Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Unionisten müssen sich mit Sinn Féin an einen Tisch setzen / Unionists must sit down with Sinn Féin

Martin McGuinness, Sinn Féin, Abgeordneter und SF Verhandlungsführer, zu den jüngsten Auseinandersetzungen in Nordirland / by Martin McGuinness, Sinn Féin MP and Chief Negotiator

"Angeblich sei die loyalistische Gewalt, die seit einer Woche mit Strassenschlachten in Belfast auch in die weltweiten Schlagzeilen gerückt ist, Ausdruck einer Vernachlässigung der unionistischen/loyalistischen/protestantischen Viertel durch die britische Regierung", schreibt Uschi Grandel am 18. September 2005 in ihrem Newsletter von "Save the Good Friday Agreement Coalition (Germany)". Und sie fährt fort: "Tatsache ist, dass es nach wie vor eine unselige Allianz von gewählten unionistischen Politikerm der DUP und der UUP, der anti-katholischen Oranierorden und der unionistisch/loyalistischen Terrororganisationen UVF und UDA gibt, die nicht akzeptieren wollen, dass es in 'ihrem', von ihnen bisher in Eigenregie vereinnahmtem Ulster (zumindest die 6 der Grafschaften, die Nordirland bilden) ein gleichberechtigtes Miteinander mit der irisch-katholischen Bevölkerung geben solle. Die Erklärung der IRA zum Ende ihres bewaffneten Kampfes raubt den unionistischen Hardlinern ein sicher geglaubtes Feinbild.
'Realität ist, dass die Spannung und die Instabilität in den unionistischen Vierteln von einem politischen Vakuum herrührt, das unionistische Politiker erzeugt haben und das nun durch loyalistische Gewalt gefüllt wird. ... Einflussreiche unionistische Politiker suchen offen den Schulterschluss mit den loyalistischen Gewalttätern, indem sie die jüngste religiös verbrämte rassistische Gewaltwelle rechtfertigen und entschuldigen. Hartnäckig wird die Realität geleugnet, dass nämlich die grösste Bedrohung der unionistischen Viertel von den kriminellen Aktivitäten und den religiös-rassistischen Gewalttaten der loyalistischen Paramilitärs kommt. Hierzu bewahren die unionistischen Führer ein seltsames und völlig uncharakteristisches Schweigen', schreibt Martin McGuinness, Abgeordneter von Sinn Féin, ehemaliger Erziehungsminister der inzwischen suspendierten nordirischen Regionalregierung und Verhandlungsführer für Sinn Féin in den Gesprächen zur Konfliktlösung in Nordirland."
Im Folgenden dokumentieren wir die gesamte Übersetzung seines Artikels zur loyalistischen Gewaltwelle "Unionisten müssen sich mit Sinn Féin an einen Tisch setzen".


Unionisten müssen sich mit Sinn Féin an einen Tisch setzen

Von Martin McGuinness, Sinn Féin, Abgeordneter und SF Verhandlungsführer

Realität ist, dass die Spannung und die Instabilität in den unionistischen Vierteln von einem politischen Vakuum herrührt, das unionistische Politiker erzeugt haben und das nun durch loyalistische Gewalt gefüllt wird. ... Einflussreiche unionistische Politiker suchen offen den Schulterschluss mit den loyalistischen Gewalttätern, indem sie die jüngste religiös verbrämte rassistische Gewaltwelle rechtfertigen und entschuldigen. Hartnäckig wird die Realität geleugnet, dass nämlich die grösste Bedrohung der unionistischen Viertel von den kriminellen Aktivitäten und den religiös-rassistischen Gewalttaten der loyalistischen Paramilitärs kommt. Hierzu bewahren die unionistischen Führer ein seltsames und völlig uncharakteristisches Schweigen.

Die historische Initiative der IRA, (die Ende Juli das Ende ihres bewaffneten Kapfes verkündet hatte), hat neuen Optimismus hervorgerufen und die Erwartung geweckt, dass nun neuer Fortschritt hin zu einem echten Frieden gemacht werden kann. Die Reaktion war fast überall positiv und die Kommentare nach vorn gerichtet. Überall, ausser in der Führungsspitze der Unionisten. Dort war die Reaktion negativ, zynisch und rückwärts gewandt.

Letzte Woche hat sich diese negative Haltung in Gewaltorgien manifestiert, die von unionistischen Paramilitärs organisiert waren. Sie waren ganz klar inszeniert, um Fortschritt zu verhindern und den Friedensprozess in eine neue Krise zu stürzen.

Es ist eine Schande, dass die Führer der unionistischen Parteien diese gefährliche Situation durch Hetzreden und Falschaussagen noch verschärft haben. Insbesondere haben sie behauptet, dass die derzeitige loyalistische Gewalt ihre Wurzeln in der Ungleichheit und der steigenden Benachteiligung der loyalistischen Viertel habe. Dies ist eine Behauptung, die durch nichts belegt ist. Im Gegenteil, alle Erhebungen zeigen, dass die irisch-nationalistischen Viertel nach wie vor unter der festgeschriebenen und institutionalisierten Ungleichheit und Benachteiligung leiden. So sind beispielsweise von den zehn am schlimmsten benachteiligten Vierteln im Norden Irlands sieben überwiegend irisch-nationalistische Viertel, zwei gemischte und nur ein überwiegend unionistisches Viertel. Die reichsten Viertel sind selbstverständlich unionistisch.

Natürlich gibt es Benachteiligung und Armut in den unionistischen Arbeitervierteln und das muss angepackt werden. Aber es ist nicht die Ursache der gegenwärtigen Gewalt.

Realität ist, dass die Spannung und die Instabilität in den unionistischen Vierteln von einem politischen Vakuum herrührt, das unionistische Politiker erzeugt haben und das nun durch loyalistische Gewalt gefüllt wird.

Die unionistischen Parteien haben keinerlei verantwortungsvolle und positive Führung gezeigt. Stattdessen haben sie den Menschen negative und falsche Führung gegeben, die sich an den fehlgeschlagenen und nicht akzeptablen Status Quo klammert. Die politische Führung einiger unionistischer Arbeiterviertel überliessen sie den loyalistischen Paramilitärs. Der schlimme Zustand, in dem diese Viertel zweifelsohne sind, wurde durch den Drogenhandel, die Machtkämpfe (der verschiedenen loyalistischen Banden) und andere kriminelle Aktivitäten der Paramilitärs verstärkt.

Anstatt anzupacken und beispielsweise eine ernsthafte Initiative zu starten, die äusserst konkreten Probleme in ihren Wahlkreisen zu lösen, haben sich die DUP und nun auch die UUP dafür entschieden, den loyalistischen Paramilitärs zu erlauben, ihre negative Agenda umzusetzen. Einflussreiche unionistische Politiker suchen offen den Schulterschluss mit den loyalistischen Gewalttätern, indem sie die jüngste religiös verbrämte rassistische Gewaltwelle rechtfertigen und entschuldigen. Hartnäckig wird die Realität geleugnet, dass nämlich die grösste Bedrohung der unionistischen Viertel von den kriminellen Aktivitäten und den religiös-rassistischen Gewalttaten der loyalistischen Paramilitärs kommt. Hierzu bewahren die unionistischen Führer ein seltsames und völlig uncharakteristisches Schweigen.

Die Führung der Unionisten, repräsentiert von DUP und UUP, behaupten, ihre Wähler hätten keine Stimme. Ist das nicht ihre Verantwortung? Ist das nicht das Resultat ihres Versagens, als Politiker, eine solche Stimme zu sein? Ihr Versagen, positive Führung zu zeigen und ihr Versagen, sich für ihre Wähler einzusetzen.

Die Führung von Unionisten und Loyalisten haben den Friedensprozess als Bedrohung für ihre Viertel dargestellt.

In den Ereignissen des vergangenen Wochenendes konnten wir die Umsetzung - auf dem Level gewalttätiger Aktionen - der Einschätzung von James Molyneaux, des damaligen UUP Chefs, sehen. Molyneaux hatte 1994 den Waffenstillstand der IRA als das am schlimmsten destabilisierende Ereignis seit der Teilung Irlands bezeichnet.

Die Gewalt am letzten Wochenende ist eine Antwort auf die Tatsache, dass der Status Quo nicht länger eine Option ist. Sie ist eine Antwort auf die Unsicherheit des Veränderungsprozesses, der Gleichheit, Menschenrechte, verantwortliche Polizei, Gerechtigkeit und Miteinander fordert. Sie ist eine Antwort auf die langsam dämmernde Realität, dass die Tage der Vorherrschaft, des Triumphalismus und der Apartheid für immer vorbei sind.

Der Friedensprozess dreht sich um Gleichheit und Gerechtigkeit. Er bedroht niemanden, weder Unionisten noch Nationalisten. Er hat unserer Gesellschaft bisher enormen Fortschritt gebracht. Es gab während der letzten zehn Jahre in allen Bereichen enorme Verbesserungen. Natürlich muss noch viel getan werden. Gegen Ungleichheit und Benachteiligung muss vorgegangen werden, wo immer sie sichtbar werden. Aber darum kümmern sich die unionistischen Politiker nicht. Sie interessieren sich mehr für einen religiös rassistischen Marsch über die Springfield Road. Wie um alles in der Welt können die Probleme, die sie in ihren Vierteln sehen, dadurch gelöst oder verringert werden, dass sie einen triumphalistischen Marsch mit Gewalt durch ein irisch-nationalistischen Viertel in Westbelfast durchsetzen?

Die Menschen in den unionistischen Vierteln haben sehr reale und drängende Probleme, vor allem diejenigen, die in den Arbeitervierteln der (Belfaster) Innenstadt leben, die von Loyalisten dominiert sind. Wenn die Führung der Unionisten, repräsentiert durch die DUP und die UUP, sich ernsthaft mit den Problemen der Menschen beschäftigen will, die sie angeblich repräsentiert, dann sollte sie sich endlich mit uns an einen Tisch setzen und die Probleme angehen.

Wir von Sinn Féin haben ein offenes Ohr für solche Sorgen. Wir möchten uns gegen Unterdrückung, Armut und Benachteiligung einsetzen, egal wo sie auftritt. In Sinn Féin finden die Betroffenen einen Verbündeten, der sich für effiziente Lösungen einsetzt und Aktivitäten von der britischen und irischen Regierung einfordert.

Unionistische politische Führer sollten die Schäden, die durch "direct rule" (die Suspendierung der Regionalregierung und Direktherrschaft von London aus) verursacht werden, durch eine Rückkehr zu einer verantwortlichen regionalen Regierung beheben. Sie sollten ein Beispiel dafür geben, dass eine bessere Zukunft nur durch Gleichheit, Kooperation und gegenseitigen Respekt erreicht werden kann. Unionisten der DUP, der UUP oder der Orange Order sollten sich mit uns, mit ihren Mitbürgern, an einen Tisch setzen und mit uns reden. Das ist der beste Weg, die sehr realen sozialen und wirtschaftlichen Probleme anzugehen, die uns in dieser Gesellschaft alle betreffen.

Übersetzung: Uschi Grandel, www.info-nordirland.de, 17. September 2005, Text in Klammern dient der Erläuterung


Unionists must sit down with Sinn Féin

by Martin McGuinness, Sinn Féin MP and Chief Negotiator

The reality is that the unease and instability in unionist communities stems from a political vacuum created by unionist politicians and now filled by loyalist violence. ... Influential unionist politicians are blatantly playing to the lowest common dominator by justifying and excusing widespread sectarian violence. The stark but unacknowledged reality is that the greatest threat to unionist communities comes from the criminal and sectarian activities of loyalist paramilitaries yet unionist leaders are strangely and uncharacteristically silent.

The recent historic initiative by the IRA created an unprecedented sense of optimism and expectation that renewed progress can be made towards a lasting peace. The response has been almost universally positive and forward thinking. Except that is within the leadership of unionism. There the response has been negative, cynical and backward looking.

Last week this negativity manifested itself in widespread violence orchestrated by unionist paramilitaries clearly designed to undermine progress and throw the peace process into crisis.

Disgracefully, unionist leaders have compounded this dangerous situation with inflammatory and totally inaccurate statements. In particular, they have made wholly unfounded claims that the current loyalist violence stems from inequality and growing disadvantage in loyalist areas. In fact, all of the evidence shows that nationalists continue to suffer the effects of ingrained and institutionalised inequality and disadvantage. For example, of the 10 most deprived wards in the north of Ireland, 7 are predominantly nationalist, two are mixed and one is mainly unionist. The most affluent wards, of course, are unionist.

Of course there is deprivation and poverty in working class unionist communities and this should and must to be tackled. But this is not the root cause of the recent violence.

The reality is that the unease and instability in unionist communities stems from a political vacuum created by unionist politicians and now filled by loyalist violence.

Unionist parties have abjectly failed to provide responsible or positive leadership. Instead they had provided negative leadership, which hankers after a failed and unacceptable status quo. The political leadership of some working class unionist areas has been ceded to loyalist paramilitaries and the deprivation that these areas undoubtedly suffer has been compounded by the drug dealing, infighting and other criminal activities of the paramilitaries.

Rather than show positive leadership or undertake any serious initiative to tackle the very real problems faced by their constituents, the DUP, and now the UUP, have chosen to allow the loyalist paramilitaries to assert this negative agenda. Influential unionist politicians are blatantly playing to the lowest common dominator by justifying and excusing widespread sectarian violence. The stark but unacknowledged reality is that the greatest threat to unionist communities comes from the criminal and sectarian activities of loyalist paramilitaries yet unionist leaders are strangely and uncharacteristically silent.

The leaderships of unionism, represented by the DUP and the UUP, claim that their communities have no voice. Is this not their responsibility? Is this not the result of their failure, as politicians, to provide that voice - their failure to show positive leadership and their failure to engage on behalf of those they represent.

The leaderships of unionism and loyalism have presented the peace process as a threat to their communities.

In this weekend's events we saw the playing out - at a violent street level - of the comments of James Molyneaux, the then UUP leader, when he described the IRA cessation in 1994 as the most destabilising event since partition.

Last weekend's violence is a response to the realisation that the status quo is not an option and to the uncertainties of a process of change which demands equality, human rights, proper policing, justice and inclusion. It is a response to the dawning reality that the days of domination, triumphalism and second class citizenships are gone forever.

The peace process is about equality and justice. It is a threat to no-one, unionist or nationalist. It has been of enormous benefit right across our society. There have been enormous improvements in all communities over the past 10 years. Of course, there is still much to be done. Inequality and disadvantage has to be tackled wherever it occurs. But that is not the focus or concern of unionist politicians. They are more interested in forcing a sectarian march along the Springfield Road. How, in any way, could the grievances that they describe within their communities be resolved or eased by pushing a triumphalist sectarian parade through a nationalist area of West Belfast?

If the leadership of unionism, represented by the DUP and the UUP, genuinely wish to deal with the very real and immediate problems faced by the people they purport to represent, particularly those living in inner city working class areas dominated by loyalists, then they should sit down and talk about these problems.

We in Sinn Féin genuinely share their concern. We want to tackle deprivation, poverty and disadvantage no matter where it occurs and in Sinn Féin they will find a ready ally in bringing forward effective solutions and demanding action from the British and Irish governments.

Unionist political leaders should deal with the short-comings of direct rule through the return of accountable local government. They should show by example that a better future can only be found through equality, co-operation and mutual respect. Unionists whether in the DUP, the UUP or the Orange Order should sit down and talk with us, their fellow citizens. That is the best way to tackle the very real social and economic issues which affect all of us in this society.

Source: www.info-nordirland.de


Zurück zur Nordirland-Seite

Zurück zur Homepage