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Eine Chance für den Friedensprozess?

Nordirland: Pro-britische Paramilitärs wollen Kommandostrukturen auflösen – aber Waffen behalten. Interview*

Interview mit dem Unterhausabgeordneten Alasdair McDonnell (Social Democratic and Labour Party)

Die Ulster Volunteer Force (UVF), die älteste Terrororganisation Nordirlands, wird sich auflösen. Das verkündete ein Führungsmitglied der pro-britischen Vereinigung in der vergangenen Woche. Dieser Schritt könnte dem stockenden Friedensprozess in Nordirland einen Impuls geben. Die Regionalregierung und das Parlament in Belfast sind seit 2002 von London suspendiert. Wiederholt schlugen Versuche fehl, die verfeindeten Lager – die pro-irische Sinn Fein und die pro-britische Democratic Unionist Party (DUP) – an einen Tisch zu bringen. Erst am Montag scheiterten entsprechende Verhandlungen.

Mit ihrer Auflösung würde die UVF ihren Widersachern auf pro-irischer Seite folgen. Einen Unterschied gibt es allerdings: Zwar schwört die UVF dem bewaffneten Kampf ab, beabsichtigt allerdings nicht, wie die Irisch-Republikanische Armee (IRA) ihre Waffen abzugeben. Besonders Politiker der pro-irischen Seite reagieren daher zurückhaltend auf die Ankündigung der Terrorgruppe.

Mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der Social Democratic and Labour Party, dem Unterhausabgeordneten Alasdair McDonnell, sprach für das "Neue Deutschland" Aljoscha Kertesz.

ND: Wie beurteilen Sie den Schritt der Ulster Volunteer Force?

McDonnell: Die Ankündigung der UVF, ihre paramilitärischen Einheiten und Kommadostrukturen aufzulösen, ist längst überfällig. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, der zu begrüßen ist. Es muss jedoch noch viel mehr passieren, bevor die Bewohner Nordirlands wirklich darauf vertrauen können, dass die UVF der Vergangenheit angehört. Es ist sehr beunruhigend, dass die Organisation sich weigert ihre Waffen abzugeben, wie es beispielsweise die IRA getan hat. Wenn der Krieg wirklich vorbei ist, dann müssen die Waffen auch abgegeben werden. Dies wäre ein klares Bekenntnis zum Frieden.

Glauben Sie, dass sich die UVF an ihr Versprechen halten wird?

Ich hoffe das natürlich, bin allerdings etwas vorsichtig. In der Vergangenheit haben wir leider allzu oft erlebt, dass paramilitärische Organisationen oft Lippenbekenntnisse ablegen und leere Versprechungen machen. Ich werde mit Interesse verfolgen, was passiert, und dränge die UVF nochmals, einen Schritt weiter zu gehen und ein für alle mal ihr Waffenarsenal aufzugeben.

Welche Auswirkungen wird die Ankündigung auf den Friedensprozess haben?

Der gesamte Friedensprozess stagniert derzeit. Dies wird nach meiner Meinung auch so lange so bleiben, bis insbesondere die Democratic Unionist Party ihre Haltung ändert. Die DUP war von Anfang an gegen den Friedensprozess. Sie lehnt auch weiterhin das Karfreitagsabkommen ab.

Wie kann der Friedensprozess wiederbelebt werden?

Die Suspendierung des Parlaments muss aufgehoben werden. Wenn die Institutionen des Karfreitagsabkommens nicht arbeiten, ist die gesamte politische Landschaft unfruchtbar. Es müsste unverzüglich ein Datum für die Wiedereinsetzung des Parlaments festgelegt werden. Dann können sich alle Parteien und politischen Kräfte, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind, wieder an die Arbeit machen und gemeinsam an einer besseren Zukunft für Nordirland arbeiten. Des weiteren sollte der Brennpunkt der Aufmerksamkeit weg von verfassungsrechtlichen Fragen hin zu den wirtschaftlichen und sozialen Problemen gelenkt werden. Das sind nämlich die Themen, die das tägliche Leben der Menschen in Nordirland beeinflussen.

Welche Hindernisse stehen Ihrer Meinung nach derzeit auf dem Weg zum Frieden?

Meiner Meinung nach sind es die DUP, die Kriminalität durch paramilitärische Organisationen und die britische Regierung, da sie die Suspendierung des Parlaments aufrechterhält.

Wie kann die Regionalregierung in Stormont wieder eingesetzt werden?

Die Social Democratic and Labour Party fordert die umfassende Wiederherstellung der Regierung. Wenn das nicht möglich ist, muss ein anderer Weg gefunden werden. Dann sollten die irische und die britische Regierung gemeinsam Personen berufen, die vorübergehend die Abteilungen führen, bis der derzeitige Stillstand aufgebrochen ist und der Friedensprozess wieder in Gang kommt.

* Neues Deutschland, 23. Februar 2006


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