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Rechtspopulisten regieren in Norwegen mit

Konservative Wahlsiegerin Erna Solberg verbündet sich mit einwanderungsfeindlicher Fortschrittspartei

Von André Anwar, Stockholm *

Die konservative Höyre und die rechtspopulistische Fortschrittspartei haben sich auf eine gemeinsame Regierung geeinigt, die noch von zwei kleinen Parteien gestützt wird.

Das Warten hat ein Ende. Gut drei Wochen verhandelte die norwegische Wahlsiegerin Erna Solberg von der konservativen Partei Höyre mit vier möglichen Koalitionspartnern. Nun hat sie bekannt gegeben, mit der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (FRP) von Siv Jensen eine Minderheitsregierung bilden zu wollen. Es ist das erste Mal in Nordeuropa, dass eine fremdenfeindliche Kraft in die direkte Regierungsverantwortung genommen wird. Jensen soll Finanzministerin werden. Daneben gehen weitere Ressorts an FRP-Politiker.

Eigentlich wollte die zukünftige Ministerpräsidentin Solberg auch die liberale Venstre und die Christdemokraten im Regierungsboot haben. Die beiden kleineren Parteien lehnten die direkte Zusammenarbeit mit der FRP jedoch ab. Dennoch wollen sie die Minderheitsregierung in einer »engen Zusammenarbeit«, wie Solberg am Montagabend bekannt gab, stützen. Minderheitsregierungen sind in Norwegen nicht ungewöhnlich.

Zudem sollen sie in den vier Jahren der Regierungsverantwortung Solbergs jederzeit in die Regierung eintreten können, falls sie das doch noch wollen. Vor allem die Christdemokraten verfolgen im Gegensatz zur Fortschrittspartei eine humanere Flüchtlingspolitik. So konnten sie in einer Vereinbarung der vier Parteien durchsetzten, dass Flüchtlingskinder, die schon länger in Norwegen leben, nicht abgeschoben werden. Insgesamt soll Norwegen aber eine deutlich strengere Einwanderungspolitik erhalten. Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, werden künftig etwa bis zur Abschiebung in sogenannten Asylzentren eingesperrt.

In Norwegen gilt die FRP nicht als kontrovers. Trotz markiger Aussprüche Jensens wie »Setzt die Bettler in einen Bus und schickt sie zurück nach Rumänien«, gilt die Partei selbst sozialdemokratisch orientierten Parteienforschern als hoffähig. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Massenmörder Anders Behring Breivik aktives FRP-Mitglied war und sein Massaker an Sozialdemokraten im Juli 2011 damit begründete, dass die Arbeiterpartei zu viele Muslime ins Land lasse.

Ein wichtiger Punkt in den Vier-Parteien-Vereinbarungen ist auch, dass die Einnahmen aus der Erdöl- und Gasförderung weiterhin in einen staatlichen Ölfonds fließen sollen. Die FRP hatte gefordert, die Einnahmen vermehrt schon jetzt auszugeben. Derzeit gehen 96 Prozent in den Fonds, um Norwegens Zukunft zu sichern. Mit den anderen vier Prozent wird ein Großteil des Wohlfahrtsstaates finanziert. Norwegen ist einer der größten Ölexporteure der Welt, doch die Förderquoten haben sich in den letzten Jahren bereits stark vermindert.

Parteienforscher glauben, dass Solberg auch eine Zähmung der als Protestpartei wirkenden FRP erreichen will. Die FRP hatte der Höyre so viele Stimmen abspenstig gemacht, dass sie bei mehreren Wahlen gar deutlich stärker abschnitt als die Konservativen.

Bei den Parlamentswahlen am 9. September hatte das acht Jahre lang amtierende Bündnis aus Sozialdemokraten, Linkspartei und liberaler Zentrumspartei eine Niederlage einstecken müssen. Zusammen mit Koalitions- und Stützpartnern kommt die zukünftige Ministerpräsidentin Solberg auf 96 Mandate im Parlament, dem Storting, gegenüber 73 Mandaten für die linke Opposition.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. Oktober 2013


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