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Tiefe Spaltung

Osttimor: Statt Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag der Unabhängigkeit offene Straßenkämpfe in Dili. Präsident vereidigt

Von Rainer Werning *

In Osttimors Hauptstadt Dili blieben am Sonntag die großen Feiern aus. Eigentlich hatte man diesen fünften Geburtstag des Staates festlicher begehen wollen. Doch bereits kurz nach der Vereidigung des neuen Präsidenten José Ramos-Horta überschatteten Straßenschlachten zwischen rivalisierenden Jugendbanden den Festakt. Das Land ist politisch tief gespalten, wirtschaftlich bildet es das Schlußlicht in ganz Asien. Und die überwiegend junge Bevölkerung plagen Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Verstärkt werden diese Probleme durch die anhaltende Verhöhnung der zahlreichen Opfer, die den blutigen Weg in die Unabhängigkeit Osttimors säumten.

Trotz ihres wohlklingenden Namens betreibt die indonesisch-osttimorische »Wahrheits- und Freundschaftskommission« (TFC) ein schmutziges Geschäft – sie entsorgt Geschichte im Sinne der Täter. Am 9. März 2005 unterzeichneten der osttimorische Präsident Xanana Gusmão und sein indonesischer Kollege Susilo Bambang Yudhoyono in Jakarta das Abkommen zur Gründung der TFC. Sie sollte jene Ereignisse untersuchen, die im Sommer 1999 zum Morden und Brandschatzen in Osttimor geführt hatten. Damals hatte sich die Mehrheit der Bevölkerung Osttimors in einem Referendum für das Ende der indonesischen Okkupation und die Unabhängigkeit des Landes entschieden. Pro-indonesische Milizen legten daraufhin mit Duldung ranghoher indonesischer Militärs das kleine Land fast völlig in Schutt und Asche. Etwa 1500 Menschen wurden massakriert, Zehntausende zeitweilig ins benachbarte Westtimor vertrieben.

Als Osttimor schließlich am 20. Mai 2002 unabhängig wurde, nachdem es zuvor von der UNO verwaltet worden war, plädierte deren damaliger Generalsekretär Kofi Annan mehrfach für die Einsetzung eines internationalen Tribunals und die Verurteilung der Straftäter. Doch letztlich setzte sich das Regime in Jakarta mit seinem Anliegen durch, die »Vorfälle von 1999« selbst aufzuarbeiten. Mit fatalen Folgen für die Opfer: Der TFC geht es im wesentlichen darum, einen Schlußstrich unter der Vergangenheit zu ziehen, ohne die Täter strafrechtlich zu belangen. Überdies soll die Kommission nur die Geschehnisse von 1999 aufarbeiten, nicht aber die systematischen Menschenrechtsverletzungen während der Besetzung Osttimors durch Indonesien seit Dezember 1975.

Am 15. Januar 2007 forderte die Kommission eine Amnestie für sämtliche Straftäter, die ihre Taten gestehen und sich bei ihren Opfern entschuldigen. In den folgenden Monaten wurden mehrere Zeugen befragt, einschließlich hoher Offiziere und Politiker beider Länder. Darunter befand sich auch Indonesiens ehemaliger Oberkommandierender der Streitkräfte und Verteidigungsminister, General Wiranto, der als eigentlicher Drahtzieher der Verbrechen im Sommer 1999 gilt. Am 5. Mai sagte dieser vor der TFC aus und hatte dabei die Chuzpe, Verbindungen zu den pro-indonesischen Milizen rundweg abzustreiten. Bei den Gewalttaten, so Wiranto, handelte es sich lediglich um einfache kriminelle Straftaten. Unter seinem Kommando seien keine Greueltaten geschehen, ebensowenig hätte das Militär Milizen ausgerüstet oder kontrolliert. Gegen ihn erhobene Anschuldigungen, so Wiranto weiter, seien schlicht »unsinnig und verrückt«. Wiranto und andere Militärs wollen die Gewalttaten im Sommer 1999 als innenpolitische Angelegenheit Osttimors herunterspielen. Leider sehen das hochrangige Politiker Osttimors genauso – im Sinne gutnachbarschaftlicher Beziehungen.

Die Vereidigung des mit 69 Prozent der Stimmen gewählten Ramos-Horta nahm am Sonntag Parlamentspräsident Francisco »Lu-Olo« Guterres vor, sein in dem Urnengang klar unterlegener Gegner. Er hatte nach seiner Niederlage versichert, er werde den Wahlsieger mit all seiner Kraft unterstützen. Ramos-Horta versprach, das Land zu einen und den Weg seines Vorgängers Xanana Gusmão fortzusetzen, der Osttimor als erster Staatschef in die Unabhängigkeit von Indonesien geführt hatte. Gusmão will sich bei der Parlamentswahl im Juni für das politisch einflußreichere Amt des Regierungschefs bewerben. Unter welchen innenpolitischen Bedingungen, bleibt nicht nur angesichts der unbewältigten Geschichte abzuwarten. Auch hielten während des Sonntags die Straßenschlachten in Dili bis in die späten Nachmittagsstunden an, und erst nach dem Aufmarsch von UN-Truppen trat eine gespannte Ruhe ein.

* Aus: junge Welt, 21. Mai 2007


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