreue bald nach Schließung der Wahllokale Position. »Wir machen von unserem demokratischen Recht Gebrauch, die öffentlichen Plätze zu besetzen, damit unsere Gegner das nicht mehr tun können«, sagte ihr Wortführer.

Darauf berief Widersacher Montealegre noch in der Wahlnacht eine Pressekonferenz ein, bei der er versicherte, er hätte knapp über 50 Prozent der Stimmen erreicht. Sein Parteichef, Expräsident Arnoldo Alemán, der wegen Korruption verurteilt wurde und noch unter Hausarrest steht, verlangte eine Neuauszählung der Stimmen in allen umstrittenen Gemeinden.

Luis Marenco, ein Vertreter der Liberalen, witterte grobe Manipulation. So seien in einem Wahllokal, wo kein Oppositionsvertreter bei der Auszählung zugegen war, von 442 gültigen Stimmen 400 auf die Sandinisten und keine einzige auf die Liberalen entfallen. Mehrere liberale Beobachter seien aus den Lokalen geworfen worden, weil ihre in letzter Minute vom Obersten Wahlrat ausgehändigten Akkreditierungen Formfehler aufwiesen. Viele Lokale sollen vorzeitig geschlossen worden sein, obwohl noch Schlangen von Wahlberechtigten warteten.

Da unabhängige Beobachter nicht zugelassen waren, gab es keine unparteiische Instanz, deren Urteil man abwarten konnte. »Der gesamte Wahlapparat wird von unten bis oben von den Sandinisten kontrolliert«, erklärt der Politologe Manuel Ortega Hegg von der Jesuitenuniversität in Managua das Misstrauen. Deswegen kam es schnell zur Eskalation auf den Straßen von Managua, wo Gruppen von Anhängern der rivalisierenden Parteien aufeinander stießen. Brennende Reifen blockierten eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. Zuerst flogen nur Steine. Dann fielen auch Schüsse aus einem Gebäude. Ein achtjähriges Mädchen auf der Seite der Liberalen blieb blutüberströmt liegen und starb wenig später. Die Polizei, die sich mit dem Eingreifen viel Zeit ließ, meldete vier weitere Verletzte. 33 Personen wurden festgenommen.

Am Erfolg der Sandinisten insgesamt dürfte kein Zweifel bestehen. Nach noch inoffiziellen aber auf größtenteils kompletter Auszählung beruhenden Angaben des Wahlrates konnte die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) in 102 Gemeinden die Mehrheit erringen. Das sind 15 mehr als bisher. Darunter die meisten Provinzhauptstädte, nämlich Ocotal, Somoto, Estelí, Chinandega, León, Masaya, Rivas (erstmals seit 1990), Boaco, Matagalpa und San Carlos. Die Liberalen eroberten Jinotepe, Juigalpa, Jinotega und Granada und hielten Bluefields an der Atlantikküste. Neben Managua bleiben aber auch einige andere wichtige Städte wie León umstritten.

Als die Sandinisten 1990 abgewählt wurden, blieben neben mächtigen Basisorganisationen einige Gemeinden in sandinistischer Hand. Diese konnten eine gewisse Unabhängigkeit erobern, zumal die Gemeindeautonomie in der Verfassung verankert ist. Jetzt zieht die Zentrale in Managua die Zügel straffer. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die nicht auf das Kommando Daniel Ortegas hören, sehen sich schikaniert. Sandinistische Bürgermeister mussten sich verpflichten, sich den sogenannten Bürgerbeteiligungskomitees unterzuordnen, die von der FSLN kontrolliert werden.

* Aus: Neues Deutschland, 12. November 2008


Punktsieg für Sandinisten

Nicaragua: Die Partei des Präsidenten Ortega hat die Kommunlwahlen gewonnen

Von André Scheer **


Die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) hat die Kommunalwahlen in Nicaragua klar gewonnen. Nach Auszählung von gut 86 Prozent der Stimmen konnte die Partei des Präsidenten Daniel Ortega 91 der 146 zur Wahl stehenden Lokalregierungen für sich entscheiden, vier mehr als bei der letzten Abstimmung 2004. Besondere Bedeutung hat der Erfolg des sandinistischen Kandidaten und früheren Boxchampions Alexis Argüello in der Hauptstadt Managua, der sich bei der Wahl des Bürgermeisters gegen den millionenschweren Bankunternehmer Eduardo Montealegre von der Liberalen Konstitutionalistischen Partei (PLC) durchsetzen konnte.

Auf der vom Obersten Wahlrat veröffentlichten Karte mit den Ergebnissen in den verschiedenen Provinzen Nicaraguas zeichnet sich eine Ost-West-Spaltung ab. Während sich die rechte Opposition hauptsächlich in den Regionen an der Atlantikküste durchsetzen konnte, gewannen die Sandinisten den Westen Nicaraguas, darunter die zweitgrößte Stadt des Landes, León.

In Managua kam es nach Bekanntwerden des sandinistischen Wahlsieges zu Ausschreitungen durch Anhänger der Opposition. Wie nicaraguanische Rundfunksender meldeten, zogen Mitglieder der PLC mit Steinen und Knüppeln bewaffnet durch die Straßen, verfolgten Menschen, die sie für Sandinisten hielten, und demolierten öffentliche Einrichtungen. Mindestens zwei Personen erlitten Schußverletzungen, während Meldungen vom Tod eines Menschen zunächst nicht bestätigt wurden.

Zuvor hatte der unterlegene Bürgermeisterkandidat Montealegre den Sieg Argüellos nicht anerkannt und von einem »massiven Betrug« gesprochen. Er habe mehr als 50 Prozent der Stimmen gewonnen, behauptete er und rief dazu auf, »die Stimme auf der Straße (zu) verteidigen«. Auch die FSLN-Abspaltung MRS (Sandinistische Erneuerungsbewegung), die den rechten Kandidaten unterstützt hatte, sprach von Wahlbetrug. Die MRS selbst war, ebenso wie die Konservative Partei, von der Wahlbehörde aus formalen Gründen von den Kommunalwahlen ausgeschlossen worden. Bei vergangenen Wahlen hatte sie – teilweise im Bündnis mit anderen Gruppierungen – zwischen einem und 8,5 Prozent der Stimmen erhalten.

Die Sandinisten reagierten ihrerseits mit Protestaktionen gegen die Ausschreitungen der Liberalen. Mehrere hundert Anhänger der FSLN attackierten am Montag abend (Ortszeit) mit Steinen den Parteisitz der PLC, wobei drei Menschen verletzt wurden. Die von der PLC herbeigerufene Polizei löste die Belagerung nach wenigen Minuten auf.

Sprecher der Wahlbehörde wiesen die Vorwürfe der Opposition zurück, und auch die 120 internationalen Wahlbeobachter konnten keine Unregelmäßigkeiten feststellen. »Während des gesamten Wahltages haben wir keine Vorkommnisse registriert, die einen Betrug belegen könnten«, sagte Eugenio Chicas, der die Abstimmung im Auftrag des Protokolls von Tikal beobachtete, einem vor 20 Jahren gegründeten Zusammenschluß der Wahlbehörden Mittelamerikas und der Karibik.

»Die Rechte kann nicht mit Würde verlieren«, kommentierte der internationale Sekretär der FSLN, Jacinto Suárez, die Ausschreitungen der PLC-Anhänger. Die Opposition habe von vornherein gewußt, daß sie diese Wahlen verlieren werde. Deshalb versuche sie nun gewaltsam, die Wahlen zu diskreditieren: »Es fällt ihnen sehr schwer zu akzeptieren, daß die FSLN fast hundert Rathäuser gewonnen hat, denn dann müßten sie akzeptieren, daß die FSLN eine umfassende Realität ist«, sagte er. Der Hauptfehler der PLC sei es gewesen, in Managua keinen lokalen Wahlkampf zu führen, sondern die Opposition unter dem Motto »Alle gegen Ortega« zu vereinen und einen nationalen Wahlkampf zu führen. Diese Konfrontation habe wohl dazu geführt, daß auch liberale Wähler für den sandinistischen Kandidaten gestimmt hätten, so Suárez.

** Aus: junge Welt, 12. November 2008


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