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Ardoyne fasst wieder Mut
Ardoyne: Community fights back

Belfaster Stadtviertel mit hoher Selbstmordrate unter Jugendlichen - Erbe des Bürgerkriegs
The terrible legacy of death and suicide

Eine Häufung von Selbstmorden von Jugendlichen im Belfaster Stadtviertel Ardoyne haben viele Menschen erschüttert. Seit Weihnachten 2003 haben sich 12 Jugendliche das Leben genommen - Zeitungsberichten zufolge aus Verzweiflung und tiefer Depression über die Zustände in dem Stadtviertel. Hingewiesen wird insbesondere auf die Gewalt durch paramilitärische Banden, Drogenkonsum, Arbeitslosigkeit und unzumutbare Wohnverhältnisse. Die erschreckende Selbstmordrate unter Jugendlichen zeigt auf dramatische Weise, dass der Konflikt im Norden Irlands noch lange nicht überwunden ist.

Wir legen im Folgenden zwei Artikel der North Belfast News vom 20.2.2004 bei, der lokalen Zeitung von Nordbelfast, der die Probleme der Nordbelfaster Stadtviertel geläufig sind:
  1. einen Bericht der "North Belfast News" zu den Selbstmorden in Ardoyne (in englischer Sprache),
  2. einen Kommentar der North Belfast News: "Ein Viertel fasst neuen Mut" (in deutscher Übersetzung).
Hintergründe zu Ardoyne finden Sie in dem Buch "Ardoyne - the Untold Truth", das ein persönliches Zeugnis der Menschen in Ardoyne ist. In diesem Buch berichten sie selbst über ihr Leben während des Konflikts und über die Folgen für das Viertel und seine Bewohner. (siehe hierzu Informationen am Ende dieser Seite).

Weitere Informationen zu Nordirland finden Sie auf der Webseite unter http://www.info-nordirland.de/



North Belfast News , 20 February 2004

Community fights back

North Belfast advice workers on round

North Belfast is today emerging from a nightmare as Ardoyne gets back on its feet to combat the terrible legacy of death and suicide. Ardoyne has witnessed an outpouring of grief in front of the world's media as the community fights back to address the unacceptably high rates of unemployment, deprivation and isolation among the young.

Heartache as suicide claims another North Belfast teen

Thousands of people turned up on Tuesday to attend the funeral of 18-year-old Bernard 'Barney' Cairns. The day began with hundreds waiting outside his home in North Queen Street to follow his funeral cortege to the short distance to St Patrick's Church in Donegall Street for the final farewell.
Walking behind the coffin hundreds of young boys and girls in school uniforms formed in the cortege.
Barney Cairns took his own life last weekend in the grounds of Holy Cross Church, just hours after he had attended the funeral of his best friend Anthony O'Neill. Anthony 'Cheetah' O'Neill took his own life on Wednesday February 11. Three days later Barney took his own life and was removed from scaffolding by Fr Aidan Troy and others. They were both 18 and both victims of INLA punishment attacks.
The total lives lost through suicide since Christmas according to the Prevention of Suicide and Prevention of Self Harm project [Pips] stands at 12. Speaking at Tuesday's funeral Fr McGee said that the teenager had been depressed for quite some time and that he had been in a despairing state. Bernard leaves behind his mother Angela, father Geordie and brothers and sisters Tambo, Francine, Bernie, John, Anthony, Liam, George, Micky and Bessie. Phil McTaggart of the Pips Project said that he found the day extremely emotional.

"The funeral of young Bernard Cairns was a scene that is becoming all too familiar for people in North Belfast," he said. "We at Pips would like to offer our condolences to the Cairns family and offer our help to them at this terrible time. "For me I found the whole day very upsetting, but even more so at the city cemetery where Bernard was laid to rest. "Because not only was I looking down at Bernard's grave, but that of my son Pip's, and that of young Pearse Doherty who died in a car accident just over a month ago, and beside that was the grave of a young girl who took her own life on Christmas Day.

"I know that there has been a lot of media attention this week on Ardoyne but I think that it's a pity it took so many lives to be lost before anyone paid attention. "It has to be said, I know we do have a problem in the area, but there is a lot of good work going on behind the scenes. "Not everyone knows about it, but it's there I can tell you. Not all kids are drinkers or using drugs every night of the week. "Not all of them are bad and brandished a tearaway. "There are activities there for people, and what we need now is for resources to back this good work up and put in place services for young adults in North Belfast."

SDLP North Belfast Cllr Pat Convery said he shocked and dismayed at the recent spate of suicides in the area. "All my thoughts and prayers are with the families of the young men who have taken their own lives. "Young people are under too much pressure in North Belfast. Paramilitary violence, drugs, unemployment and a growing lack of housing has pushed too many of us to despair. "That is why we need a multi-agency approach to deal with the problems that face this area today. "There is an urgent need for a task group to be set up by Direct Rule ministers to look at the situation in North Belfast."
Journalist:: Staff Reporter


North Belfast News , 20 Februar 2004

Unser Kommentar:

Ardoyne fasst wieder Mut

Nach einer der schlimmsten Phasen der jüngsten Vergangenheit fasst Ardoyne langsam aber sicher wieder Zuversicht und macht sich daran, sich einer der größten Herausforderungen zu stellen.
Die Moral des Viertels war letztes Wochenende am Boden, als der junge Barney Cairns sich nur Stunden nach der Beerdigung seines engen Freundes Cheeta O'Neill selbst das Leben nahm.
Die Wut, der Ärger und die Spannung im Viertel war am letzten Wochenende spürbar.
Selbst ein Gottesdienst, der letzten Sonntag einberufen wurde, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Sympathie für die Selbstmordopfer zu zeigen, geriet zeitweise aus den Fugen, als die Wut über die INLA und die Drogendealer in Ardoyne fast überkochte.
Die Vernunft setzte sich schließlich durch dank der gemeinsamen Anstrengungen von Pfarrer Troy, Gemeindearbeitern und lokalen Sinn Féin Politikern. Sie schafften es gemeinsam, die Wut in positive Bahnen zu lenken, die auf längere Sicht den Menschen in Ardoyne nützen, anstatt nur dem Ärger Luft zu machen.
Am darauffolgenden Montag wurde ein öffentliches Treffen von Repräsentanten des Viertels, offiziellen Stellen und den jungen Leuten des Viertels abgehalten. Das war ein erster Schritt, gegen das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung anzukämpfen, das das Viertel befallen hatte. Die Menschen in Ardoyne hörten den Jugendlichen zu, redeten mit ihnen und liessen die offiziellen Stellen nicht im Unklaren darüber, dass sie Unterstützung vor Ort benötigen.
Die Community hat ihre eigenen Ressourcen an Wissen, Know how und Energie mobilisiert, viel Zeit investiert, um die schwindende Moral des Stadtviertels wiederzubeleben und die drängenden und unmittelbaren Probleme, die mit Selbstmord und Selbstzerstörung zu tun haben, anzugehen. Ardoyne hat mit ersten lokalen Lösungen begonnen: Einrichtungen werden durch Freiwillige rund um die Uhr offengehalten, damit Ansprechpartner für die Jugendlichen zu jeder Zeit zur Verfügung stehen.

Die Bewohner von Ardoyne agieren mit Generosität, mit Ideen und mit tiefer Sorge um die jungen Leute, die an den Rändern der Gemeinschaft leben. Ardoyne zeigt seine Entschlossenheit, dem lautlosen Mörder entgegenzutreten.
Die Bewohner von Ardoyne haben sich auch nicht von den Medien verwirren lassen, die sich mit ihrer Berichterstattung über das, was in Ardoyne und in ganz Nordbelfast passiert, nicht mit Ruhm bekleckert haben. Fernsehen und Tageszeitungen haben den Ernst der Lage dadurch verschleiert, dass sie sich in ihrer Berichterstattung einzig und allein auf die Rolle der INLA im Umgang mit auffälligen Jugendlichen im Viertel, darunter auch die beiden Selbstmordopfer, beschränkten
Unsere Zeitung und die Mehrheit der Menschen in Nordbelfast lehnt jede Form paramilitärischer Bestrafungsaktionen zutiefst ab. Aber wir wissen, dass die Ursachen für die Selbstmorde sehr viel tiefer liegen und dass der Fokus auf die INLA die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Ursachen ablenkt.

Ursachen der derzeitigen Selbstmorde sind in der institutionalisierten Entbehrung, der Armut, der Vernachlässigung über Generationen hinweg zu suchen. Sie sind in den Kosten des Konflikts für ein Viertel zu suchen, das mehr als viele andere leiden musste und das selbst letzte Nacht von religiös-rassistisch motivierten Überfällen nicht verschont blieb (die pro-britische, unionistische paramilitärische Organisation UDA demolierte sieben Häuser nahe Ardoyne in einer ihrer nächtlichen anti-katholischen Hassfeldzüge).

Die offiziell zuständigen aus dem Bereich Gesundheit und Erziehung versprachen diese Woche, partnerschaftlich mit der Ardoyner Community zu arbeiten, die mit diesen Problemen konfrontiert ist. Sie haben jedoch zugegeben, dass die Mittel hierfür nicht ausreichen. Politiker müssen mehr Mittel für die Gesundheitsorganisationen bereitstellen, damit sie schneller auf solche Krisen reagieren können.

Unterdessen sprechen wir all denen, die ohne zu zögern die Arbeit aufgenommen haben, angefangen von den women's groups, dem örtlichen Gesundheitszentrum, der katholischen Kirche, den youth providers und dem Ardoyne Fleadh Committee, unseren Dank aus, dass sie sich der Aufgabe stellen, den grössten Schatz zu beschützen, den wir haben, das Leben unserer Jugend.




"Ardoyne - the Untold Truth"
Belfast 2002

Das Buch wurde am 15. August 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ardoyne ist ein irisches Stadtviertel in Nordbelfast mit ca. 6.000 Einwohnern. In mehreren hundert Interviews mit Familie, Freunden und Augenzeugen hat das Ardoyne Commemoration Committee die Geschichte all derer zusammengetragen, die als Folge des 30-jährigen Konflikts ums Leben gekommen sind. 99 Opfer aus Ardoyne forderte der Konflikt bisher.
Das Buch ist ein sehr persönliches Zeugnis der Ardoyner Community und ermöglicht damit eine tiefe Einsicht in den Konflikt, in die Lebenssituation und die Politisierung der irisch-katholischen Bevölkerung. Auch die jeweils einführenden Kapitel, in denen die verschiedenen Perioden von 1969 bis 2002 erläutert werden, werden durch Interviews mit Ardoyner Zeitzeugen zu spannenden, authentischen Berichten.

Inhaltsverzeichnis:
  • Liste aller ermordeten Ardoyner
  • Vorwort
  • Einleitung
  • Kapitel 1: 1969-70 "Ardoyne will not burn"
  • Kapitel 2: 1971-73 'Hot and Heavy': The War Begins
  • Kapitel 3: 1974-76 'Murder Mile': Truces and Terror Campaigns
  • Kapitel 4: 1976-84 'The Long War': Containement, Criminalisation and Resistance
  • Kapitel 5: 1985-94 Counter-insurgency, Collusion and the Search for Peace:
    From the Anglo-Irish Agreement to the Ceasefires
  • Kapitel 6: 1994-2002 To the Good Friday Agreement and Beyond
  • Kapitel 7: Conclusion
Wo kann man das Buch kaufen?
Das Buch ist im Verlag Beyond the Pale ( http://www.btpale.ie/ ) erschienen und kann dort Online als Paperback oder gebunden bestellt werden.
Buchbeschreibung und Onlinebestellung:
http://www.btpale.ie/newbks.htm
http://www.btpale.ie/cgi-bin/book_ordering




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