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Osttimor bleibt ein Land voller Konflikte

Präsidentenwahl ein Jahrzehnt nach der Unabhängigkeitserklärung

Von Thomas Berger *

Zehn Jahre nach der Geburt des jüngsten Staates Südostasiens sind die Einwohner Osttimors am Sonnabend an die Wahlurnen gerufen. Unter gut einem Dutzend Bewerbern sollen sie ein neues Staatsoberhaupt bestimmen.

Erst nachdem 100 000 Menschen, fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung, eine entsprechende Petition unterschrieben hatten, war Amtsinhaber José Ramos-Horta Ende Januar bereit, sich erneut zur Wahl zu stellen. Nun gilt er vielen als Favorit, muss sich aber auf einen harten Kampf einstellen. Zwar ist der Friedensnobelpreisträger, einst so etwas wie der »Außenminister« der Befreiungsbewegung FRETILIN, bei einem großen Teil der Einwohner von Timor-Leste hoch angesehen, doch allein die Vielzahl der Konkurrenten wird ihn Stimmen kosten. Und es gibt auch Enttäuschte, die der heutigen politischen Führung Fehler, Versagen und den Bruch von Versprechen vorwerfen.

Vor fünf Jahren hatte sich Ramos-Horta in der zweiten Wahlrunde mit fast 70 Prozent der Stimmen durchsetzen können. Der Nationalkongress für den Wiederaufbau Osttimors (CNRT) unter Premier Xanana Gusmão hatte ihn unterstützt. Lange galten die politischen Weggefährten des Freiheitskampfes als unzertrennlich. Inzwischen aber ist das Verhältnis abgekühlt und der CNRT empfiehlt die Wahl von Generalmajor Taur Matan Ruak, früher Chef der Streitkräfte. Er dürfte vor allem die Stimmen vieler Veteranen des Guerillakampfes für die Unabhängigkeit der früheren portugiesischen Kolonie, die 1975 vom Nachbarn Indonesien besetzt wurde, auf sich vereinen.

Die einstige Befreiungsbewegung FRETILIN, zu der fast alle heutigen Spitzenpolitiker gehörten, hat nach Erlangung der Eigenstaatlichkeit 2002 Federn lassen müssen. Die neuen Bedingungen und persönliche Differenzen führten zu Spaltungen. Was heute unter dem traditionellen Namen auftritt, ist nur noch ein Rumpfgebilde. Dessen Kandidat ist erneut Francisco »Lu-Olo« Guterres, der 2007 immerhin gut 30 Prozent holte. Da José Ramos-Horta, Taur Matan Ruak und Francisco Guterres teilweise im gleichen Wählerreservoir fischen, ist schwer vorherzusagen, wer sich für die zweite Wahlrunde qualifizieren wird.

Zu den übrigen zehn, wahrscheinlich chancenlosen Bewerbern zählt Angelita Pires, einst Geliebte Alfredo Reinados, der für ein Attentat auf Präsident und Premierminister am 11. Februar 2008 verantwortlich war. Gusmão kam damals mit dem Schrecken davon, Ramos-Horta erlitt Verletzungen. Reinado starb kurz darauf bei einem Schusswechsel mit Sicherheitskräften.

Das Attentat hatte die junge Nation erschüttert, so wie zuvor schon die schweren Unruhen 2006, nachdem rund 600 Armeeangehörige entlassen worden waren, die anschließend eine Rebellenbewegung gründeten. Eine Eingreiftruppe unter Führung australischer Militärs sollte seinerzeit wieder für Ruhe sorgen. Die Wunden von damals sind jedoch noch immer nicht völlig verheilt, Osttimor bleibt ein Land voller Konflikte, zumal die Vergangenheit kaum aufgearbeitet wurde. Geschätzte 100 000 Todesopfer hatte die 25-jährige indonesische Besatzung gekostet, doch im Grunde ist niemand für die zahlreichen Massaker zur Verantwortung gezogen worden.

Ein anderes Problem sind die enorme Armut und Unterentwicklung trotz ausländischer Hilfe. Bald 800 Millionen Dollar kamen aus Australien. China errichtete als Geschenk Präsidentenpalast, Außenministerium und andere Gebäude und leistete zudem mehr als 50 Millionen Dollar an direkter Hilfe. In beiden Fällen ist die Unterstützung nicht uneigennützig: Osttimor sitzt auf großen maritimen Erdöl- und Gasvorkommen. Auch Kupfer, Gold und Silber finden sich - ein Reichtum, mit dessen Hilfe die Politik Entwicklungsrückstände aufzuholen hofft. Doch viele Einwohner halten ihre derzeitige Führung mit der Verwaltung eines Staatswesens für überfordert.

* Aus: neues deutschland, 16. März 2012


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