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Schachfigur in Südasien?

Analyse. Pakistans neuer Premier Nawaz Sharif ist eng mit Saudi-Arabien verbunden. Das Scheichtum koordiniert mit den USA die nächsten Schritte gegen den Iran

Von Knut Mellenthin *

Pakistan bekommt in den nächsten Tagen eine neue Regierung. Aus der Parlamentswahl am 11. Mai ist, wie schon seit Monaten prognostiziert, die von Nawaz Sharif geführte Pakistanische Muslimliga (PML-N) als klare Siegerin hervorgegangen. Auch ohne Koalitionspartner verfügt sie über eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Es wird die dritte Amtszeit des jetzt 63jährigen Politikers, der schon von November 1990 bis Juli 1993 und von Februar 1997 bis Oktober 1999 Premierminister war. Seine erste Amtszeit endete mit der Entlassung durch den damaligen Staatspräsidenten Ishaq Khan. Er konnte diese zwar erfolgreich vor dem Obersten Gerichtshof anfechten, aber die Armeeführung zwang daraufhin beide Politiker zum Rücktritt. 1999 wurde Sharif durch einen von General Pervez Musharraf geführten unblutigen Putsch gestürzt und mußte ins Exil gehen, das er hauptsächlich in Saudi-Arabien verbrachte. Dem saudischen Regime ist er geschäftlich, politisch und durch persönliche Freundschaften eng verbunden. Es wird erwartet, daß sich das im außenpolitischen Kurs der neuen Regierung niederschlagen wird.

Davon abgesehen folgt der Regierungswechsel voraussichtlich dem traditionellen Rollenspiel zwischen den beiden Hauptparteien Pakistans, der Muslimliga und der Volkspartei (Pakistan Peoples Party, PPP). Jenseits der Klischees »konservativ« und »linksliberal«, mit denen die beiden Parteien im westlichen Ausland immer noch verbunden werden, unterscheiden sie sich in der praktischen Politik kaum mehr als CDU/CSU und SPD in Deutschland oder Republikaner und Demokraten in den USA. Sie sind so austauschbar und haben diesen »Machtwechsel« auch schon so oft durchexerziert, daß weder in der Wirtschafts- und Innenpolitik noch in der Außenpolitik mit großen Veränderungen zu rechnen ist.

Außerdem ist zu berücksichtigen, daß Pakistan ein Zweikammerparlament hat. Dieses besteht neben der Nationalversammlung, die jetzt zu wählen war, aus dem Senat, der nicht vom Volk direkt gewählt, sondern nach einem komplizierten, hauptsächlich regionalen Schlüssel besetzt wird. Alle drei Jahre wird die Hälfte der Senatoren ausgetauscht. Gegenwärtig haben die Volkspartei und ihre Verbündeten im Senat noch eine solide Mehrheit. Neubesetzungen sind erst wieder im Frühjahr 2015 fällig. Die meisten Gesetze bedürfen der Zustimmung des Senats.

Betrachten wir, bevor wir uns den Wahlergebnissen vom 11. Mai zuwenden, zunächst kurz die Hauptakteure.

Die Parteienlandschaft

Die PML-N trägt zwar den Namen einer Partei, die schon zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft existierte und in Pakistan mehrfach von Militärregimes als Herrschaftsinstrument wiederbelebt wurde. In ihrer gegenwärtigen Form ist sie jedoch das Ergebnis einer Neugründung, die 1988 unter Führung von Nawaz Sharif erfolgte. Seither hat es eine Reihe von Abspaltungen gegeben. Das »N« im Parteinamen der PML-N steht für Nawaz. Regionaler Schwerpunkt der Partei ist die Provinz Punjab, wo sie schon vor dieser Wahl die Regierung stellte. In der Oppositionsrolle tendierte die ­PML-N dazu, gelegentlich kämpferische Töne gegen die USA anzuschlagen und der Regierung übermäßige Nachgiebigkeit gegenüber den Drohnenangriffen vorzuwerfen. In Wirklichkeit agiert sie aber nicht wesentlich anders als die PPP und der Rest der etablierten Parteien.

Die Volkspartei trat vor Jahrzehnten mit einem im Wortsinne sozial-demokratischen Reformprogramm und einer Außenpolitik an, die nicht vor harten Konfrontationen mit den USA zurückschreckte. Davon ist nicht einmal mehr die leere Hülle übriggeblieben. Die vergangenen fünf Jahre der von ihr geführten Koalition übertrafen sogar noch alles, was Pakistan bis dahin an Korruption und Amtsmißbrauch gekannt hatte.

Abgesehen von ein paar unbedeutenden Kleinparteien waren die wichtigsten Koalitionspartner der PPP in der jetzt abgewählten Regierung die PML-Q, die MQM und die ANP. Die PML-Q ist eine Abspaltung von der PML-N. General Musharraf hatte in der Zeit seiner Militärherrschaft die Spaltung der Muslimliga gefördert, um sich eine loyale politische Machtbasis zu verschaffen. Dennoch wäre es verkürzt, in der heutigen PML-Q lediglich eine Ansammlung von Anhängern des früheren Diktators zu sehen, der im Juni 2010 eine eigene Partei, die All Pakistan Muslim League, gegründet hat. Nach der jüngsten Wahl scheint die PML-Q bedeutungslos geworden zu sein.

Die MQM – die Abkürzung steht für Muttahida Qaumi Movement – ist traditionell vor allem die Partei der sogenannten Muhajirs, die bis 1997 auch im Parteinamen standen, bis sie durch das unverfängliche »Muttahida« (Vereinigt) ersetzt wurden. Als Muhajirs werden die Muslime bezeichnet, die nach der Spaltung der britischen Kolonie Indien Ende der 1940er Jahre vor den bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen aus dem neuen indischen Staat flüchteten. Der Begriff wird auch auf ihre Nachkommen angewendet. Wirkungsschwerpunkt der Partei ist Karatschi, mit über 20 Millionen Einwohnern größte Stadt Pakistans und Hauptstadt der Provinz Sindh. Die MQM ist, zumindest in ihrem offiziellen Profil, eine Partei, die Liberalität, Toleranz und eine kämpferische Distanz zum extremen Islamismus repräsentiert. Tatsächlich stützt sich ihre Macht in der Metropole aber nicht zuletzt auch auf ein Bündnis mit kriminellen Banden.

Die Awami-Nationalpartei (ANP) profiliert sich als Vertreterin des paschtunischen Bevölkerungsteils und propagiert in Fragen der Religiosität ähnliche Grundsätze wie die MQM. Zusätzlich hat sie sich Feinde durch ihr offensives Eintreten für die NATO-Intervention in Afghanistan gemacht. In der von Paschtunen bewohnten Provinz Khyber Pakhtunkhwa hatte die ANP seit 2008 die Regierung geführt, erlitt aber bei der jüngsten Wahl eine schwere Niederlage.

Als einzige Partei führte die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI, Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) ihren Wahlkampf unter der Forderung nach grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderungen und einer neuen, von den USA unabhängigen Außenpolitik. Die Partei war 1996 von dem früheren Kapitän der pakistanischen Cricketmannschaft, Imran Khan, gegründet worden, blieb aber bis vor etwa zwei Jahren bedeutungslos. Khan ist bemüht, Verbindung zu den Fundamentalisten und selbst zu den Taliban zu halten, aber dies in Einklang mit dem Bekenntnis zu einem zeitgemäßen Verständnis des Islam zu bringen. Zum Programm der PTI gehört die tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen, Realisierung der allgemeinen Schulbildung und große Investitionen in den Bildungssektor, religiöse Toleranz und Stärkung der Rechte von Minderheiten. Khan fordert außerdem, vollständig auf ausländische Finanzhilfe zu verzichten, da diese Pakistan abhängig mache und die nötigen Reformen, einschließlich der Bekämpfung der Korruption, blockiere.

Das Wahlergebnis

Allgemein wird hervorgehoben, daß jetzt zum ersten Mal in der Geschichte Pakistans ein friedlicher und demokratischer Regierungswechsel stattfindet. In der Vergangenheit hatte immer wieder das Militär direkt in die Politik eingegriffen, Regierungen gestürzt und zeitweise die Verfassung außer Kraft gesetzt. Andererseits war dieser Wahlkampf aber der blutigste, den es jemals in Pakistan gab. Nach einer vorsichtigen Schätzung wurden durch Terroranschläge und Auftragsmorde rund 150 Menschen getötet. In erster Linie richteten sich die Angriffe gegen Kundgebungen, Wahlhelfer und Politiker der ANP und der MQM. Zu den meisten Taten »bekannte« sich die Hauptorganisation der pakistanischen Taliban, die TTP, oder genauer gesagt deren angeblicher Sprecher Ihsanullah Ihsan, der sich schon erstaunlich lange auf diesem Posten hält, obwohl er ständig mit den Medien in Kontakt steht, also eigentlich vergleichsweise leicht aufzuspüren sein müßte.

Die Wahlbeteiligung war mit 55 Prozent die zweithöchste in der Geschichte Pakistans. Vor fünf Jahren, bei der ersten freien Wahl seit dem Militärputsch von 1999, hatten 44 Prozent der registrierten Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Nur 1970 hatte die Beteiligung mit fast 65 Prozent höher gelegen als dieses Mal. Das war die erste allgemeine Wahl überhaupt – und zugleich jene, die die gewaltsame Lostrennung des heutigen Bangladesch, damals noch Ostpakistan genannt, einleitete.

Da Pakistan ein reines Direktwahlsystem hat, ist der Anteil der einzelnen Partei an den Wählerstimmen auf Landesebene für die Verteilung der Mandate bedeutungslos. Für eine Einschätzung der politischen Entwicklung ist dieser Aspekt dennoch nicht unwichtig. Die PML-N konnte sich von 19,6 auf 33 Prozent steigern, während die bisher führende PPP von 30,6 auf 15,2 Prozent absackte. Damit liegt sie nur auf dem dritten Platz hinter der PTI, die an der Wahl vor fünf Jahren nicht teilgenommen hatte und diesmal auf Anhieb 16,9 Prozent erreichte. Im Abgeordnetenhaus ist allerdings die Volkspartei zweistärkste Fraktion vor der PTI und wird daher voraussichtlich den Oppositionsführer stellen. Mit 12,9 Prozent der Stimmen bildeten unabhängige Kandidaten bei der Wahl einen starken Block, doch werden sich diese vermutlich mehrheitlich der PML-N oder einer anderen Partei anschließen.

Von den drei bisherigen Koalitionspartnern der Volkspartei hat die PML-Q, die sich jetzt meist nur noch PML nennt, besonders stark verloren: Sie fiel von 23 auf 3,1 Prozent und scheint sich in Auflösung zu befinden. Die MQM erreichte 5,4 statt 7,4 Prozent, und die ANP wurde von zwei auf ein Prozent halbiert. Zugewinnen konnten fundamentalistische Parteien. Die Partei Jamiat Ulema-e-Islam (JUI-F, Vereinigung islamischer Gelehrter), die sich 2008 zunächst dem von der PPP geführten Regierungsbündnis angeschlossen hatte, steigerte sich von 2,2 auf 3,3 Prozent, während die als radikaler geltende Jemaah Islamiyah (JI, Islamische Gemeinschaft) auf 2,1 Prozent kam und damit, anders als vor fünf Jahren, ebenfalls den Einzug ins Parlament schaffte.

Insgesamt beteiligten sich über 50 Parteien an der Wahl, von denen künftig 18 in der Nationalversammlung vertreten sein werden. Das Abgeordnetenhaus hat gegenwärtig 342 Sitze. 272 Mandate werden durch Direktwahl in ebenso vielen Wahlkreisen vergeben. Dazu kommen 70 Abgeordnete – 60 Frauen und zehn Angehörige nichtmuslimischer Minderheiten –, die von den Parteien proportional zu ihrer Stärke in der Nationalversammlung benannt werden. Daraus ergibt sich, daß eine Partei zur einfachen Mehrheit mindestens 137 Direktmandate benötigt.

Das hat die PML-N mit vorläufig 126 gewonnenen Wahlkreisen – einige Nachwahlen stehen noch aus – nicht ganz erreicht. Allerdings haben sich von den 32 direkt gewählten Kandidaten, die als »Unabhängige« angetreten waren, schon 18 der ­PML-N-Fraktion angeschlossen. Voraussichtlich werden der Partei weitere 37 Sitze zugeteilt, die für Frauen und Minderheiten reserviert sind. Damit käme sie auf 181 Abgeordnete. 172 wären für das Erreichen der absoluten Mehrheit ausreichend. In der bisherigen Nationalversammlung hatte die PML-N 71 Direktmandate und 20 zusätzliche Sitze, zusammen also 91.

Die Koalitionsmöglichkeiten

Darüber hinaus führt die ­PML-N Koalitionsverhandlungen mit der JUI-F, die zehn Direktmandate gewonnen hat. Ein Beitritt weiterer Parteien zum Regierungsbündnis wäre nicht überraschend. Sharif hat seine Bereitschaft zu einer breiten Kooperation möglichst vieler politischer Kräfte bekundet.

Das bisherige Regierungslager ist durch den Wahlausgang erheblich geschwächt. Zusammenrechnet haben die Volkspartei und ihre Verbündeten statt 168 nur noch 52 Direktmandate. Davon entfallen 31 (bisher 97) auf die PPP, 18 statt 19 auf die MQM, zwei (bisher 42) auf die PML-Q und ein einziger Sitz statt bisher zehn auf die ANP, die aufgrund dieser Wahl nahezu ruiniert ist. Die MQM erscheint zwar halbwegs stabil, da sie nach wie vor fast alle Direktmandate in ihrer Hochburg Karatschi gewonnen hat. Indessen hat aber auch in dieser Partei eine heftige Krisendebatte begonnen. Ihr seit 1992 in London residierender Chef Altaf Hussain, der die Partei intensiv und autoritär lenkt, hat eine Neubesetzung der Führungsgremien vorgenommen und eine »Säuberung« der Parteireihen angekündigt.

Die PTI ist künftig mit 28 Direktmandaten drittstärkste Fraktion der Nationalversammlung. An der letzten Wahl im Februar 2008 hatte sich die Partei nicht beteiligt. 2002 hatte Partei­gründer und -chef Imran Khan ein einziges Direktmandat für die PTI gewonnen. Die Partei wird, ihren bisherigen Aussagen zufolge, in der Opposition bleiben, ist aber, wie Khan sagte, »trotz schwerer Meinungsverschiedenheiten« bereit, »gemeinsam an der Lösung der wichtigsten nationalen Probleme einschließlich des Terrorismus zu arbeiten«. Der PTI-Chef will das hauptsächlich durch einen Ausstieg aus dem US-geführten weltweiten »Krieg gegen den Terror« und durch eine »Politik der nationalen Versöhnung« erreichen.

Auch Nawaz hat mehrfach erklärt, daß er Verhandlungen mit den Aufständischen anstrebe und hat das nach seinem Wahlsieg wiederholt. Doch dürfte das entscheidende Wort bei der Führung der Streitkräfte liegen. Der in den USA ausgebildete Armeechef Ashfaq Parvez Kayani hatte wenige Tage vor der Wahl jede Kritik am »Krieg gegen den Terror« scharf zurückgewiesen und behauptet, dieser sei »Pakistans eigener Krieg«. »Es darf keinen Platz für Zweifel geben, wenn es um die Behandlung einer Rebellion gegen den Staat geht.«

Die beiden großen Parteien haben im wesentlichen ihre regionalen Schwerpunkte bestätigt. Die PML-N holte 118 ihrer 126 Direktmandate in der Provinz Punjab, in der etwa 60 Prozent der pakistanischen Bevölkerung leben. Die Volkspartei gewann ihre Mandate bis auf ein einziges in der Provinz Sindh. Die PTI lag in 17 Wahlkreisen der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, der ehemaligen Nordwest-Grenzprovinz, vorn. Nach den Wahlen für die Provinzparlamente, die gleichzeitig stattfanden, wird die PTI im Nordwesten wahrscheinlich künftig die Regierung führen. Sie löst damit die ANP ab. Punjab wird weiter von der PML-N, Sindh von der PPP regiert. In der zwar flächenmäßig größten, bevölkerungsmäßig aber kleinsten Provinz des Landes, Balutschistan, wird es vermutlich zu einer Koalition der PML-N mit zwei regionalen Parteien, der Nationalpartei und der Pakhtunkhwa Milli Awami, kommen. Letztere fordert eine eigene Provinz für die Paschtunen – bestehend aus Khyber Pakhtunkhwa, den direkt der Zentralregierung unterstellten »Stammesgebieten« (FATA) und Teilen Balutschistans.

Einfluß Saudi-Arabiens

Eines der vorrangigen Ziele Sharifs wird sein, Saudi-Arabien möglichst schnell zur Gewährung eines großzügigen Kredits zu veranlassen. Die Chancen stehen optimal, da die Saudis ihn schon in seinen zwei früheren Amtszeiten unterstützt hatten und auch dem Militärdiktator Musharraf gern behilflich waren. Von besonders großer Bedeutung war das Entgegenkommen der Saudis 1998, als Pakistan nach seinen ersten Atomwaffentests durch internationale Sanktionen unter schweren Druck geriet. Nur gegenüber der von der Volkspartei geführten Regierung hatte sich das Regime in Riad von Anfang an feindselig und knauserig verhalten.

Der von Sharif gewünscht Kredit soll, wie schon mehrmals in der Vergangenheit, hauptsächlich die leicht verschleierte Form der Zahlungsstundung für die Lieferung von Energieträgern haben – mit der Perspektive der faktischen Umwandlung in eine Schenkung. Internationalen Agentur- und Pressemeldungen zufolge möchte Pakistan von Saudi-Arabien für einen längeren Zeitraum pro Tag 100000 Barrel Rohöl und 15000 Tonnen Heizöl erhalten – und die Rechnungen erst mit einer Verzögerung von drei Jahren zahlen müssen. In manchen Medien wird die Summe dieses nicht explizit deklarierten Kredits auf 15 Milliarden Dollar hochgerechnet. Von pakistanische Seite wird diese Angabe als viel zu hoch bezeichnet. Angeblich gehe es eher um vier bis fünf Milliarden.

Pakistan wird trotzdem längerfristig um ein neues Kreditabkommen mit dem Weltwährungsfond IWF nicht herumkommen. Allerdings wird damit gerechnet, daß die Verhandlungen mehrere Monate dauern werden und daß der IWF harte Bedingungen stellen wird. Der angestrebte Deal mit Saudi-Arabien soll vor diesem bedrohlichen Hintergrund dazu dienen, Zeit zu gewinnen und einen ersten Haushaltsplan der neuen Regierung zustande zu bringen.

Es wird jedoch erwartet, daß das Regime in Riad, das seine Politik eng mit den USA koordiniert, von Pakistan einen hohen Preis fordern wird: die Beteiligung an der Wirtschaftsblockade gegen Iran oder zumindest eine massive Verschlechterung der relativ guten zwischenstaatlichen Beziehungen und ein Herunterfahren des Handels. Ein zentrales Ziel, das die USA schon lange anstreben, aber zu dem sie die bisherige Regierung in Islamabad nicht bewegen konnten, ist der Ausstieg aus dem Pipelineprojekt, durch das Pakistan große Mengen von Erdgas aus dem Iran beziehen soll. Die Leitung ist auf iranischer Seite schon fast fertiggestellt. Der Bau auf pakistanischem Gebiet wurde am 11. März mit einer Feier symbolisch begonnen, zu der die Präsidenten beider Länder Asif Ali Zardari und Mahmud Ahmadinedschad erschienen waren. Bis Ende 2014 soll die Pipeline vollständig sein, falls alles planmäßig läuft.

Es besteht kein Zweifel, daß Pakistan das Gas, das Iran zu günstigen Bedingungen zu liefern bereit ist, dringend braucht. Die Energieversorgung, seit langem ein Sorgenkind, ist in den letzten Jahren weitgehend zusammengebrochen. Große Teile des Landes bekommen nur für wenige Stunden am Tag Strom, was auch die Produktion schwer in Mitleidenschaft zieht. Das war für die von der PPP geführte Regierung ein schwerwiegendes Argument, die mit penetranter Beharrlichkeit und arroganter Dreistigkeit vorgetragenen US-amerikanischen Forderungen nach Ausstieg aus dem Pipelineprojekt immer wieder abzulehnen. Gestützt auf die engen Beziehungen Sharifs zu den Saudis und verknüpft mit einem finanziell attraktiven Angebotspaket könnte es jedoch zu einer Neubewertung des Projekts kommen.

Der Preis dafür wäre wahrscheinlich höher, als er bei vordergründiger buchhalterischer Berechnung erscheinen könnte. Letztlich würde Pakistan damit riskieren, in die Kriegsfront gegen Iran einbezogen zu werden. Gleichzeitig wäre es, wie schon in der Zeit der gemeinsamen Einmischung in den afghanischen Bürgerkrieg in den 1980er und 1990er Jahren, einem verstärkten politischen und ideologischen Einfluß des saudischen Regimes ausgesetzt. Ohnehin subventionieren die Saudis jetzt schon in großem Umfang fundamentalistische Religionsschulen und Parteien. Der Verdacht liegt nahe, daß saudisches Geld und saudische Auftraggeber auch hinter der seit einigen Jahren anschwellenden Welle von Terroranschlägen gegen die schiitische Minderheit Pakistans und möglicherweise auch hinter anderen destabilisierenden Aktivitäten stecken, die unter dem Namen »Taliban« laufen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Mai 2013


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