Auch die Kirchen in Nordirland müssen Frieden schließen
Nach Ende des Konflikts verlieren Glaubensinstitutionen an Bedeutung
Von Axel Reiserer, Belfast *
Die Kirchen haben den Konflikt in Nordirland lange geduldet, wenn nicht gar angeheizt. Die
Konfession prägt seit Jahrzehnten die – gespaltene – Identität der Provinz. Der Friede ist daher auch
für die Kirchen eine Herausforderung.
Jim Chesney war ein besonders beliebter Pfarrer. Für die Katholiken im nordirischen Dorf Claudy
nahe Derry kam es 1973 wie ein Blitz aus heiterem Himmel, dass er in eine Pfarrei in der Republik
Irland versetzt wurde. Erst 30 Jahre später sollten sie den Grund erfahren: Chesney soll aktives
Mitglied der Untergrundarmee IRA und Mitwisser jenes Anschlags gewesen sein, der am 31. Juli
1972 neun Menschen, darunter ein achtjähriges Mädchen, im Ort getötet hatte. An der Versetzung
Chesneys soll auch der damals oberste Vertreter der katholischen Kirche in Irland, Kardinal William
Conway, führend beteiligt gewesen sein.
Zwar hatten alle Konfessionen Nordirlands schon 1971, zwei Jahre nach Beginn des bewaffneten
Kampfs der IRA, gemeinsam zu einem Ende der Gewalt aufgerufen. Doch immer wieder gerieten
Kirchenvertreter in Verdacht, mit militanten Gruppen mehr als nur zu sympathisieren. Nun, wo der
Friede gekommen ist, wird man erst das Erbe aus getrennten Loyalitäten und gemeinsamen
Traumata überwinden müssen.
Dass die Kirchen in den Nordirland-Konflikt gerieten, war wohl unvermeidlich, verstanden ihn doch
selbst die Protagonisten lange Zeit als Konfessionskonflikt. Die Katholiken wollten sich die
Übermacht der Protestanten in den 1960er Jahren nicht mehr bieten lassen. Als friedlicher Protest in
ihren Augen nichts nützte, griffen radikale Kreise zu den Waffen – rasch auf beiden Seiten. Die
Gebote der christlichen Friedensbotschaft zählten die nächsten 30 Jahre nicht viel. Es wäre ohnehin
falsch anzunehmen, dass die Mörder der »katholischen« IRA oder der »protestantischen« UDF
besonders gläubige Männer waren. Konfession ist in Nordirland ein Identität stiftendes Merkmal, seit
im 17. Jahrhundert protestantische Schotten und Engländer im Norden Irlands angesiedelt wurden,
um die Macht der englischen Krone im katholischen Irland zu festigen. Der unausweichliche Konflikt
wurde rasch zu einem Konflikt zwischen London- und Rom-Treuen bzw. einem Kampf um politische
Macht.
Das alles mag 300 Jahre her sein und ist doch noch immer aktuell. Als Papst Johannes Paul II. 1988
im Europaparlament sprach, erhob sich der Abgeordnete Ian Paisley und brüllte: »Sie sind der Anti-
Christ!« Derselbe Paisley, mittlerweile im 81. Lebensjahr und Chef der pro-britischen DUP, einigte
sich nun mit Sinn Fein, die als politischer Arm der IRA galt, auf eine gemeinsame Regierung.
Der Konflikt in Nordirland war eine ungleiche Auseinandersetzung. Die Unionisten, also die
überwiegend protestantischen Anhänger des Verbleibs der Provinz bei Großbritannien, konnten auf
die Bevorzugung der Behörden setzen. So wurde jetzt bekannt, wie die Polizei protestantische
Terroristen als Informanten schützte und bezahlte, statt sie zu verhaften. Umgekehrt war die in der
Republik Irland mächtige katholische Kirche immer bedeutender als die zersplitterten
protestantischen Kirchen Nordirlands: Sie teilen sich in mehr als 50 Gruppierungen, von denen die
Anglikaner, Methodisten und die von Paisley gegründete und geführte Free Presbyterian Church die
führenden sind.
In den letzten Jahren hat die katholische Kirche an Ansehen und Macht verloren. Interne Skandale
und das Erwachen einer modernen Gesellschaft in Irland haben ihr zugesetzt. Das fand auch im
Norden seinen Niederschlag. Der Kirchenbesuch ist in den letzten 15 Jahren von 92 auf 60 Prozent
dramatisch gefallen. Die Protestanten können von solchen Werten nur träumen: Bestenfalls 35
Prozent der Gläubigen besuchen noch eine Kirche. Nach der letzten Volkszählung (2001) sind 53
Prozent Protestanten und 44 Prozent Katholiken.
Im Schulwesen allerdings spielen die Kirchen noch immer eine starke Rolle. 95 Prozent aller Kinder
besuchen konfessionelle Schulen, entweder katholische oder staatliche, also vorwiegend
protestantische. Die katholische Kirche hält eisern an den Konfessionsschulen fest. Doch sagen
mittlerweile 60 Prozent der Bevölkerung, sie würden ihre Kinder am liebsten in eine nichtkonfessionelle
Schule schicken – wenn es sie denn gäbe. Die Tage des bisherigen Systems sind
unter der Selbstverwaltung möglicherweise gezählt: Wenn London als Zahlmeister ausfällt, wird es
nicht mehr finanzierbar sein. Das Scheckheft könnte dann verbinden, was der Katechismus getrennt
hat.
* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2007
Zurück zur Nordirland-Seite
Zurück zur Homepage