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Oranier reden nicht

Nordirland: Erzkonservativer Orden lehnt Gespräche mit Sinn Féin ab

Von Florian Osuch, Belfast *

In der nordirischen Stadt Belfast kam es in der Nacht zu Montag (12. Juli) zu schweren Auseinandersetzungen zwischen irischen Republikanern und der Polizei. Nach Angaben der BBC wurden bei Zusammenstößen im Norden und Westen der Stadt 27 Polizisten verletzt. Mehrere hundert Jugendliche attackierten die Polizei mit Steinen, Flaschen und Molotowcocktails. Diese setzte Wasserwerfer und Plastikgeschosse ein. Viele Demonstranten wurden verletzt - eine genaue Zahl wurde zunächst nicht bekannt.

Die Straßenkämpfe begannen gegen Mitternacht, kurz nachdem in den britisch-protestantischen Stadtteilen traditionelle »Bonfire« genannte Feuer entzündet worden waren. Auf diesen teilweise bis zu fünfzehn Meter hohen Gebilden, die Scheiterhaufen gleichen, werden von den London-loyalen Kräften häufig irische Fahnen, keltische Symbole oder gestohlene Plakate der irischen Linkspartei Sinn Féin unter dem Jubel der Umstehenden verbrannt. Das geschah - Friedensprozeß hin oder her - auch diesmal in der Nacht zum Montag in Belfast, wo rund ein Dutzend solcher Bonfires entzündet worden waren. Die Zusammenstöße aufgebrachter Republikaner mit Polizeikräften, die die Bonfires schützten, zogen sich bis in die frühen Morgenstunden hin.

Am 12. Juli erinnert der erzkonservative Oranier-Orden traditionell mit Bonfires und provokativen Aufmärschen an den Sieg des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien über seinen katholischen Widersacher König Jakob II. im Jahr 1690. Bei der irischen Bevölkerung sind die Umzüge gefürchtet, da mit ihnen eine politische Botschaft verbunden ist: Die britisch-protestantische Seite demonstriert ihren Machtanspruch. Das geschieht zum Teil auch in Straßenzügen mit mehrheitlich irisch-katholischer Bevölkerung. Konfrontationen sind hier seit Jahrzehnten programmiert. Auch am Montag protestierten im Belfaster Viertel Ardoyne Anwohner gegen einen Marsch.

In der vergangenen Woche hatte der Oranier-Orden ein Gesprächsangebot von Gerry Adams abgelehnt. Der Präsident der irischen Linkspartei Sinn Féin hatte Beratungen vorgeschlagen, welche Rolle »Orangism« in einer modernen irischen Gesellschaft in Zukunft spielen solle. Offensichtlich sind dafür weder die Zeit, noch die probritischen Hardliner reif. Der 1795 gegründete Oranier-Orden gehört zu den reaktionärsten und gleichzeitig einflußreichsten Vereinigungen in Nordirland. Er hat mehrere zehntausend Mitglieder. Abordnungen paramilitärischer Verbände wie der »Ulster Defence Association« oder der »Ulster Volunteer Force« nehmen regelmäßig an den Umzügen teil. Die Organisationen sind für zahlreiche Morde an irischen Republikanern verantwortlich.

Trotzdem wirbt das Belfaster Touristenbüro mit dem »Orange-Fest« als Attraktion. So kündigte das eigens publizierte Gratismagazin what about einen familienfreundlichen multikulturellen Festumzug mit Karnevalscharakter an. Die ebenfalls kostenlos verteilte Zeitschrift In Your Pocket geht derweil auf Distanz und warnt vor den »Bonfires«. Diese sollten nur aus der Ferne oder in Begleitung von Ortskundigen beobachtet werden.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2010


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