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Neuer Wind für nordirischen Friedensprozess

Sinn Féin erkennt in einer historischen Abstimmung die nordirische Polizei an - Zwei Artikel



Sinn Féins Bedingungen

Republikaner erkennen die probritischen Polizeikräfte an – und könnten perspektivisch zur stärksten politischen Kraft in Nordirland werden

Von Florian Osuch *

Die irisch-republikanische Partei Sinn Féin hat am Sonntag abend in einer historischen Abstimmung die nordirische Polizei anerkannt. Auf einem Parteitag in Dub­lin billigten 90 Prozent der 900 Delegierten einen entsprechenden Antrag. Sinn Féin habe »die Möglichkeit geschaffen, die politische Landschaft auf dieser Insel für immer zu verändern«, kommentierte der Parteivorsitzende Gerry Adams das Ergebnis. Im Gegenzug soll sich nun die Democratic Unionist Party (DUP) des rechtsradikalen Pfarrers Ian Paisley zur Zusammenarbeit mit den irischen Republikanern bereit erklären. Das dürfte aber schwerlich gelingen, da der Sinn-Féin-Parteitag an die Anerkennung der Polizei zwei Bedingungen knüpfte. Zum einen müsse zunächst die geplante Allparteienregierung ihre Arbeit aufnehmen und zum anderen die Verantwortlichkeit für das gesamte Polizei- und Justizwesen der zukünftigen nordirischen Regierung übertragen werden.

Die Anerkennung der Polizei durch Sinn Féin war einer der Hauptpunkte im St.-Andrews-Friedensplan von 2006, und für die Partei, die einst als »politischer Arm« der Irisch Republikanischen Armee (IRA) galt, ein nur schwer zu überwindendes hohes Hindernis. Zwar hatten sich die königstreuen Polizeikräfte Nordirlands, die Royal Ulster Constabulary (RUC), im Jahr 2001 den neutralen Namen Police Service Northern Ireland (PSNI) gegeben; doch veränderte sich deren personelle Zusammensetzung nicht entscheidend. Nach wie vor besteht die Truppe zu mindestens drei Vierteln aus London-loyalistischen Protestanten. Irische Republikaner lehnten die RUC/PSNI bisher folglich als parteiisch ab – eine Position, die erst in der vergangenen Woche durch einen Bericht über Verstrickungen der RUC in diverse Verbrechen gestützt wurde.

Noch im November vergangenen Jahres hatte Adams die PSNI als »paramilitärischen und religiös-rassistischen Apparat« bezeichnet und deren Auflösung gefordert. Trotzdem suchte die Sinn-Féin-Parteispitze nach konstruktiven Wegen, um die Auflagen von St. Andrews zu erfüllen. In der schottischen Stadt hatten der britische und irische Premier, Anthony Blair und Patrick Ahern, auf eine Neubelebung des nordirischen Friedensprozesses verständigt. Demnach sollen am 7. März 2007 Neuwahlen stattfinden und anschließend eine Allparteienregierung gebildet werden. Gelinge dies nicht, werde das Projekt Selbstverwaltung von Nordirland aufgegeben und die Provinz von Irland und Großbritan­nien gemeinsam verwaltet. Am Sonntag nun begrüßte das Duo Blair/Ahern, einhellig die Verabschiedung von Sinn Féins neuer Position als »weise Entscheidung«.

Die Ziele von Sinn Féin sind klar. In einer Allparteienregierung wird die Partei den Vizepräsidenten und mehrere Minister stellen und ihren Einfluß als größte gesamtirische Partei ausbauen. Mit etwas Geschick könnte Sinn Féin in einigen Jahren zur stärksten Kraft in Nordirland werden, sofern sie den konkurrierenden Sozialdemokraten (SDLP) weiter Stimmen abnehmen kann. Dann würde erstmals der Vertreter einer irischen Partei – vielleicht sogar der ehemalige IRA-Mann Gerry Adams – an der Spitze des Landes stehen und der Status der Provinz erneut zur Verhandlung stehen. Ob Irland damit einer vereinten sozialistischen Republik näher kommt, wie es einst Ziel von Sinn Féin war, bleibt abzuwarten.

* Aus: junge Welt, 30. Januar 2007


Sinn Féin sagt Ja zur Polizei

Parteitag unterstützt Friedensprozess Von Aljoscha Kertesz **

Eine Mehrheit der Delegierten hat am Wochenende auf einem Sonderparteitag von Sinn Féin in Dublin für die Unterstützung des Police Service of Northern Ireland gestimmt und so dem nordirischen Friedensprozess neuen Atem eingehaucht.

Eine überwältigende Mehrheit der 2500 Sinn-Féin-Parteitagsdelegierten stimmte am Sonntag für die Anerkennung der Sicherheitsorgane in Nordirland. Damit vollzog die größte Partei der irischnationalen Bevölkerung einen Kurswechsel. Seit der Teilung Irlands im Jahr 1922 hatte Sinn Féin gegen die nordirische Polizei und das Justizsystem gekämpft. Die Republikaner sahen in beiden Institutionen Instrumente der britischen Vorherrschaft in den sechs nordirischen Grafschaften. Auf dem Sonderparteitag in Dublin folgten die Delegierten nun der Parteispitze um Gerry Adams und Martin McGuiness. In eindringlichen Reden beschworen diese die Einheit der irischen Republikaner und versuchten Zweifler umzustimmen. Aus ihrer Sicht war der Zeitpunkt reif für die Anerkennung der Polizei. Weitreichende Reformen seien in Verhandlungen mit der britischen Regierung erzielt worden, so dass einer Zusammenarbeit nichts mehr im Wege stehe.

Mit Erleichterung nahm die Parteispitze das eindeutige Ergebnis auf. Gerry Adams sprach von einem »historischen Moment«, von einer der »wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre«. Der irische Premierminister Bertie Ahern nannte das Votum einen »Meilenstein, der den Weg zu einem gemeinsamen Parlament ebnet«. Der britische Nordirlandminister Peter Hain würdigte, dass damit ein »Hindernis im Friedensprozess« beseitigt worden sei. Die Democratic Unionist Party, die größte pro-britische Partei, hatte die Anerkennung der Sicherheitsorgane durch Sinn Féin zur Grundbedingung einer politischen Kooperation mit dem Erzfeind gemacht. Sollte sich die DUP in den kommenden Tagen zur Zusammenarbeit mit Sinn Féin bereiterklären, könnten am 7. März Wahlen zum nordirischen Parlament folgen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Januar 2007


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