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"Gute Beziehungen machen Verteidigung fast überflüssig"

Xanana Gusmao, Präsident Osttimors (Timor-Leste) in Deutschland. Interview und Hintergrund

Xanana Gusmao ist der erste Präsident Osttimors, das 2002 unabhängig wurde. 1975, als der Nachbar Indonesien in der damaligen portugiesischen Kolonie einmarschierte, wurde Gusmao Rebellenführer. 17 Jahre lang lebte er in Wäldern und kämpfte gegen Besatzer. 1992 wurde Gusmao gefasst, danach verbrachte er sieben Jahre in indonesischer Gefangenschaft. 1999 kam er frei und kehrte nach Osttimor zurück. Dort hatten gerade UN-Truppen die Gewalt beendet, die den Abzug Indonesiens begleitete.
Nationalheld Gusmao gewann 2002 mit 83 Prozent der Stimmen Osttimors Präsidentschaft. Wegen seines Einsatzes für Frieden, Versöhnung und Demokratie erhielt Gusmao viele Preise, darunter den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments. Diese Woche weilt der 58-jährige erstmals in Deutschland; das Programm umfasst Empfänge bei Bundespräsident Köhler und Außenminister Fischer. (FR, 21.10.2004)

Im Folgenden dokumentieren wir eine Basisinformation des Auswärtigen Amts zu den Beziehungen zwischen Timor-Leste (Ost-Timor) und der BRD und im Anschluss Auszüge aus einem Interview, das die Frankfurter Rundschau mit dem Präsidenten Xanana Gusmao machte (Interviewer: Moritz Kleine-Brockhoff).

Doch zunächst zu einer Agenturmeldung über den Besuch:


Der Präsident von Osttimor, Kay Rala Xanana Gusmao, ist am Mittwoch von Bundespräsident Horst Köhler in Berlin mit militärischen Ehren empfangen worden. Auf dem Besuchsprogramm Gusmaos standen auch Treffen mit Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD).
Gusmao wurde bei seiner ersten offiziellen Deutschlandvisite vom osttimoresischen Außenminister, dem Friedensnobelpreisträger von 1996, JosĂ© Ramos-Horta, begleitet. Der osttimoresische Präsident wollte vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Bonn einen Vortrag über den "Wiederaufbau einer Nation aus der Asche" halten.

Das südostasiatische Land zwischen Indonesien und Australien lag im September 1999 tatsächlich in Schutt und Asche. Nach einem Votum der Osttimoresen für Unabhängigkeit von Indonsien am 30. August 1999 zerstörten pro-indonesische Milizen mehr als drei Viertel der gesamten Infrastruktur auf der Inselhälfte. Rund 2000 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 200 000 Osttimoresen wurden vertrieben. UN-Blauhelme konnten den Gewaltexzessen im September 1999 ein Ende bereiten. Nach einer UN-Übergangsverwaltung wurde das Land am 20. Mai 2002 unabhängig. Präsident Gusmao, einst Anführer der osttimoresischen Guerillabewegung, saß selbst sieben Jahre lang während der indonesischen Herrschaft über Osttimor in einem Hochsicherheitsgefängnis. (www.osttimor.de)
Quelle: ddp, 21.10.2004



Beziehungen zwischen Timor-Leste und Deutschland

Stand: Oktober 2004

Politische Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Timor Leste und Deutschland sind problemlos und freundschaftlich. Timor-Leste erhält seit der Zeit der UN-Übergangsverwaltung von 1999 umfangreiche Unterstützung aus Deutschland zum Aufbau des Landes. Mit Erreichen der staatlichen Unabhängigkeit am 20. Mai 2002 wurde Timor-Leste von Deutschland völkerrechtlich anerkannt.

Am 11. Oktober 2004 übergab Botschafter Broudré-Gröger als zweiter deutscher Botschafter sein Beglaubigungsschreiben an Präsident Gusmao.

Außenminister Dr. Ramos-Horta ist seit November 2002 regelmäßiger Gast in Deutschland. Der erste Besuch von Präsident Gusmao ist für Ende Oktober 2004 geplant.

Wirtschaftsbeziehungen

Im Jahr 2003 hat sich der bilaterale Handel mit einem Volumen von 3,1 Mio. EUR nach einem Anstieg im Jahr 2002 (10,1 Mio. EUR) wieder auf dem Vorjahresniveau von 2001 (2,5 Mio. EUR) eingependelt. Dieser Handelsrückgang kann auf den graduellen Abzug der UNO aus Timor-Leste zurückgeführt werden, der das BIP im Jahr 2003 ebenfalls um drei Prozentpunkte schrumpfen ließ. Deutschen Ausfuhren im Wert von 2,5 Mio. EUR (2002: 8,1 Mio. EUR, 2001: 1,8 Mio. EUR) standen Importe aus Timor-Leste in Höhe von 0,6 Mio. EUR gegenüber (2002: 2,0 Mio. EUR, 2001: 0,7 Mio. EUR).

Entwicklungspolitische Zusammenarbeit

Deutschland hat seit 1999 den Aufbau des zerstörten Timor-Leste unterstützt. Eines der ersten deutschen Projekte in Timor-Leste nach der Unabhängigkeit war die Einwohnerregistrierung von 742.461 Personen und die Ausgabe von Personalausweisen. Die in drei Monaten vom deutschen Team gesammelten Unterlagen konnten auch für die Vorbereitung der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung und für die Präsidentschaftswahlen herangezogen werden.

Schwerpunkt der Finanziellen und Technischen Zusammenarbeit war in der Anfangsphase der Wiederaufbau der Trinkwasserversorgung in den östlichen Distrikten (Baucau, Viqueque). Ferner war die Bundesregierung in diesen Distrikten aktiv mit Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe tätig.

Im Juni 2003 wurde mit der Regierung von Timor-Leste der maritime Transportsektor als neuer Schwerpunkt der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit vereinbart. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit finanziert Deutschland den Kauf einer Fähre, den Ausbau von Hafenanlagen und maritime Ausbildung mit einem Gesamtvolumen von 5,7 Mio. Euro. Die Fähre soll einen Beitrag zur kurzfristigen Sicherung der Anbindung der Enklave Oecussi an das Stammland gewährleisten und Timor-Leste die Möglichkeit geben, auch Häfen in Australien und Indonesien anzulaufen.

Insgesamt hat die Bundesregierung Timor Leste seit 1999 rund 27 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.

Quelle: www.auswaertiges-amt.de



"Osttimor braucht Geduld"

Präsident Xanana Gusmao hofft, dass sein Land trotz vieler Probleme schon bald auf eigenen Beinen stehen kann

Frankfurter Rundschau: Sie waren Guerillakämpfer, später Häftling, jetzt sind sie Staatspräsident. Wie gefällt Ihnen das neue Leben?

Xanana Gusmao: Ich wäre lieber wieder Gefangener, da tut man fast nichts (lacht). Nein, im Ernst: Präsident Osttimors zu sein, ist große Verpflichtung. Die Menschen wollen schnelle Problemlösungen, die ich nicht sofort bieten kann. Am schwierigsten ist, zu erklären, dass wir Geduld brauchen.

Werden sie 2006 erneut antreten?

Nein. Stattdessen möchte ich helfen, Osttimors Zivilgesellschaft zu stärken.

Deutschland leistet in Osttimor nur 2,75 Millionen Euro Entwicklungshilfe pro Jahr und ist damit nicht unter Ihren zehn größten Gebern.

Ich werde in Berlin erklären, wo wir stehen und darlegen, in welchen Bereichen Deutschland uns weiterhelfen könnte. Die UN beenden im Mai 2005 ihre Osttimor-Mission. Um zu vermeiden, dass wir danach ein scheiternder Staat werden, brauchen wir Hilfe.

1999 herrschte in Osttimor Gewalt, das Land wurde zerstört.

Es gab zunächst drei Prioritäten: Sicherheit, Nothilfe für die Menschen und Aufbau einer Verwaltung. Mit UN-Hilfe hatten wir in allen drei Bereichen Erfolg. Jetzt ist es friedlich und politisch stabil im Land. Die Wirtschaft zu entwickeln und soziale Probleme zu lösen, sind jetzt die größten Herausforderungen. Arbeitslosigkeit ist das schlimmste Problem. Die Regierung öffnet Osttimor für Investoren, hoffentlich schaffen wir bald Arbeitsplätze.

Und Armutsbekämpfung? Osttimor gilt als ärmstes Land Asiens.

Das hängt ja zusammen. Armut ist ein Problem, allerdings hungert bei uns niemand. Viele Familien haben jedoch nicht genug Geld, um ihre Kinder zur Schule oder zum Arzt zu schicken. Natürlich versuchen wir, die Lebensverhältnisse zu verbessern.

In sieben Monaten ziehen die UN ab. Kann Osttimor auf eigenen Beinen stehen?

Ich glaube ja. Natürlich brauchen wir weiter Hilfe in vielen Bereichen: Verwaltung, Justiz, Banken usw. Einige UN-Experten werden wohl bleiben.

Sind Sie nicht zu optimistisch? Ihr Haushalt ist 100 Millionen US-Dollar klein, und selbst die hat Osttimor nicht. Sie haben keine 50 Ärzte und nur in der Hauptstadt immer Strom.

Ich will Probleme nicht kleinreden. Erst wenn wir Öl- und Gaseinnahmen aus der Timor-See haben, können wir uns tragen und unser Land entwickeln.

Da hakt es aber, weil Australien das Meiste für sich beansprucht und nicht über die Seegrenze mit Osttimor verhandeln will.

Die Frage der Verteilung entscheidet, ob wir immer Bettler bleiben oder wirklich unabhängig werden.

Die umstrittenen Seegebiete liegen näher an Osttimor als an Australien. Im April sagten Sie, die Australier seien Diebe. Sehen Sie das immer noch so?

Gesetz ist Gesetz. Recht und Unrecht haben nichts mit Größe zu tun. Wir wissen, dass wir ein kleines Land sind. Wir fordern nur, was uns unserer Meinung nach zusteht.

Im Mai 2005 ziehen auch alle UN-Soldaten ab. Sie haben nur eine kleine Armee. Wird es australische oder US-amerikanische Militärbasen in Osttimor geben?

Die brauchen wir nicht. Es würde Indonesien irritieren. Wir wollen Nachbarschaft mit Vertrauen. Gute Beziehungen machen Verteidigung fast überflüssig.

Aber mit Indonesien gibt es Grenzdispute. Als Machtdemonstration kommen manchmal Kriegsschiffe weit in osttimoresische Gewässer.

Das passiert ohne Weisung der Regierung. Indonesien feiert Demokratisierungserfolge, hat aber noch interne Probleme. Unsere Beziehungen sind gut, aber nicht perfekt.

In Indonesien ist niemand wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden, die Militärs 1999 beim Abzug aus Osttimor begingen. Sie haben das nicht kritisiert und fordern auch kein internationales Tribunal. Opfern Sie Gerechtigkeit für gute Nachbarschaftsbeziehungen?

Opfern ist das falsche Wort. Kann nur Bestrafung der Täter Gerechtigkeit bringen? Unsere Pflicht ist, das unabhängige Osttimor, für das Menschen gestorben sind, zu entwickeln. Ein internationales Tribunal ist nicht meine Priorität. Mir wäre lieber, wenn wir mit zehn Prozent dessen, was das kosten würde, in Osttimor eine korruptionsfreie Justiz aufbauten.

Interview: Moritz Kleine-Brockhoff

Aus: Frankfurter Rundschau, 21. Oktober 2004


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