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Despot in Bedrängnis

Auch im Oman lehnen sich Jugendliche und Arbeiter gegen halbfeudale Verhältnisse auf. Der Sultan reagiert mit sozialen Zugeständnissen und Repression

Von Raoul Rigault *

Der Aufruhr in der arabischen Welt ist allumfassend. Ende Februar erreichte er auch den letzten Winkel – das verschlafene und vom Westen für seine Stabilität und Reformbereitschaft gepriesene Sultanat Oman. Hochburg der Proteste gegen das absolutistische System, gegen Massenarbeitslosigkeit, Hungerlöhne und Vetternwirtschaft am Südrand der arabischen Halbinsel ist die zweitgrößte Stadt Sohar. Am 26. und 27. Februar gingen dort, angeregt durch die Revolte im Nachbarland Jemen, Tausende auf die Straße. Eine Polizeistation ging in Flammen auf, ein Supermarkt wurde geplündert. Inzwischen kommt es auch in der Hauptstadt Maskat zu regierungskritischen Kundgebungen. Dabei wurden bisher sechs Menschen durch Polizeikugeln getötet, Dutzende zum Teil schwer verletzt. Zuletzt starb am 2. April ein 22jähriger nach einer weiteren Demonstration in Sohar.

Außer auf Staatsterror setzt der seit 1970 unumschränkt herrschende Sultan Kabus auch auf beschränkte Zugeständnisse. Der Despot, der sich 1970 mit Hilfe der Briten an die Macht geputscht hatte, versucht so, die Lage unter Kontrolle zu halten und der Bewegung die Spitze zu brechen. Ähnlich dem Vorgehen seines Pendants Mohammed VI. von Marokko ist auch im Oman seit Mitte März ein Komitee von »Weisen« damit beschäftigt, Vorschläge für eine Reform der Verfassung auszuarbeiten. Die soll dem Parlament beschränkte gesetzgeberische Kompetenzen gewähren. Denn bislang hat die seit 2003 von allen über 21jährigen Bürgern gewählte Majlis ash Shura (Beratende Versammlun), deren Neuwahl im Herbst ansteht, wie ihr Name andeutet nur symbolische Funktion. Es besteht allerdings kein Zweifel, daß Kabus über den Staatsrat auch weiterhin das letzte Wort haben will. Dort sitzen von ihm handverlesene Stammesfürsten und Honoratioren.

Zur Beruhigung des Volkszorns wurden einige besonders unbeliebte Minister abgesetzt. Kabus ließ den Mindestlohn um 40 Prozent auf 200 Rial (520 Dollar) im Monat anheben und gab das Versprechen, 50000 neue Jobs im öffentlichen Dienst zu schaffen. Die erhoffte Wirkung blieb aus, und westliche Beobachter zeigen sich über die anhaltenden Unruhen verwundert. Denn laut Internationalen Währungsfonds verfügt das Sultanat mit einem Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 18000 US-Dollar pro Kopf über den dritthöchsten Wert in ganz Arabien, ist damit potentiell sieben Mal reicher als Ägypten. Zudem hat der vom britischen Economist als »wohlwollender Autokrat« verehrte Kabus einen nicht unwesentlichen Teil der Erdöl- und Erdgaseinnahmen in den Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern gesteckt. Die Analphabetenrate sank laut der letzten Volkszählung 2003 auf 18,6 Prozent, während die Lebenserwartung auf 74,2 Jahre stieg. Beeindruckend auch die Überschüsse in der Handelsbilanz, die in den letzten Jahren umgerechnet zwischen 10,4 und 17 Milliarden Dollar betrugen. Dieses vor allem im Warenverkehr mit asiatischen Staaten erzielte Vermögen kommt jedoch nur einer schmalen Oberschicht zugute.

Die Masse der Untertanen muß ihre Arbeitskraft für viel weniger Geld verkaufen. Zahlen über die Armut werden nicht veröffentlicht. Die offiziell geschätzte Erwerbslosigkeit beläuft sich auf 15 Prozent. Real liegt sie höher, denn nur 968800 der gut drei Millionen Einwohner sind als erwerbsfähig registriert. Ein Wirtschaftswachstum von zwei bis 3,6 Prozent in den vergangenen beiden Jahren kann angesichts einer ähnlich starken Bevölkerungsentwicklung nicht für die notwendige Beschäftigung sorgen. Der Sultan setzt nun auf eine »Omanisierung« der Arbeit. Die jährlich mehr als 30000 Schul- und Universitätsabsolventen sollen Schritt für Schritt die 580000 Arbeitsmigranten aus Pakistan, Indien, Bangladesch und Sri Lanka ersetzen. Doch die gut ausgebildeten Jugendlichen erwarten etwas anderes als die schweißtreibenden Billigjobs der Gastarbeiter oder die in Aussicht gestellte Tätigkeit als Bedienungspersonal in der expandierenden Touristikbranche. Gleichzeitig ist sich die Jugend ihres politischen Gewichtes durchaus bewußt. Mit nur 24,1 Jahren liegt das Durchschnittsalter noch fünf Jahre unter dem tunesischen, und die Urbanisierung ist mit 73 Prozent weiter fortgeschritten als in den meisten anderen arabischen Staaten.

Der Oman ist ein erneuter Beleg dafür, daß Reformen von oben im Rahmen einer weiterhin existierenden halbfeudalen Ordnung früher oder später an ihre Grenzen stoßen. Im Sultanat geschah das auch durch den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO und die Befreiung des Wirtschafts- und Finanzverkehrs von fast allen Beschränkungen. Die Liberalisierungspolitik machte zwar Propagandisten des Freihandels glücklich, hindert das Land aber an einer staatlich gelenkten Politik zur Diversifizierung der Wirtschaft. Noch immer trägt die Erdöl- und Erdgasproduktion mit gut der Hälfte zum BIP bei. Petrochemie, Stromerzeugung, Kupferförderung, Bauwirtschaft und Textil- und Zementproduktion folgen mit großem Abstand. Die Landwirtschaft ist mit einem Anteil von gerade mal 1,4 Prozent zu vernachlässigen und zwingt zu Nahrungsmittelimporten.

Große Zukunft hat das bislang erfolgreiche Modell nicht. Die wegen des Versiegens der Quellen geplante Reduzierung des Ölanteils am BIP auf nur noch neun Prozent bis 2020 dürfte deshalb in einer ökonomischen Strukturkrise enden – und mit erheblichen politischen und sozialen Verwerfungen einhergehen. Die derzeitigen Proteste scheinen da nur ein Vorspiel.

* Aus: junge Welt, 15. April 2011

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