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"Auch wir wurden Opfer des Rechtstrends"

Parlamentswahl in Norwegen: Durchmarsch der Rechten, die Linke leckt ihre Wunden. Ein Gespräch mit Arnljot Ask *


Arnljot Ask ist ­Interna­tionaler Sekretär der ­norwegischen Roten Partei (Rødt).


Bei der Parlamentswahl in Norwegen hat der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg vor kurzem seine Mehrheit an die Konservativen verloren. Wie erklären Sie diesen Rechtsruck?

Wegen seiner Erdölvorkommen ist Norwegen das reichste Land Europas – obwohl wir von der Krise kaum betroffen sind, hat das paradoxerweise aber auch rechte Ideologien gestärkt, . Die konservative Partei Høyre hat davon profitiert. Ihre Vorsitzende Erna Solberg war im Wahlkampf als eine Art Angela-Merkel-Kopie aufgetreten, sie suggerierte, sie sei die Beste, um das Land weiter voranzubringen.

Die Sozialistische Linkspartei (SV) hatte vor zwölf Jahren noch 12,5 Prozent bekommen, war bis zuletzt auch an der Regierung beteiligt und ist jetzt auf 4,1 Prozent abgerutscht. Ist es tödlich für eine Partei der radikalen Linken, wenn sie sich in ein bürgerliches Kabinett einbinden läßt?

Die SV ist ebenfalls ein Opfer des Rechtstrends geworden. Der Partei hat aber auch geschadet, daß sie zu viele Kompromisse gemacht hat. Vor allem in der vergangenen Legislaturperiode hat sie in antiimperialistischen und antirassistischen Bewegungen viel Vertrauen verloren. Das gilt auch für Umweltthemen, deswegen sind viele ihrer Wähler zur Grünen Milieupartei (MDG) gewechselt.

Die rechte Fortschrittspartei (FrP), der der spätere Massenmörder Anders Breivik in seiner Jugend angehört hatte, wird möglicherweise der neuen Koalition beitreten. Was bedeutet das im Hinblick auf die Bürgerrechte und die sozialen Errungenschaften?

Es ist noch nicht klar, ob diese Partei Regierungsverantwortung übernimmt – es könnte ein Minderheitskabinett geben. Wenn ja, wird die Ausländerpolitik restriktiver werden, es wird auch mehr Druck geben, den öffentlichen Sektor abzubauen und öffentliches Eigentum zu privatisieren. Einige ausländische Zeitungen stellen die FrP gerne als »Breivik-Partei« dar – was so aber nicht zutrifft. Dennoch fördert sie Rassismus und Islamophobie. In der Partei selbst gibt es allerdings immer mehr Widersprüche zwischen liberaleren Mitgliedern und denjenigen, die an der ursprünglichen rassistischen Politik festhalten wollen.

Hat das von Breivik vor zwei Jahren begangene Massaker den Antifaschismus gefördert oder eher den Ruf nach mehr Polizei?

Anfangs hat es den Antifaschismus gestärkt. Das Massaker war auch der Hauptgrund dafür, daß die FrP anschließend stark an Zustimmung verlor. Andererseits ist es so, daß Breiviks Blutbad den Boden für mehr Überwachung bereitete; u.a. wurde vorgeschlagen, das Militär solle die Polizei unterstützen. Angeblich geht es in erster Linie gegen den Rechtsterror – doch im Mittelpunkt steht nach wie vor der Dschihadismus. Außerdem wird die Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten ausgebaut, obwohl auch Norwegen Opfer der NSA-Überwachung ist.

Ihre Rote Partei (Rødt) hatte leichte Verluste und kam nur noch auf 1,1 Prozent. Welche Perspektiven hat die radikale Linke eigentlich in Norwegen?

Wegen des Rechtstrends haben auch wir Verluste hinnehmen müssen. In einem relativ gut funktionierenden Land wie Norwegen ist es für eine revolutionäre Partei natürlich nie besonders leicht. Aber in der Hauptstadt Oslo haben wir immerhin 3,2 Prozent der Stimmen gewonnen. Das bedeutet nicht, daß das alles Antikapitalisten waren – viele dieser Wähler würden gerne eine linke Opposition im Parlament sehen.

Den Grünen ist es gelungen, viele der linken oder auch oppositionellen Wähler mit Umweltthemen zu gewinnen, sie legten von 0,4 Prozent bei der vorletzten Wahl auf jetzt 2,8 Prozent zu. Das ging vor allem auf Kosten der SV, aber auch uns ist es nicht gelungen, eine konkrete sozialistische Agitation zu entwickeln.

Was muß sich ändern?

Wir müssen unsere Vorstellungen konkretisieren, wie ein sozialistisches Norwegen aussehen kann. Das müssen wir mit einem Programm für die Kritik am Kapitalismus und für den täglichen Kampf gegen ihn verbinden. Einige unserer Mitglieder und Sympathisanten machen sich dafür stark, SV und Rødt zu vereinigen. Die Führungen beider Parteien sind zwar dagegen, streben jedoch eine bessere Zusammenarbeit in tagespolitischen Kämpfen an – gemeinsam mit Gewerkschaften und anderen sozialen Organisationen.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. September 2013


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