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Unruhen in Nordirland

Demonstrationen gegen loyalistische Provokationen eskalieren

Von Florian Osuch *

In der Nacht zu Dienstag (12. Juli) kam es in Belfast zu massiven Ausschreitungen zwischen proirischen Demonstranten und der Polizei. In der republikanischen Hochburg Westbelfast wurden Steine, Farbflaschen und Molotowcocktails auf Einsatzkräfte der nordirischen Polizei geworfen. Mehrere Pkw gingen in Flammen auf. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Plastikgeschossen gegen die Protestierenden vor. Bis zu 51 dieser bisweilen tödlichen Waffen wurden abgefeuert. Polizeisprecher Dave Jones sprach von 22 verletzten Polizisten, vier Beamte seien im Krankenhaus behandelt worden. Über Verletzte auf seiten der Protestierenden gab es zunächst keine Angaben. Die Irish Times berichtete von mehreren Schüssen, die im Umfeld der Krawalle abgefeuert wurden.

Auch in anderen Bezirken Belfasts kam es zu Zusammenstößen zwischen irischen Republikanern und der Polizei. In New Lodge flogen aus einer Gruppe von bis zu 40 Personen Brandflaschen gegen die Polizei.

Die irische Partei Sinn Féin verurteilte die Ausschreitungen, die bis in die frühen Morgenstunden andauerten. Jennifer McCann, Abgeordnete im Regionalparlament und ehemaliges Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), war bei den Ereignissen zugegen und sprach von einem »unorganisierten Mob«, der die Polizeilinien attackiert habe. Gegenüber BBC äußerte sie: »Ich sah Leute, die aus allen Teilen der Stadt kamen, als antisoziale Elemente bekannt sind und bereits viel getrunken hatten.« McCann hatte sich im Alter von 17 Jahren der IRA angeschlossen und wegen eines Anschlages auf einen britischen Polizisten eine zehnjährige Haftstrafe verbüßt.

Auslöser der Krawalle waren Feierlichkeiten zum 12. Juli. Der Tag ist der Höhepunkt der alljährlichen Marschsaison des protestantischen Oranierordens. Die christlich-fundamentalistische Organisation erinnert an die Schlacht von Boyne aus dem Jahr 1690, bei der ein britischer König seinen irischen Widersacher schlug. Traditionell zelebrieren landesweit Teile der probritischen Bevölkerung die Nacht zuvor mit Hunderten Freudenfeuern. Vielerorts werden auf den bis zu 20 Meter hoch aufgetürmten Scheiterhaufen irische Fahnen und andere republikanische Banner gesteckt, die dann um Mitternacht unter großer Anteilnahme entfacht werden. Großer Jubel bricht aus, wenn die irischen Symbole in Flammen aufgehen.

Bereits am vergangenen Wochenende verübten mutmaßlich probritische Loyalisten einen Anschlag auf eine katholische Kirche. Das Gebäude in der Region Antrim wurde beschädigt und mit Farbe beschmiert. In der Kleinstadt Ballyclare attackierten Loyalisten die Polizei mit Steinen und Benzinbomben und steckten Fahrzeuge in Brand, nachdem die Sicherheitskräfte Fahnen von verbotenen paramilitärischen Organisationen entfernt hatten.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2011


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