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Zwei Übergriffe pro Tag

In Nordirland steigt die Zahl rassistischer Attacken. Probritische Milizen terrorisieren Einwanderer

Von Florian Osuch *

In Nordirland gehen Anhänger probritischer Milizen immer häufiger gegen Migranten vor. Nach Angaben der Zeitung Belfast Telegraph registriert die Polizei in der Provinz durchschnittlich zwei rassistische Übergriffe pro Tag. Die Dunkelziffer liegt nach Auffassung von antirassistischen Aktivisten weit höher, da nur etwa 20 Prozent der Vorfälle bei der Polizei gemeldet würden. Der Belfast Telegraph warnte, Nordirland könne zur »europäischen Hauptstadt des Rassismus« werden.

Am vergangenen Wochenende zerstörten Unbekannte die Scheiben von einem Haus, in dem eine in Jamaika geborene Frau mit ihren drei Kindern lebt. Der Vorfall ereignete sich in der Stadt Newtownabbey an der nördlichen Stadtgrenze von Belfast. Die Polizei geht von einer rassistisch motivierten Tat aus. Die Betroffene sagte gegenüber BBC: »Es gibt so viele Häuser in der Straße, doch nur eines wurde angegriffen.« Es sei bereits der zweite Übergriff in weniger als einem Jahr gewesen. Zuerst hätten Unbekannte ihr Haus mit rassistischen Hetzparolen beschmiert.

Für eine Vielzahl solcher Übergriffe werden Mitglieder oder Unterstützer probritischer Milizen verantwortlich gemacht. Organisationen wie die Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Defence Association (UDA) lehnen nicht nur den Friedensprozeß in Nordirland und eine Aussöhnung mit der irischen Bevölkerung in der Provinz ab. Sie treten dafür ein, daß Nordirland weiß, protestantisch und britisch bleibt. Allem anderen stehen sie feindlich gegenüber. Ihre Ideologie ist eine Mixtur aus protestantischem Fundamentalismus, übersteigerter Verehrung der britischen Krone und Rassismus. Die Paramilitärs kontrollieren zahlreiche Dörfer und Stadtteile in Nordirland, die mehrheitlich von probritischen Protestanten bewohnt werden. Dort terrorisieren UVF und UDA Katholiken, Iren, Migranten und Muslime. Der Leitspruch der UVF lautet: »For God and Ulster« (Für Gott und Ulster).

Die Attacke auf die Mutter aus Jamaika erfolgte nach einem bekannten Muster. Zuerst werden unliebsame Personen zum Verlassen der Wohnviertel aufgefordert, zumeist durch rassistische Schmierereien und Bedrohungen. Entschließen sich die Betroffenen zu bleiben, werden die Wohnhäuser attackiert. Die Opfer verlassen meist fluchtartig ihre Häuser.

In den vergangenen Monaten wurden derlei Attacken wiederholt aus Newtownabbey gemeldet. Im März wurde dort das Haus einer jungen Familie beschädigt. Ein Mob belagerte das Gebäude, schlug Fensterscheiben ein und setzte das Auto der aus Osteuropa eingewanderten Familie mit einem Molotowcocktail in Brand. Arbeitsmigranten aus Polen werden immer häufiger das Ziel von rechten Angriffen. Bereits im Januar wurden in der Stadt die Häuser von vier Familien attackiert und deren PKW ebenfalls in Brand gesetzt. Newtownabbey gilt als Hochburg der probritischen Milizen. Es gibt dort martialische Wandbilder der UDA-Miliz. Darauf sind deren bewaffnete Mitglieder zu sehen, wie sie durch die Stadt patrouillieren.

Die paramilitärischen Verbände sind verboten, ihre Wandgemälde sind jedoch zu Hunderten in den von ihnen beanspruchten Gebieten in Nordirland zu sehen. Dort begreifen sich UDA oder UVF als Ordnungsmacht, obwohl sie selbst tief in den Waffen- und Drogenhandel verstrickt sein sollen. Innerhalb der Bewohnerschaft wagt in der Regel niemand, gegen die Paramilitärs aufzubegehren. Einige zeigen offen Sympathien oder auch Bewunderung für die Milizen. Probritisch eingestellte Nachbarn sind zumeist nicht die Leidtragenden der Einschüchterungen durch und der Gewalt von UVF und UDA.

Mit dem Ende des bewaffneten Konflikts zwischen der irischen Untergrundorganisation IRA und der britischen Besatzungsmacht in Nord­irland begann dort ein Abbau der Bevorzugungen der probritischen Bevölkerung bei der Job- und Wohnungsvergabe. UDA und UVF hatten sich ursprünglich gegründet, um die irischen Freiheitsbestrebungen zurückzudrängen. Sie wollten die britische Vorherrschaft in Nordirland behalten und ihre Privilegien verteidigen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 21. Mai 2014


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