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Neue Hoffnung für Nordirland

London und Dublin wollen den lahm gelegten Friedensprozess 2006 wiederbeleben

Von Mattes Standke, London*

In Großbritannien und Irland wächst die Hoffnung, den stockenden nordirischen Friedensprozesses 2006 zum Durchbruch zu führen.

Irlands Außenminister Dermot Ahern zeigte sich diese Woche fest entschlossen: Das kommende Jahr soll zum »Entscheidungsjahr« für Nordirlands Autonomiebestrebungen werden. Nach langer Durststrecke in den zuletzt festgefahrenen Verhandlungen wollen sich die Regierungen in Dublin und London nun wieder gemeinsam für eine baldige Wiedereinsetzung der nordirischen Regionalregierung und ein Ende der britischen Direktverwaltung einsetzen.

»Wir sind überzeugt, dass Nordirlands Politiker sich 2006 entscheiden müssen, ob sie künftig in einer partnerschaftlichen Selbstverwaltung zusammenarbeiten möchten«, sagte Ahern dem irischen Radiosender RTE. Ziel sei es, die verfeindeten Parteien der britischen Unruheprovinz im Norden Irlands noch vor Jahresende erneut zu einer gemeinsamen Autonomieverwaltung zusammenzuführen. Einen »Plan B« dazu gebe es nicht. Es sei aber keineswegs ausgeschlossen, dass sich das bestehende Zeitfenster für eine Lösung im nächsten Jahr wieder schließen würde, warnte Ahern.

Die Regionalregierung aus Vertretern der führenden pro-britischen und pro-irischen Parteien war 2002 auseinander gebrochen, nachdem Spionagevorwürfe gegen die radikal pro-irische Partei Sinn Féin, politischer Vertreter der paramilitärischen Irisch Republikanischen Armee (IRA), eine Vertrauenskrise ausgelöst hatten. Ahern verwies außerdem darauf, dass eine regionale und dezentrale Regierung schließlich auch dem demokratischen Willen der Bürger Nordirlands entspreche. Mit der Zustimmung zum Karfreitags-Friedensabkommen von 1998 hatte sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine gemeinsame Verwaltung Nordirlands unter vorläufigem Fortbestand der Union mit Großbritannien ausgesprochen. Der britische Premierminister Tony Blair ist unlängst von der internationalen Organisation EastWest Institute für seine Beteiligung am Zustandekommen dieser Friedensvereinbarung mit dem Titel »Staatsmann des Jahrzehnts« ausgezeichnet worden.

Derweil warb der britische Nordirlandminister Peter Hain in seiner Neujahrsansprache für mehr Vertrauen zwischen den politischen Gruppierungen. Für die radikal pro-irische Bewegung gelte es, die pro-britischen Unionisten von ihren friedlichen Absichten zu überzeugen. An die Unionisten appellierte der Londoner Minister, sich künftig eindeutig zu ihrer bisher eher halbherzig vertretenen Bereitschaft zur Machtteilung zu bekennen.

Noch vor wenigen Monaten glaubten in Nordirland viele, die Region stünde endgültig vor dem lang ersehnten Durchbruch im Friedensprozess, nachdem die IRA im September 2005 ihre vollständige Entwaffnung und ein Ende der Gewalt bekannt gegeben hatte. Doch Nordirlands führende Unionisten-Partei, die Democratic Unionist Party (DUP), war damit noch nicht zufrieden gestellt. Wie DUP-Sprecher Jeffrey Donaldson diese Woche in Belfast betonte, werde es solange keine Regierungsbildung mit Sinn Féin geben, bis man von der neuen »weißen Weste« der IRA restlos überzeugt sei. Dazu brauche es laut Donaldson zunächst jedoch weitere »vertrauensbildende Maßnahmen«.

Sinn-Féin-Chef Gerry Adams wiederholte dagegen seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der DUP und rief alle Parteien auf, sich um die Wiederaufnahme der Friedensgespräche zu bemühen. Auch Vertreter der gemäßigten pro-irischen Social Democratic and Labour Party (SDLP) zeigten sich konsensbereit. Gemeinsam wolle man »den Countdown zur Selbstverwaltung« in Gang setzen.

Dabei könnte ein für Ende Januar erwarteter Bericht der Internationalen Kommission zur Überwachung des Friedensprozesses den Startschuss zu ersten Verhandlungen bieten. Sollten sich die Kommissare darin wie erwartet lobend über die Friedensbemühungen der IRA äußern, würde dies zumindest für eine Entspannung des Gesprächsklimas in Nordirland sorgen.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2006


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