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Chinesen in Osttimor

Motor der Wirtschaftsentwicklung oder reine Profitmacher?

Unter dem Titel "Überseechinesen in Osttimor - eine Geschichte wiederholt sich" veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung am 21. Oktober 2000 einen Bericht über die Probleme des seit einem Jahr von Indonesien unabhängigen Landes. Darin spielt traditionell eine chinesische Minderheit ein große Rolle, insbesondere im Wirtschaftsleben.

Chinesischstämmige Minderheiten haben in Osttimor seit je eine wichtige Rolle gespielt. Indonesiens Armee schlachtete die aus Macao zugewanderten Händlerfamilienab, um deren Geschäfte zu übernehmen. Danach aus Indonesien nachgerückte Chinesen flüchteten letztes Jahr noch vor dem Unabhängigkeitsplebiszit. Nun versuchen Geschäftsleute aus Singapur die Wirtschaftsbereiche im neuen Osttimor zu übernehmen.

mo. Dili, Mitte September

Mit Schaudern denkt Benny Foo an seine ersten Nächte in Dili, der Hauptstadt Osttimors, zurück. Der aus Singapur stammende dreissigjährige Chinese ist im vergangenen April erstmals hierher gekommen. Wie die meisten Besucher des im Herbst letzten Jahres von den abziehenden indonesischen Milizen und Soldaten in Schutt und Asche gelegten Territoriums war Foo gezwungen, vorerst in einem der sogenannten Container- Hotels zu nächtigen. Nur drei der sechs richtigen Hotels hatten die Welle der Gewalt mehr oder weniger unbeschädigt überstanden. In deren Zimmern waren die leitenden Beamten der Uno-Mission einquartiert. Die rangniedrigeren Uno-Leute nahmen derweil die gesamten Räume auf dem riesigen, im Hafen von Dili verankerten Wohnschiff «Olympia» in Beschlag. In den von einem australischen Geschäftsmann zu Wohnquartieren umfunktionierten und zu hundert amerikanische Dollar pro Nacht vermieteten Containern liess einen, so erinnert sich Foo, die viel zu dünne Matratze den Stahlboden spüren. Die Hotelgäste zogen nachts alle mitgebrachten Kleidungsstücke an, um sich gegen die vom nicht regulierbaren Kühlaggregat ausgeströmte Kälte zu schützen. Aus Mangel an Stühlen und Tischen mussten sämtliche Schreibarbeiten und Geschäftsverhandlungen am Boden sitzend erledigt werden.

Notstand als Geschäftschance

Foos Schwiegervater in Singapur hatte ihm den Tipp gegeben, sich hier nach neuen Geschäftschancen umzusehen. Der Schwiegervater hatte seinerseits von Singapur-chinesischen Freunden gehört, welche Geldsummen beim Wiederaufbau in Osttimor umgesetzt werden sollen. Eine internationale Geberkonferenz hatte im letzten Dezember in Tokio Aufbauhilfe von gesamthaft 522 Millionen Dollar versprochen. Zudem steht den meisten der schätzungsweise 15 000 in Osttimor stationierten Ausländern - 9000 Blauhelme, 1600 Uno-Polizisten sowie Vertreter von Uno-Agenturen und zahlreichen ausländischen Hilfsorganisationen - über Lohn und Wohnkosten hinaus ein täglicher «Spesenzuschuss» von je 109 Dollar zur Verfügung.

Obwohl also schon nur die «Taschengelder» von Osttimors ausländischen Beschützern und Helfern ein Kaufkraftpotenzial von über einer Million Dollar pro Tag ergeben, liessen sich noch im vergangenen Frühjahr viele der zu einem Augenschein angereisten ausländischen Geschäftsleute von den harschen Überlebensbedingungen abschrecken. Foo hingegen sah genau indiesen seine Chance; er beschloss, seine ursprünglich auf wenige Tage veranschlagte Erkundungstour auszudehnen und blieb schliesslich einen ganzen Monat im Container wohnen.

Danach liess er auf einem kurzen Abstecher nach Singapur in aller Eile Baumaterial und Möbel aller Art, zwei Stromgeneratoren sowie eine komplette Küchen- und Büroeinrichtung verschiffen. In der Zwischenzeit hatte er nämlich bereits von der Uno-Administration Osttimors eine Geschäftslizenz zum Betrieb eines Hotels erhalten und mit dem Besitzer eines teilweise niedergebrannten grösseren Gebäudes einen auf sechsJahre befristeten Pachtvertrag abgeschlossen. Dieser erlaubte dem Singapurer Neu- und Umbau sowie die freie Nutzung des umliegenden Grundstücks. Ursprünglich hätte Foo das Grundstück lieber gleich gekauft. Doch nachdem er von den Erfahrungen anderer ausländischer Geschäftsleute gehört hatte, war er nicht allzu unglücklich, dass «sein» Landeigner nicht zu einem Verkauf bereit war. Andere mussten ihre Grundstücke teilweise bis zu viermal bezahlen, weil immer wiederneue «eben erst repatriierte» Osttimoresen auftauchten und behaupteten, die wirklichen Besitzer zu sein. Weil die indonesische Armee beim Abzug Grundbücher und Katasterpläne vernichtet hat, ist das Abklären von Besitzansprüchen heimkehrender Flüchtlinge für die Uno-Administration und für potenzielle Investoren zu einem Albtraum geworden.

Weisses Hotel zwischen Brandruinen

Nach Foos Rückkehr nach Dili ging alles sehr schnell. Obwohl er von der gepachteten Brandruine nur die Aussenmauern stehen liess, konnte er nach bloss zweimonatiger Bauzeit bereits sein «Dili 2000 Hotel» eröffnen. In auffälligem Kontrast zu den stets noch rauchgeschwärzten undteilweise dachlosen Gebäuden in der Nachbarschaft ist es grösstenteils in strahlendem Weiss gehalten. Die 45 Zimmer, auf zwei Stockwerken um einen Innenhof herum angeordnet, sind allesamt mit Klimaanlagen, die Hälfte davon gar mit Bad und fliessendem Heisswasser ausgestattet. Zum Hotel gehört auch ein «Business Center», das allerdings erst über ein Faxgerät, aber noch nicht über Internetanschluss und E-Mail verfügt. In der Küche des Hotel-Restaurants bereitet ein in Vietnam geborener chinesischstämmiger Koch zusammen mit einem halben Dutzend einheimischer Gehilfen westliche und asiatische Gerichte zu.

Wie richtig der junge Foo den Markt eingeschätzt hatte, zeigt sich daran, dass das Hotel seit der Eröffnung stets ausgebucht ist. Immer wieder muss er Gäste, die nicht bis zu drei Wochen im voraus reserviert haben, an eines der mittlerweile drei Container-Hotels von Dili verweisen. Dies, obwohl das billigste Zimmer 65 amerikanische Dollar pro Nacht und die «Deluxe Rooms» mit eigenem Bad gar 100 Dollar kosten. Die stolzen Preise begründet Foo damit, dass er gezwungen war, das gesamte Baumaterial aus Singapur zu importieren. Weil in Osttimor gegenwärtig weiterhin ausser dem traditionellen Hauptexportartikel Kaffeebohnen kaum etwas produziert wird, ist jetzt auch der finanzielle Aufwand beim Betrieb enorm - mit Ausnahme von Frischgemüse muss weiterhin alles im Hotel Verbrauchte, von der Handseife über das Speiseöl bis zur Ersatzglühbirne, unter hohen Transportkosten aus Singapuroder Australien herbeigeschafft werden, die Nahrungsmittel per Kühlcontainer.

Nach den Milizen das Verkehrschaos?

Mit für chinesische Geschäftsleute typischer Diskretion will Foo erst nicht verraten, wie viel ihn der Hotelbau gekostet hat, lässt sich aber nach einigem Insistieren ein «deutlich unter einer Million australische Dollar» (1 australischer Dollar entspricht rund 1 Franken) entlocken. Angesichts des blendenden Geschäftsganges ist klar, dass die Investition lange vor Ablauf des Pachtvertrages amortisiert sein wird. So ungern Foo über Geldfragen spricht, umso bereitwilliger gibt er über seine Zukunftspläne Auskunft. Bereits plant er den Bau eines Wohnhauses mit luxuriösen «Service-Appartements», die er Uno-Experten und anderen ausländischen Langzeitgästen vermieten will. Überdies glaubt Foo, dass Osttimor, falls der schwelende Konflikt mit den nach Westtimor geflüchteten Milizionären und ihren indonesischen Ziehvätern friedlich beigelegt werden kann, die Voraussetzungen dazu hat, zu einem tropischen Touristenziel zu werden. Deshalb denkt er über das Errichten eines Bungalowdorfes an einem der osttimoresischen Sandstrände nach. Kein Zweifel, Foo ist mittlerweile von Osttimor «angefressen».

Ganz nach traditioneller Art chinesischer Geschäftsleute, die im Ausland zumeist in informellen Netzwerken operieren, ist Foo in Dili auch nicht mehr auf sich allein gestellt. Ein ebenfalls aus Singapur stammender ehemaliger Geschäftspartner hat in Osttimor bereits das Beinahe- Monopol für aus dem heimatlichen Stadtstaat eingeführte Gebrauchtwagen. Noch vor einigen Monaten fuhren auf Dilis Strassen neben Lastwagen nur die Luxus-Geländewagen der Uno umher, ergänzt durch das Dutzend klappriger, noch aus der Zeit der indonesischen Herrschaft stammender Taxis. Mittlerweile zeugen jedoch bereits mehrere hundert Toyotas und Hondas, zumeist noch mit den Singapurer Nummernschildern versehen, von der zunehmenden Kaufkraft zumindest eines Teils der Bevölkerung. Foos Freund bringt seine Gebrauchtwagen per Schiff in grosser Zahl ins Land. Weil es bisher keine Möglichkeit gibt, die Kreditwürdigkeit der Kundschaft zu überprüfen, haben die Käufer die Fahrzeuge am Hafen beim Auslad bar in die Hand zu bezahlen. Fünf bis zehn Jahre alte Wagen japanischerProvenienz gehen laut Foo «wie frische Brötchen» weg, obwohl sie zwischen 3000 und 10 000 amerikanische Dollar kosten. Bei jedem dieser Transporte werden auch einige gegen Vorausbezahlung von 30 000 Dollar bestellte Modelledeutscher Nobelmarken ausgeliefert. Ein Angehöriger der Uno-Administration kommentiert die Entwicklung nur halbwegs scherzend: «Wenn der Trend anhält, dann haben wir hier innert Kürze mit den ersten Verkehrsstaus zu kämpfen.»

Bei der Fahrt in einer der von seinem Freund angelieferten Limousinen durch das langsam aus der Asche auferstehende Dili stellt Foo dem Besucher noch ein Dutzend weiterer aus Singapur stammender Chinesen vor. Mehrere von ihnen haben hier in den letzten Monaten Supermärkte eröffnet, deren Zielpublikum allerdings angesichts der Preislage der angebotenen Müeslimischungen, tiefgefrorenen Pizze und anderen aus Übersee importierten Güter vorwiegend die ausländischen Aufbauhelfer sein dürften. Bei einemdurchschnittlichen Tagesverdienst von sieben australischen Dollar können es sich Einheimische nicht leisten, für ein volles Einkaufswägelchen hundert amerikanische Dollar hinzublättern. Andere von Foos Singapurer Freunden haben sich mit kleinen Detailhandelsgeschäften, mit einem Möbelladen und mit Unternehmen, die Holz, Baumaterialien und Haushaltelektronik importieren, Stellungen im langsam wieder auflebendenund für die Versorgung der einheimischen Bevölkerung wichtigen Güterverkehr erobert.

Damit scheint sich die Geschichte zu wiederholen, denn Chinesen haben, zumal den Osttimoresen angeblich seit je jeder Geschäftssinn abgeht, im hiesigen Wirtschaftsleben immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Während der über dreihundert Jahre dauernden portugiesischen Kolonialherrschaft waren Chinesen am Export von Kaffee und Sandelholz sowie am Import von Reis und Zucker beteiligt und verliehen Geld. Etliche der ursprünglich aus Macao, einer anderen portugiesischen Kolonie an der Perlflussmündung in Südchina, stammenden Händlerfamilien brachten es zu beträchtlichem Reichtum. Davon zeugten prächtige Häuser im Chinesenviertel von Dili, bevor sie vor Jahresfrist wie der Rest der Stadt gebrandschatzt wurden.

Massenmord für das Kaffeemonopol

Ein grosser Teil der ursprünglichen Chinesenkolonie ist allerdings schon 1975, gleich nach der Besetzung Osttimors, durch die indonesischen Streitkräfte buchstäblich ausgerottet und vertrieben worden. Nachdem sie nach schweren Kämpfen den heftigen Widerstand der Osttimoresen gebrochen hatten, haben die indonesischen Soldaten laut einem Augenzeugen zwei- bis dreihundert der ansässigen Chinesen grösstenteils lebendigen Leibes im Hafen Dilis den durch das vorhergegangene Blutbad angelockten Haien zum Frass vorgeworfen. Laut dem Bericht hat damals nach kurzem Unterbruch das städtische Wirtschaftsleben seinen üblichen Lauf genommen,Reis wurde wieder angeliefert, und die Warenverteilung durch den Detailhandel funktionierte auch wieder. Denn innert weniger Wochen hatten, ihre Geschäftschancen witternd, aus dem indonesischen Handelshafen Surabaya stammende Chinesen die durch das Massaker an den Macao-Chinesen entstandene Lücke aufgefüllt. Aber mit einem Unterschied: Der Handel mit Kaffeebohnen und Sandelholz blieb fortan der Offizierskaste der indonesischen Besetzungstruppe zur massiven Aufbesserung des Soldes vorbehalten. Das Durchsetzen dieses Monopols war vermutlich auch der Zweck des Chinesenmassakers gewesen.

Des Schicksals ihrer Vorgänger beim Machtwechsel von 1975 eingedenk, sind die meisten derwährend der 24-jährigen indonesischen Herrschaft ebenfalls zu Wohlstand gekommenen sogenannten «Surabaya-Chinesen» im vergangenenJahr sicherheitshalber schon vor dem Unabhängigkeitsplebiszit aus Osttimor geflohen. Offenbar scheinen sie auch mehrheitlich nicht an eine Rückkehr zu denken. Jedenfalls wohnen nun in den meisten der von ihnen verlassenen Häuser, mit von der Uno zur Verfügung gestelltem Wellblech neu gedeckt, aus ländlichen Gegenden zugewanderte osttimoresische Flüchtlingsfamilien.

Neue Konkurrenz und alter Hass

Doch offensichtlich wird durch die dritte, diesmal von Singapur ausgehende Einwanderungswelle chinesischer Geschäftsleute jetzt auch dieseLücke wieder aufgefüllt. Mit Handel, Dienstleistungen und Geldverleih versuchen sie, erneut dietraditionell von Chinesen dominierten Wirtschaftsbereiche in Beschlag zu nehmen, die keineriesigen Investitionen erfordern. Infrastrukturgrossprojekte überlassen sie japanischen Konzernen und westlich-australischen Konsortien. Allerdings stossen die Singapur-Chinesen in Osttimor in vielen «traditionell chinesischen» Bereichen auf Konkurrenz - die «Honigtöpfe» der Uno haben auch zahlreiche abenteuerlustige Kleinunternehmer aus Australien, aus den USA und vorab aus dem ehemaligen Kolonialherrenland Portugal auf den Plan gerufen.

Etwas anderes hat sich hingegen nicht geändert: Zwar erfüllen die Chinesen eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion, sie haben zudem bereits Hunderte von neuen Arbeitsplätzen und damit für zahlreiche osttimoresische Familien eine Existenzgrundlage geschaffen - aber beliebt sind sie bei der einheimischen Bevölkerung weiterhin nicht. Beim Abendessen gibt der Hotelier Foo gar zu, er und die anderen singapurischen Geschäftsbesitzer würden von «organisierten osttimoresischen Kreisen» unter Gewaltandrohung dazu gezwungen, höhere Löhne als westliche Unternehmer zu bezahlen und bis zu doppelt so viele Einheimische anzustellen, als eigentlich für ihre Betriebe nötig wäre. Gerade als er anfügt, der geschäftliche Erfolg der Chinesen rufe eben auch Neid und Hass hervor, fliegt zur prompten Bestätigung seiner Worte ein Stein in den Innenhof des Hotels. Glücklicherweise wird niemand getroffen. Nach einer Schrecksekunde hat Foo sich wieder gefasst und sagt mit typisch chinesischem Lächeln, dort, wo die Profitchancen gross seien, gebe es halt immer auch grosse Risiken.


Aus: Neue Zürcher Zeitung, 21. 10. 2000

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