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Späte Gerechtigkeit

Britischer Bericht: Keine Rechtfertigung für Bloody-Sunday-Massaker von 1972

Von Christian Bunke, Manchester *

Am 30. Januar 1972 töteten Soldaten eines britischen Fallschirmjägerregiments 14 Teilnehmer einer Bürgerrechtsdemonstration in Derry, Nordirland, und verletzten weitere 13 Personen. Das Ereignis ging als »Bloody Sunday« in die Geschichte ein. Es war das größte Massaker auf britischem Boden seit über 150 Jahren. Eine ganze Genera­tion katholischer nordirischer Jugendlicher trat nach der Bluttat den verschiedenen republikanischen bewaffneten Gruppen bei.

38 Jahre danach erschien am Montag in London ein Untersuchungsbericht, der erstmals den Angehörigen der damals getöteten Gerechtigkeit widerfahren läßt. Unmittelbar nach dem Massaker ließ das britische Militär verlauten, die Soldaten hätten in Notwehr geschossen, sie seien mit Nagelbomben und Molotowcocktails angegriffen worden.

Der Saville Report stellt nun fest, daß es für die Schüsse absolut keine Rechtfertigung gebe. Auf die Soldaten des Regiments sei nicht geschossen worden, es habe weder Nagelbomben, noch Molotowcocktails gegeben. Mitglieder republikanischer paramilitärischer Gruppen seien zwar in der Gegend gewesen, einige hätten auch Kampfpositionen eingenommen, von diesen sei aber keine Gefahr für die Soldaten ausgegangen.

Insbesondere Lieutenant Colonel Derek Wilford wird in dem Bericht scharf angegriffen. Er habe Befehle ignoriert, nicht in bestimmte Straßen vorzudringen. Dadurch sei die Situation erst verschärft worden. Weiterhin wird der Einsatz der Fallschirmspringer überhaupt kritisiert. Diese seien für massive Gewaltanwendung bekannt und somit für den Einsatz bei Demonstrationen ungeeignet.

Der Bericht spricht die Führungsspitze der britischen Armee von jeglicher Schuld frei. Es ist allerdings von einem Papier die Rede, welches vom damaligen Oberkommandierenden in Nordirland, Major General Ford, der Armeeführung zugeleitet wurde. In diesem Papier wurde die gezielte Tötung mutmaßlicher IRA-Führer erwogen. Der Bericht drückt »Überraschung« über dieses Papier aus, beim Bloody-Sunday-Massaker habe es sich aber nicht um gezielte Tötungen dieser Art gehandelt. Der Bericht stellt aber auch fest, das beteiligte Soldaten bis heute über den Tathergang kollektiv lügen.

In Derry wurde die Veröffentlichung des Berichtes mit großer Freude aufgenommen. Tausende hatten sich am Ort des Massakers versammelt, um den Angehörigen der Ermordeten ihre Solidarität zu bekunden. Ein Sprecher der Familien der Opfer erklärte auf der Kundgebung, »Massaker dieser Art gibt es überall, wo die jeweils Herrschenden ihre Macht in Gefahr sehen. Das war damals in Derry der Fall, aber auch auf dem Tienamen-Platz in Peking, in Afghanistan, oder heute im Gazastreifen.«

Premierminister Cameron entschuldigte sich bereits am Montag für das Verbrechen. Es falle ihm nicht leicht, etwas Schlechtes über britische Soldaten zu sagen. Aber: »Das, was in Derry damals geschah, war schlicht falsch.« Innerhalb des britischen Militärs geht nun die Angst vor Folgeklagen um. Einige Familienangehörigen kündigten bereits an, nun gegen damals beteiligte Soldaten klagen zu wollen.

* Aus: junge Welt, 17. Juni 2010


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