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Osttimor wählte weitgehend friedlich

Regierungspartei wirft Kirche Einflussnahme vor / Nobelpreisträger Ramos-Horta in Front

Von Carsten Hübner, Dili *

Fünf Jahre nach der Unabhängigkeit haben die Einwohner von Osttimor am Ostermontag (9. April) erstmals einen Präsidenten gewählt. Der Ausgang ist offen.

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Osttimor ist noch offen, doch eines steht fest: Sie verliefen weitgehend friedlich. Rund 500 000 Bürger des kleinen Landes waren aufgerufen, von acht Kandidaten einen zum neuen Präsidenten zu wählen.

Nach ersten Hochrechnungen liefert sich überraschend der parteiunabhängige Kandidat und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Kandidaten der Demokratischen Partei, Fernando de Araujo. Beobachter hatten erwartet, dass statt Araujo der Kandidat der Regierungspartei und einstigen Unabhängigkeitsbewegung Fretilin, Francisco Lu'olo Guterres, in eine mögliche zweite Runde um das Präsidentenamt gehen würde. Mit einem vorläufigen Endergebnis rechnen Beobachter nicht vor Mittwoch (11. April).

Zufrieden mit dem Wahlverlauf zeigten sich die internationalen Wahlbeobachter. Zwar wurden während des Tages vereinzelte Verstöße gegen das Wahlgesetz gemeldet, größere Unregelmäßigkeiten schienen jedoch ausgeblieben zu sein. Unmittelbar vor dem Urnengang hatten vier Kandidaten, darunter auch Araujo, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz beklagt, ihnen seien von der staatlichen Wahlbehörde wichtige Unterlagen bis unmittelbar vor dem Wahltermin vorenthalten worden. Dabei ging es vor allem um Ausweise für Parteianhänger, die im ganzen Land als Vertrauensleute des jeweiligen Kandidaten die Stimmabgabe und die Auszählung beobachten sollten. Sie vermuteten hinter den Versäumnissen eine bewusste Manipulation der staatlichen Wahlbehörde STEA. In Osttimor hat jeder Kandidat das Recht, jeweils eine zuvor benannte Person in eine der über 500 Wahlstationen zu entsenden.

Für erheblichen Wirbel am Wahltag sorgte hingegen eine gemeinsame Pressekonferenz von Staatspräsident Xanana Gusmao, Premierminister José Ramos-Horta und dem katholischen Bischof der Diözese Dili, Dom Alberto Ricardo da Silva. Beide Tageszeitungen Osttimors machten mit dem bislang undenkbaren Fall auf, dass ein prominenter Kirchenvertreter unmittelbar vor der Wahl gemeinsam mit dem bisherigen Präsidenten und einem aussichtsreichen Kandidaten an die Öffentlichkeit geht. Osttimor gilt als streng katholisch, mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind gläubige Christen. Die Kirche verfügt zudem aufgrund ihrer Widerstandsgeschichte während der bis 1999 andauernden indonesischen Besatzung über großen Einfluss im Land. Scharfe Kritik kam insbesondere vom Generalsekretär der Fretilin. »Du und Xanana«, so Mari Alkatiri in einer persönlichen Botschaft an Ramos-Horta, »schämt ihr euch nicht, euch so an den Bischof zu hängen?«. »Mit diesem Manöver« sei ein neues Kapitel in der Politik Osttimors aufgeschlagen worden, weil die Neutralität der Kirche aufgegeben worden sei und sie einem Kandidaten einen klaren Vorteil verschafft habe.

Bischof Da Silva hatte die Menschen dazu aufgerufen, einen Kandidaten zu wählen, der sich von der Gewalt distanziert und sich stattdessen für das Volk aufopfere. »In diesen schwierigen Zeiten muss das osttimorische Volk wieder einmal seinen Mut beweisen, indem es zur Wahl geht.«

Osttimor war nach der Meuterei eines Teils der Armee im April vergangenen Jahres wiederholt von schweren Unruhen erschüttert worden. Über 50 Menschen fielen den Ausschreitungen seither zum Opfer, Zehntausende sind auf der Flucht. Es wurde befürchtet, dass es nach Bekanntwerden der ersten Auszählungsergebnisse noch am Wahlabend zu Kämpfen verfeindeter Gruppen kommt.

* Aus: Neues Deutschland, 10. April 2007


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