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David Trimble: "Sinn Fein muss gute Absichten beweisen" - "Nicht Sinn Féin hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, sondern David Trimble"

Uschi Grandel antwortet auf ein Interview mit dem nordirisch-protestantischen Friedensnobelpreisträger

"Am 15. Mai startet in Nordirland eine wichtige Phase im Friedensprozess, der Versuch, die seit Herbst 2002 von der britischen Regierung suspendierte nordirische Regionalregierung wieder auf die Beine zu bringen. Der Beitrag des Neuen Deutschland hierzu ist dieses Interview? Das darf doch nicht wahr sein!"
Mit diesen Worten reagierte Uschi Grandel, die eine sehr informative Website über Nordirland herausgibt ("Save the Good Friday Agreement Coalition": www.info-nordirland.de) auf ein Interview mit David Trimble, das am 10. Mai veröffentlicht wurde. Wir dokumentieren im Folgenden dieses Interview und im Anschluss daran die kritischen Bemerkungen von Uschi Grandel.

"Sinn Fein muss gute Absichten beweisen"

Nordirland: David Trimble fordert Signale der Konfliktparteien

David Trimble (61) wurde 1990 ins britische Unterhaus und 1995 zum Vorsitzenden der protestantischen Ulster Unionist Party gewählt. Der nordirische Politiker bemühte sich seit 1996 um eine politische Lösung des Nordirland-Konflikts und war am Zustandekommen des Friedensabkommens von 1998 beteiligt; im Juli 1998 wurde er zum Ersten Minister der nordirischen Regionalregierung gewählt – Rücktritt 2001 aus Protest gegen die Weigerung der IRA, mit der vereinbarten Entwaffnung zu beginnen, Wiederwahl im selben Jahr. Anlässlich der am 15. Mai beginnenden politischen Gespräche in Nordirland sprach Petra Tabeling für das "Neue Deutschland" mit dem Friedensnobelpreisträger.

ND: Mr. Trimble, welchen Einfluss haben Sie noch in den erneut stattfindenden Friedensgesprächen?

David Trimble: Ich bin nach wie vor politisch aktiv, wenn auch nicht so wie früher. Aus meiner Sicht war die Wahl von 2003, aus der die radikal-protestantische DUP und die katholische Sinn Fein als Sieger hervorgingen, kein Schritt in die richtige Richtung. Seit November 2003 haben wir keine politischen Fortschritte mehr gesehen, weil Sinn Fein und die DUP dazu nicht fähig sind. DUP-Chef Ian Paisley wollte kein Abkommen, an dem auch Sinn Fein beteiligt wäre, und die IRA-nahe Sinn Fein hat es versäumt, eine transparente Strategie der Entwaffnung vorzulegen, weil sie nicht mit Paisley verhandeln wollte. Aber Sinn Fein wusste, dass dies der Preis für den Fortschritt ist, der von der irischen und der britischen Regierung gefordert worden war. Derzeit sind beide unfähig, sich aufeinander zu zu bewegen. Jetzt greifen die irische und die britische Regierung ein, um das Regionalparlament wieder zu beleben, unter der Voraussetzung, dass sie es dieses Mal bis zu einem bestimmten Zeitpunkt schaffen müssen. Es ist eine einmalige Chance, die der DUP und Sinn Fein angeboten wird. Doch es reicht nicht zu sagen: »O.k., Leute, wir haben einen Stillstand, und ihr müsst dies ändern, sonst habt ihr ein Problem mit uns.« Das übt zwar einen gewissen Druck auf die zerstrittenen Parteien aus, aber es ist nicht genug, um wirklich etwas voranzutreiben.

Ihre Partei und andere Unionisten haben über Jahre die vollständige Entwaffnung der IRA gefordert. Ist das endlich geschehen?

Ich war sehr froh, als sich die IRA im letzten Jahr größtenteils entwaffnet hat. Das war ein sehr langer Streit, und es hat mich unendliche Mühen gekostet, sie dazu zu bewegen. Wir haben Fortschritte erzielt, aber unglücklicherweise nicht genug. Es gibt glaubhafte Annahmen, dass die IRA noch immer vereinzelt Waffen besitzt, vielleicht zu ihrer eigenen Sicherheit. Die Unabhängige Überwachungskommission IMC ist der Auffassung, dass die Existenz dieser Waffen aber nicht der Kontrolle von Sinn Fein unterliegt.

Dennoch, die Sinn Fein hat ein Glaubwürdigkeitsproblem und ihr Versäumnis, eine transparente Entwaffnung vorzuzeigen, bedeutet, dass für sie die Frage der Entwaffnung offenbar keine politische Rolle spielt.

Was Sinn Fein tun muss, ist, die Menschen von ihren guten Absichten zu überzeugen – sich geheimnisvoll zur Frage der Entwaffnung zu verhalten, ruft genau das Gegenteil hervor. Es ist letzten Endes doch nicht wichtig, was die IMC sagt, sondern was die republikanischen Anführer sagen. Da herrscht bislang aber noch Stille. Zum Beispiel über den Mord der IRA an dem Katholiken Robert McCartney in Belfast. Erst hat Sinn Fein gesagt, wir sind nicht verantwortlich, wissen aber, wer es getan hat. Sie sollte der Polizei dabei helfen, die Verdächtigen zu fassen. Bislang ist nichts passiert. Und das ist eine der Kernfragen, die die Leute von Sinn Fein klären müssen – zeigen, dass man sie als Demokraten ernst nehmen kann. Aber ich glaube, sie realisieren gar nicht, was nötig ist, um dies zu erreichen.

Und wie schätzen Sie die paramilitärischen Aktivitäten von extremistischen protestantischen Loyalisten ein? Auch diese verüben ja nach wie vor Anschläge.

Darüber gibt es leider keinen Zweifel. Aber die loyalistischen paramilitärischen Gruppen spielen politisch keine Rolle, weil es lose Gruppen von kriminellen Gangs sind. Sie haben zwar auch politischen Anspruch reklamiert, das ist aber eher Maskerade. Sie haben keinerlei politische Unterstützung und keine Stimmen. Die republikanische Bewegung ist relevant, weil sie eine politische Unterstützung hat, nämlich die Sinn Fein.

Was denken Sie, wie viele Jahre die Menschen in Nordirland noch benötigen werden, um friedlich miteinander leben zu können?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Erst vor wenigen Tagen haben katholische Teenager in der Kleinstadt Lurgan, die zu meinem Wahlkreis gehört, protestantische Nachbarn mit Steinwürfen bedroht und ihre Häuser demoliert. Es gibt nach wie vor so genannte Schnittstellen, wo diese Probleme existieren oder sich schnell entwickeln können. Es gibt Differenzen in der nationalen Identität, und im Karfreitagsabkommen zwischen Irland, Großbritannien/Nordirland und den Parteien in Nordirland vom April 1998 haben wir Vorschläge gemacht, wie man diesem Konflikt der nationalen Identitäten begegnen kann. Aber für die Umsetzung braucht es noch Zeit. Wir haben es mit kleinen Gemeinden zu tun, die sich nach wie vor sehr gut daran erinnern, wer wem was angetan hatte – nicht nur im vergangenen Jahr oder Jahrzehnt, sondern auch, was ihnen vor Generationen passierte. Und dies wird sich nicht so schnell ändern.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2006


Trimbles Blockadehaltung hat den Gegnern des Friedensprozess Auftrieb gegeben

Von Uschi Grandel

Schon die Kurzbeschreibung des politischen Werdegangs von David Trimble gibt ein falsches Bild, weil sie (zufälligerweise?) im Jahr 2001 aufhört und den dramatischen Niedergang seiner Partei, der pro-britischen Ulster Unionist Party (UUP), in den letzten Jahren völlig ignoriert. Als vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung reduzierte sich die Zahl der Sitze der UUP im britischen Unterhaus von 6 Sitzen in 2001 auf einen kläglichen letzten Sitz in 2005. Auch Trimble verlor bei den Wahlen 2005 seinen Sitz und damit auch seinen Posten als Chef der UUP. Seither spielt David Trimble in der politischen Auseinandersetzung in Nordirland keine Rolle mehr und es wäre durchaus eine naheliegende Interview-Frage gewesen, ob seine Blockadehaltung im Friedensprozess, die seine liberaleren Anhänger zur Verzweiflung und drei prominente UUP-Hardliner zum Wechsel zum Hardline-Original DUP brachte, aus heutiger Sicht ein Fehler war.

Das Blockadeargument der letzten acht Jahre, das die Umsetzung des 1998 geschlossenen Karfreitagsabkommens hinauszögerte, war immer: "Wie können wir mit Sinn Féin (der inzwischen stärksten Partei des irischen Lagers) eine gemeinsame Regierung bilden, solange die IRA bewaffnet ist." Im festen Glauben daran, dass die IRA ihre Waffen nie als Vorbedingung für eine politische Lösung, sondern höchstens als Beitrag zu einer definierten Gesamtlösung vernichten könne, weil dies in den irischen Vierteln nicht akzeptiert werden würde, war dieses Argument für jeden Gegner des Friedensprozesses Gold wert. Unionistische Propaganda hat schon immer die irisch-republikanische Partei Sinn Féin und die IRA gleichgesetzt. Das macht es leichter, Sinn Féin nicht an ihrem demokratischen Mandat zu messen, sondern an dubiosen Geheimdienstgerüchten, die in den vergangenen Jahren immer rechtzeitig vor einer Einigung der politischen Gegner auftauchten und diese dann auch zu Fall brachte.

Sinn Féin hat dem allen immer wieder geduldig entgegengesetzt, dass die Partei ihr demokratisches Mandat von ihren Wählern erhalte und sie deshalb nicht akzeptiere, dass es aus irgendwelchen scheinheiligen Gründen ignoriert werde. Sie werde auch keine besondere Überprüfung ihrer Demokratiefähigkeit durch den politischen Gegner akzeptieren. Sie hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Vorbedingungen an eine Seite den Konflikt nicht löse, sondern vielmehr verlängere und dass gemeinsame Zusammenarbeit der Konfliktparteien allen Seiten den Boden für die Akzeptanz bewaffneter Auseinandersetzung entzieht. Sie hat gleichzeitig bei der irisch-republikanischen Basis und der IRA dafür geworben, ihr Ziel eines vereinigten Irlands mit ausschliesslich friedlichen und demokratischen Mitteln zu verfolgen.

Und dann hat die IRA im Herbst letzten Jahres einseitig, ohne Gegenleistung, unter internationaler Kontrolle, unter Beisein eines katholischen und eines protestantischen Geistlichen ihr gesamtes Waffenarsenal vernichtet. Die unionistischen Hardliner waren sprachlos. Ihr Hauptargument war von heute auf morgen zerschlagen. Aber man munkelt, ein paar Waffen seien noch da ... ist seither der klägliche Versuch, dieses Thema als Blocker wiederzubeleben. Selbst Peter Hain, der britische Nordirlandminister hat vor einigen Wochen genervt den Unionisten klargemacht, dass die Waffen der IRA vernichtet, weg, futsch, und damit kein Thema mehr sind.

Aber Frau Tabeling stellt dem Mann, der von 1998 bis 2003 Chef der damals stärksten pro-britischen Partei UUP war, zu diesem Thema leider nicht die Frage, ob seine Verweigerungsstrategie, die die Lebensdauer der Regionalregierung auf gerade mal ein Jahr beschränkt hat, nicht den Erfolg der Anti-Friedensprozess-Partei DUP erst möglich gemacht habe. Sie fragt ihn nicht, ob hinter der ständigen Forderung, Sinn Fein müsse "Beweise guter Absicht zeigen", nicht das alte undemokratische Denken des verkrusteten unionistischen Einparteienstaates steckte, der die irische Hälfte seiner Einwohner diskriminierte, ihnen anständige Wohnungen und Arbeit vorenthielt, ihre Viertel mit Pogromen überzog, ihre Bürgerrechtsbewegung mit brutaler Gewalt niederschlug und sie politisch durch undemokratische Wahlgesetze und Wahlkreismanipulationen ausgrenzte.

Nein, sie fragt ihn doch ernsthaft, "ob die Entwaffnung wirklich geschehen ist" und gibt damit die Steilvorlage dafür, die Frage nach der eigenen Verantwortung für die Konfliktlösung beiseite zu lassen und stattdessen über "glaubhafte Annahmen, dass die IRA immer noch vereinzelt Waffen besitzt" zu schwadronieren. Bitte, wer über die Jahre verfolgt hat, wie die Unionisten aus jeder republikanischen Mücke einen propagandistischen Elefanten gebastelt haben, der versteht aus diesen vagen Andeutungen, dass David Trimble weiss, dass die Waffen der IRA kein Thema mehr sind.

Jetzt vertritt Frau Tabeling langsam unionistische Hardliner-Positionen bereits in ihrer suggestiven Fragestellung. Hat nicht "Sinn Féin ein Glaubwürdigkeitsproblem ... ihr Versäumnis, eine transparente Entwaffnung vorzuzeigen ...", fragt Frau Tabeling. Hoppla? Immer noch bei der bereits gelösten Waffenfrage? Und warum plötzlich Sinn Féin? Sinn Féin hat letztes Jahr den 100. Geburtstag gefeiert und hatte seit ihrer Gründung noch nie Waffen. Warum soll sie "eine transparente Entwaffnung vorzeigen"? Im Friedensabkommen steht, dass die bewaffneten Gruppen in Zusammenarbeit mit einer extra dafür eingesetzten internationalen Kommission, der "Independent International Commission on Decommissioning (IICD)" unter Leitung des kanadischen Generals De Chastelain, den Entwaffnungsprozess einleiten und durchführen. Exakt dies hat die IRA getan. Sie ist sogar weiter gegangen und hat zwei Beobachter, einen katholischen und einen protestantischen Geistlichen zugelassen. Demokratisches Verhalten heißt, diese gemeinsam unterschriebenen Spielregeln zu beachten und demokratische Institutionen zu akzeptieren. Was sagt die Missachtung dieses Vorgehens über das Demokratieverständnis eines David Trimble? Dies nicht wenigstens nachgefragt zu haben, ist eine der vielen verpassten Gelegenheiten des Interviews, sich dem Konfliktlösungsprozess anzunähern.

Ohne jede kritische Nachfrage bleibt auch das zynische propagandistische Ausschlachten eines Mordes, der letztes Jahr Schlagzeilen machte. Robert McCartney war nach einem eskalierten Kneipenstreit ermordet worden. Herr McCartney war Sinn Fein Wähler, unter seinen Mördern waren IRA-Mitglieder. Die IRA hat nach diesem Mord die Betroffenen ausgeschlossen und deren Namen der Familie des Ermordeten mitgeteilt. Sinn Fein hat Mitglieder, die während der Tat in der Kneipe waren, aufgefordert, eine Aussage zum Tathergang zu machen. Dieser Mord hatte mit Politik nichts zu tun, was nichts an seiner Tragik für die Betroffenen ändert.

Die Politik hat diesen Mord erreicht, weil nach einem Mord polizeiliche Ermittlungen nötig sind, und die Demokratisierung der Polizei noch eines der grossen, ungelösten Probleme des Friedensprozesses ist. Auch hier die verpasste Chance, die lapidare Äusserung des Herrn Trimble "Sinn Féin sollte der Polizei helfen ..." politisch zu hinterfragen. Kann man eine Polizei unterstützen, die immer noch diejenigen beobachtet, ausspioniert und behindert, die sie für ihre politischen Gegner hält. Die im Herbst 2002 sogar die Regionalregierung durch eine Polizeirazzia zu Fall brachte?

"Auch (protestantische Loyalisten) verüben ja nach wie vor Anschläge", ist die nächste Frage. "Auch"? Bitte nicht "auch". Wahrheit ist, dass Anschläge der letzten Jahre ausschliesslich auf das Konto pro-britischer (loyalistischer/unionistischer) Hassgruppen gehen. Warum? Weil das Schüren anti-katholischer, anti-irischer Ressentiments immer noch Mittel unionistischer Politik ist. Weil unionistische Politiker, anti-katholische Oranier-Orden, staatliche Stellen und loyalistische Killer eine lange Tradition der Zusammenarbeit haben, um den "Taigs" oder "Fenians", wie sie die Bewohner der irischen Viertel verächtlich nennen, ihren Platz zu zeigen.

David Trimble hier aus der Verantwortung zu lassen, ist der bitterste Teil des ganzen Interviews. Unionistische Gewalt bedroht auch noch im Jahre 2006 das Leben der Menschen in den irischen Vierteln, wirft Brandbomben auf ihre Häuser, wird gedeckt von einer Polizei, die die Schuldigen nicht fasst und von Politikern, die bis auf ganz wenige Ausnahmen angeblich mit all dem nichts zu tun haben und die nichts unternehmen, obwohl sie politische Verantwortung tragen.

Erst am letzten Montag, am 8. Mai 2006, starb der 15-jährige Schüler Michael McIlveen an den Folgen eines solchen Mordanschlags in der DUP Hochburg Ballymena: vor einer Pizzabude als "Katholik" enttarnt, von einer Meute Loyalisten verfolgt, mit Baseballschlägern zusammengeschlagen, mit schweren Stiefeln auf den Kopf getreten. Drei junge Katholiken wurden auf eine ähnliche Art und Weise in den letzten vier Jahren von Loyalisten ermordet. Wir kennen solche rassistischen Mordangriffe auch aus dem rechtsradikalen Lager in Deutschland. In Nordirland bezeichnet man sie als "sectarian", das kann man als religiös-rassistisch übersetzen. Ob rassistisch oder sectarian, beiden zugrunde liegt ein unsägliches Herrenmenschendenken, eine Altlast undemokratischer Traditionen.

Die Arroganz, mit der David Trimble der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin die Demokratiefähigkeit ganz global abspricht, zeigt eine politische Haltung, die nicht Demokratie, sondern unionistische Dominanz in den Vordergrund stellt. Die Schläger auf der Strasse setzen eine solche unionistische Dominanz auf ihre Art und Weise um.

Schade, viele verpasste Fragen und damit auch die verpasste Chance, Ihren Lesern den Konfliktlösungsprozess anhand dieses Interviews näherzubringen. (...)




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