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Nur ein erfolgreicher Friedensprozess wird der Gewalt den Boden entziehen

Kommentar zum Anschlag der Real IRA auf eine Kaserne der britischen Armee in Nordirland

Von Dermot O'Connor und Uschi Grandel *

Die "Real IRA", eine irisch-republikanische Splittergruppe, hat bei einem Anschlag auf die Massareene Kaserne der britischen Armee in Nordirland zwei Soldaten erschossen. Mehrere Menschen wurden verletzt. Der Anschlag erfolgte am Samstagabend unmittelbar vor der Kaserne, die im County (Landkreis) Antrim nördlich von Belfast liegt.

Der Präsident der irisch republikanischen Partei Sinn Féin, Gerry Adams, beschrieb die tödlichen Schüsse als "einen Anschlag auf den Friedensprozess". Er sei falsch und kontraproduktiv für die Durchsetzung republikanischer Ziele:

"Irische Republikaner und Demokraten haben die Pflicht, dem entgegenzutreten und den Friedensprozess zu verteidigen. Sinn Féin hat eine Strategie, die britische Herrschaft in unserem Land auf friedliche und demokratische Weise zu beenden."

Bei Anschlägen der "Real IRA" läuten die Alarmglocken. Die Gruppe, die kaum auf Unterstützung aus der Bevölkerung bauen kann, hat eine dubiose Historie. Sie war für das Bombenattentat in Omagh im Jahre 1998 verantwortlich, bei dem 29 Menschen getötet und über 300 verletzt wurden. Der Anschlag sollte das ein paar Monate zuvor frisch geschlossene Friedensabkommen zu Fall bringen.

Über diesen Anschlag stolperte der damalige Polizeichef Ronnie Flanaghan, als bekannt wurde, dass die Sonderpolizei "Special Branch" und britische Geheimdienste Warnungen ihrer Agenten ignorierten und der Geheimdienst am Tag des Anschlags die Bewegungen der Bombenleger per Handy verfolgte. Bis zum heutigen Tag ist unklar, wer eigentlich die Strippenzieher des Attentats waren.

Und heute?

Ob der Zeitpunkt des Anschlags Zufall ist oder nicht, stark beunruhigend sind Entwicklungen, die nur ein paar Tage zuvor bekannt wurden. Der oberste Polizeichef Nordirlands Hugh Orde hatte die britische Spezialeinheit "Special Reconnaissance Regiment" nach Nordirland geholt. Angeblich wegen der drohenden Gefahr durch republikanische Dissidenten. Der Anschlag unterstreicht dies so dramatisch, dass zum Beispiel die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA aus Warschau kommentiert:

"Die schlechteste Lösung wäre sicherlich, jetzt eine große Menge von Soldaten auf die Straßen Nordirlands zu schicken. Die Reaktion der Bevölkerung wäre kaum vorherzusehen. Vielmehr sollte die britische Regierung ihre Geheimdienst-Aktivitäten intensivieren".

Mit dem ersten Satz hat die Zeitung recht. Die britische Armee ist kein neutraler Schlichter. Sie war Kriegspartei in Nordirland und bedeutender Teil des Problems. Die "Intensivierung der Geheimdienst-Aktivitäten" ist für diejenigen, die die schmutzige Rolle der britischen Geheimdienste in Nordirland kennen, ein Albtraum-Szenario.

Martin McGuinness von Sinn Féin und Menschenrechtsgruppen wie das Pat Finucane Centre haben in den letzten Tagen denn auch energisch dagegen protestiert, die Special Reconnaissance Regiment (SRR) einzusetzen. In der Vergangenheit haben verschiedene Abteilungen dieser Geheimdienste mit ihren illegalen Mitteln und ihren Militärmachtspielen den Friedensprozess bedroht und wiederholt in Gefahr gebracht. Das Pat Finucane Centre fragt deshalb den obersten Polizeichef:
  • Wird die Einheit, wie ihre frühere Inkarnation, die Force Research Unit, Agenten einsetzen?
  • Falls ja, wird die Einheit Morde durch ihre Agenten planen und anleiten, so wie es die Force Research Unit tat?
  • Wird die Einheit den Ermittlern Wissen über Bombenanschläge vorenthalten, um Agenten zu "schützen"?
Und wir fragen: wird sich die britische Regierung mit ihren Geheimdiensten der weiteren friedlichen Entwicklung Nordirlands erneut in den Weg stellen?

Der letzte nordirische Polizeichef stolperte über die Machenschaften der Dienste, die der jetzige Polizeichef wieder ins Land holt. Sie waren in der Vergangenheit immer präsent, wenn es darum ging, den Friedensprozess zu destabilisieren. Wichtiges aktuelles Thema im Friedensprozess ist die Kontrolle über Polizei und Justiz, die derzeit noch in London liegt. Sie soll, wie im Abkommen von St. Andrews vereinbart, an die nordirische Regionalregierung übergehen. Der Streit über diese Kontrolle tobt seit Monaten. Will die britische Regierung mit ihren Sondereinheiten bewaffnete polizeiähnliche Strukturen aufbauen, die jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen sind?

Die Bevölkerung Irlands hat das Recht darauf, dass die britische Regierung ihren vollen Beitrag zum Friedensprozess leistet. Je schneller und klarer sie das tut, je mehr wird sie auch denjenigen Kleinstgrüppchen Boden und Legitimität entziehen, die auf den Hass der Bevölkerung gegen alte (und neue?) Machenschaften der britischen Streitkräfte bauen.

* Dermot O'Connor, Irlandinitiative Heidelberg (www.irlandinit-hd.de/index.htm); Uschi Grandel, Info Nordirland (www.info-nordirland.de)

Gerry Adams (Sinn Féin): Anschlag war "falsch und kontraproduktiv"

Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus einem Artikel in "The Guardian", in dem die Haltung von Sinn Féin kritisch dargestellt wird.

Gerry Adams defends response to murder of soldiers (Excerpts)

(...) Gerry Adams said today (9 March) that the British army was "not wanted" in Northern Ireland as he explained Sinn Féin's decision not to condemn the killing of two soldiers in Antrim as robustly as other parties have done.

In an interview on the Today programme, the Sinn Féin leader said it was important to understand the history of Northern Ireland before criticising the nature of the Sinn Féin reaction.

Sinn Féin took 14 hours to issue a response to the killing of two soldiers at Massereene barracks on Saturday night. The party said that the attack was "wrong and counter-productive" and that, because Sinn Féin had a "responsibility to be consistent", therefore "the logic of this is that we support the police in the apprehension of those involved".

Adams has been criticised for not condemning the attacks more vehemently. Lord Tebbit, the former Conservative party chairman, told the Daily Mail: "It is a pity that Gerry Adams could not find it in his heart to express any sympathy for those who republicans have murdered."

On the Today programme this morning Adams said that his thoughts were with the families of those who were killed and injured. But, when it was put to him that the Sinn Féin response appeared cold-hearted, he said those who were saying that did not understand the history of Northern Ireland.

"The Sinn Féin statement was totally and absolutely unprecedented," he said.

"The history, and I suppose it's a very unsettled history, is that the British army in Ireland is not wanted by republicans, by patriots, by democrats. I stress again that this is not to justify what occurred. Many people have suffered at the hands of the British army."

Adams said that Northern Ireland had now reached a peaceful and democratic phase and that those behind the attack were seeking to undermine that. But he had to be the "best judge" of how he decided to react.

(...)

Adams said that those behind the attacks had "no popular support". He also said that he and his Sinn Féin colleague Martin McGuiness were seen as legitimate targets by the dissident republicans.

The Guardian (online), 9 March 2009




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