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In den Fängen von Despotie und Versuchung

Neugründung der Volkspartei: Der Familie Bhutto sollten keine weiteren Opfer abverlangt werden

Von Tariq Ali *

Selbst diejenigen unter uns, die Benazir Bhuttos Verhalten und ihre Politik scharf kritisiert haben, sind fassungslos und betroffen von ihrem Tod - Empörung und Angst regieren einmal mehr das Land. Was letztlich zum Attentat von Rawalpindi führte, ist eine seltsame Melange aus militärischem Despotismus und Anarchie. Früher sollte die Militärherrschaft die Ordnung sichern, was sie einige Jahre tat. Doch ist diese Zeit längst vorbei - heute schaffen die Obristen Unordnung und fördern Gesetzlosigkeit. Wie sonst ist es zu erklären, dass Pakistans Oberster Richter und acht seiner Kollegen abgesetzt wurden, als sie versuchten, Sicherheitsdienste und Polizei an die Gesetze zu binden?

Seither fehlt dem Land das rechtsstaatliche Rückgrat, so dass auch die Wahrheit über den Tod Bhuttos verborgen bleiben wird. Pakistan präsentiert sich als ein Ort der Verzweiflung und Vermutungen - die Täter seien, so heißt es, fanatisierte Djihadisten gewesen. Gut möglich. Handelten sie allein?

Benazir Bhutto soll - folgt man ihrer Umgebung - erwogen haben, die vorgetäuschten Wahlen am 8. Januar zu boykottieren. Aber ihr fehlte der Mut, der US-Regierung die Stirn zu bieten, die wie gebannt auf diese Abstimmung stiert, um Pakistans autoritärem Regime demokratische Weihen zu verschaffen. Warum ließ sich Benazir Bhutto, die doch ansonsten vor den Drohungen ihrer Gegner nicht zurückwich, davon einschüchtern? Schließlich besaß sie den Mut, am 27. Dezember die Wahlveranstaltung in Liaquat Bagh zu besuchen, jenem Ort, benannt nach Liaquat Ali Khan, der 1953 als erster Premierminister Pakistans einem Attentat zum Opfer fiel. Sein Mörder, Said Akbar, wurde anschließend sofort auf Geheiß eines Polizeioffiziers erschossen, der selbst in das Komplott verstrickt war. Nicht weit von Liaquat Bagh entfernt stand einst das Rawalpindi-Gefängnis, in dem man Benazirs Vater, Zulfikar Ali Bhutto, am 5. April 1979 gehängt hat. Der Militärtyrann, General Zia ul-Haq, der diesen Justizmord zu verantworten hatte, sorgte später dafür, das steinerne Zeugnis dieser Tragödie abreißen zu lassen.

Das erste Mal bin ich Benazir Bhutto im Haus ihres Vaters in Karatschi begegnet, als sie noch ein vergnügungsfreudiger Teenager war, später traf ich sie in Oxford. Sie war keine geborene Politikerin, eigentlich wollte sie Diplomatin werden. Doch der Tod ihres Vaters änderte alles. In endlosen Gesprächen in ihrer kleinen Wohnung in London diskutierten wir die Zukunft des Landes. Sie stimmte damals mit mir überein, dass eine Landreform, Bildungsprogramme, ein Gesundheitssystem und eine unabhängige Außenpolitik gute und notwendige Ziele seien, um Pakistan aus den Fängen von Militärdespoten zu befreien. Zu ihren Wählern sollten später die Armen zählen. Darauf war sie stolz.

Dann, als Premierministerin, veränderte sie sich noch einmal. Auf meine zahlreichen Beschwerden hin erwiderte sie nur, dass sich die Welt eben verändert habe. Wie viele andere auch schloss sie Frieden mit Washington. Das ermöglichte ihr vor wenigen Monaten den Deal mit Pervez Musharraf, um nach fast einer Dekade des Exils in ihre Heimat zurückzukehren. Den Tod fürchtete sie nicht. Das sagte sie mir immer wieder.

Es ist schwer vorstellbar, dass die pakistanische Tragödie ein gutes Ende findet. Möglich wäre das nur, sollte es eine Partei geben, die sich wirklich um die sozialen Belange der Massen kümmert. Die Volkspartei (PPP), die Zulfikar Ali Bhutto einst gegründet hat, wurde von Menschen geformt, die der einzigen, jemals existierenden Massenbewegung dieses Landes zustrebten: Studenten, Bauern und Arbeiter, die 1968/69 drei Monate lang dafür kämpften, einen Diktator wie Ayub Khan zu stürzen. Sie betrachteten die People´s Party als ihre Partei. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit existiert - trotz allem - in einigen Teilen Pakistans bis heute.

Benazir Bhuttos schrecklicher Tod sollte ihren Mitstreitern Zeit zum Nachdenken geben. Die Abhängigkeit von einer Leitfigur mag zuweilen notwendig sein, doch eine politische Organisation darf sich nicht dauerhaft darauf verlassen. Die People´s Party sollte neu gegründet werden als ein demokratischer Bund, der offen für ehrliche Debatten ist, soziale Rechte verteidigt, disparate Gruppen vereint und Vorschläge macht, wie das kriegsgeschüttelte Afghanistan zu stabilisieren ist. Der Familie Bhutto sollten keine weiteren Opfer abverlangt werden.

(Aus dem Englischen von Dirk F. Schneider)

* Tariq Ali, 1943 geboren in Lahore, studierte in England Politik und Philosophie und arbeitet heute als Filmemacher, Schriftsteller und Publizist.

Aus: Freitag 1, 4. Januar 2008



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