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Kampf ums Öl

In Osttimor geht es auch um die energiepolitischen Interessen Australiens

Von Kalinga Seneviratne, IPS *

Bei australischen Beobachtern mehren sich die Zweifel, ob ihre Regierung mit der Stationierung einer rund 2200 Mann starken Eingreiftruppe in Osttimor in dem von Unruhen geschüttelten kleinen Nachbarland lediglich Frieden stiften will. Die Experten kritisieren, Ministerpräsident John Howard gehe es vielmehr vorrangig um energiepolitische Interessen an den Erdöl- und Erdgasressourcen vor der Küste Osttimors.Der am Montag zurückgetretene 56jährige Ministerpräsident Muslim Alkatiri regierte mit Osttimor ein überwiegend katholisches Land. Er ist Chef der Fretilin-Partei, der früheren Unabhängigkeitsbewegung, die nach ihrem mehr als 20jährigen Freiheitskampf 2001 die ersten Parlamentswahlen Osttimors mit einem überwältigenden Sieg für sich entschied.

Die Geschichte der Unabhängigkeit Osttimors, eines der jüngsten und ärmsten UN-Mitglieder, ist zugleich auch eine Geschichte der australischen Bemühungen, sich der reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen der Timor-See zu bemächtigen, deren Wert inzwischen auf mehr als 30 Milliarden US-Dollar veranschlagt wird. Australien hat die Unterstützung der Unabhängigkeit Osttimors immer als humanitäre Mission und als Kampf um die Menschenrechte ausgegeben. An dieser Version halten Australiens Medien bis heute fest.

Bei den seit fünf Jahren geführten Verhandlungen über die Ansprüche seines Landes auf seine Offshore-Ener­gieressourcen hatte sich Osttimors Regierungschef Alkatiri den Zorn der australischen Regierung zugezogen. Canberra hatte immer wieder versucht, seinen armen Nachbarn dazu zu bringen, Australien die Kontrolle über Erschließung und Ausbeutung dieser reichen Naturressourcen zu überlassen.

Rob Wesley-Smith, Sprecher der Gruppe »Australians for a Free East Timor« (AFFET), unterstellt Alkatiri zwar diktatorische Tendenzen und hält Fretilin für korrupt. Der Aktivist weist jedoch Australiens Regierung­s­chef Howard eine Mitschuld an der Krise zu, weil er seit 1999 die umstrittenen Erdölvorkommen für Australien beansprucht. »Obwohl die Zugehörigkeit des Gebietes nach den Vorgaben der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) umstritten ist, gehört es zu Osttimor«, erklärte der Aktivist gegenüber IPS. Angesichts der Fernsehbilder von australischen Truppen, die den Plünderungen und Brandschatzungen in Osttimors Hauptstadt Dili tatenlos zusahen, habe er sich gefragt, ob dies nicht Teil eines australischen Komplotts sei. Osttimor solle als Staat scheitern, damit Australien die Erdölvorkommen in der Timor-See unter seine Kontrolle bringen könne, sagte er.

Er wies darauf hin, daß Australien seit 1999 durch die Ausbeutung der umstrittenen Erdölfelder fast 1,5 Milliarden Dollar kassiert hat. Mit der im gleichen Zeitraum an Osttimor geflossenen Entwicklungshilfe von fast 300000 Dollar habe man sich die Abhängigkeit des kleinen Nachbarn erkauft.

Die australische Wissenschaft­lerin Helen Hill, Autorin eines Buchs mit dem Titel »Nationalism in East Timor«, erläuterte kürzlich in einem Zeitungsartikel, das australische Estab­lishment hasse Alkatiri, weil er sich als einziger führender Politiker Osttimors gegen die Drangsalierung durch Australien gewehrt habe. Zudem habe er Beziehungen zu Malaysia, China, Kuba, Brasilien und der ehemaligen Kolonialmacht Portugal aufgenommen, um die wirtschaftliche Ausrichtung seines Landes auf eine breitere Basis zu stellen.

»Alkatiri verfolgt einen wirtschaftlichen Nationalismus«, betonte sie. »Er hofft, mit Chinas, Malaysias und Brasiliens Unterstützung eine staatliche Erdölgesellschaft etablieren zu können, damit Osttimor seine Erdöl- und Erdgasvorkommen profitabler nutzen kann.«

Alkatiri hat sich auch gegen eine Privatisierung der Stromversorgung ausgesprochen und gegen den Einspruch der Weltbank dafür gesorgt, daß die Versorgung mit Pharmaka vereinheitlicht wurde. Hilfsangebote von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die an bestimmte Bedingungen geknüpft waren, schlug er aus. Er lud kubanische Ärzte ein, in ländlichen Gesundheitszentren mitzuarbeiten und beim Aufbau einer neuen Ärzteschule zu helfen, schaffte das Schulgeld für die Grundschulen ab und sorgte dafür, daß Kinder ein kostenloses Mittagessen erhalten. Damit gilt Osttimors Exregierungschef bei politischen Gegnern in Australien als ein in der Wolle gefärbter kommu­n­ist­ischer Politiker.

Nach Ansicht des an der Universität von Sydney lehrenden Politologen Tim Anderson beabsichtigt die australische Regierung, in Osttimor eine von Exaußenminister Jose Ramos-Horta und dem gesundheitlich angeschlagenen Präsidenten Xanana Gusmão angeführte »Junta« zu etablieren, der auch einige vom katholischen Bischof ausgewählte Mitglieder angehören sollten. »Wenn die australischen Truppen bis zur Wahl im nächsten Jahr in Osttimor bleiben, wird die beherrschende Position von Fretilin ernsthaft gefährdet«, betonte er.

* Aus: junge Welt, 28. Juni 2006


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